Gestörte Beziehung: Seit Recep Erdogan die Türkei in eine Diktatur verwandelt hat, ist die Partnerschaft mit der EU praktisch zu Ende. (Bild: Imago/pacific press agency/Jakob Ratz)
Fußball

Liebesgrüße aus London

Kommentar Wenige Wochen vor der Fußball-WM haben sich zwei deutsche Nationalspieler in einem Londoner Hotel lachend und händeschüttelnd mit dem türkischen Diktator Recep Erdogan fotografieren lassen – dem "verehrten Präsidenten". Nur eine Dummheit?

Der „Präsident“ hielt sich zum Wahlkampf in London auf, und die Fußballer folgten seiner Einladung willig. Wenige Wochen vor der Fußball-WM in Russland und kurz vor der Bekanntgabe des deutschen WM-Kaders posierten die deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Diktator Recep Erdogan. Bei dem PR-Termin überreichten sie dem Autokraten ihre Vereinstrikots vom FC Arsenal und von Manchester City. Gündogan hatte sein Trikot zudem mit einer Widmung versehen: „Für meinen verehrten Präsidenten. Hochachtungsvoll.“ Noch ein dritter Deutsch-Türke war mit dabei – Cenk Tosun, der allerdings türkischer Nationalspieler ist.

In der Türkei finden im Juni vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, deren Sieger längst feststeht. Nicht nur, weil Wahlfälschungen zu erwarten sind, sondern weil die Politiker der Oppositionspartei HDP großteils als angebliche „Terror-Unterstützer“ im Gefängnis sitzen. Zudem sind die Medien nahezu vollständig gleichgeschaltet und bringen so gut wie keine Berichterstattung über die Oppositionsparteien.

Unzählige Journalisten sitzen in der Türkei wegen fadenscheiniger Anklagen in Haft, Tausende andere Menschen auch. Kritiker wurden zu Zehntausenden aus dem Staatsdienst entlassen, darunter große Teile der Richter und Lehrer. Erdogans willfährige Lakaien rücken in die Ämter nach. Durch den kürzlich verlängerten Ausnahmezustand nach dem angeblichen Putsch 2016 regiert Erdogan praktisch ohne Parlament. Die „Wahlkampftour“ des türkischen Diktators ist also mehr oder weniger überflüssig. Ihm dabei auch noch hilfreich zur Seite zu stehen, das allerdings ist tatsächlich überflüssig. Denn die Erdogan-Partei AKP nutzt die Fußballer-Fotos auf allen Kanälen zur Propaganda.

Zurück zu den Wurzeln

Natürlich werden Fußballspieler nicht für ihr politisches Gespür bezahlt, aber man kann doch erwarten, dass auch Özil und Gündogan mitbekommen haben, was in der Türkei in den letzten Jahren stattgefunden hat. Dass Erdogan obendrein über die Ditib-Spitzel Einfluss in Deutschland nimmt, unser Land immer wieder unflätig beleidigt und versucht, die Deutsch-Türken als seine fünfte Kolonne einzuspannen, auch das war monatelang in allen Medien. Und dass deutsche Nationalspieler derzeit einen Präsidenten namens Frank-Walter Steinmeier haben, auch das sollte den beiden Fußballern bekannt sein.

Damit bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit: Sie finden Erdogan trotzdem gut genug, um mit ihm zu posieren. Und damit sind sie keineswegs allein, wie die Wahlergebnisse der 1,4 Millionen in der Türkei wahlberechtigten Deutschtürken zeigten, die mit 63 Prozent für Erdogans diktatorischen Staatsumbau stimmten. Das waren bei 46 Prozent Wahlbeteiligung mehr als 400.000 Erdogan-Wähler. Auch andere Umfragen belegen die Nähe vieler Deutschtürken zur islamischen AKP-Partei. So ergab eine umfassende Studie der Universität Münster 2016 unter anderem, dass 47 Prozent der Deutschtürken den Islam über die deutschen Gesetze stellen.

Gündogan, immerhin Abiturient in Nürnberg, hat nun entschuldigend nachgereicht, das Treffen sei „aus Respekt vor dem Amt des Präsidenten und unseren türkischen Wurzeln“ lediglich eine „Geste der Höflichkeit“ gewesen. „Es war nicht unsere Absicht, mit diesem Bild ein politisches Statement abzugeben, geschweige denn, Wahlkampf zu machen.“ Von der Vorbildfunktion deutscher Nationalspieler mal ganz abgesehen: Warum trifft man sich aus „Höflichkeit“ mit einem europaweit geächteten Despoten, dessen Präsidententitel eine Farce ist? Klar wird mit diesem Vorfall jedenfalls eines: Ein deutscher Pass allein hilft nicht bei der Identifikation mit Deutschland.