Protest in London: Demonstranten erinnern daran, dass in der Türkei auch 668 Kinder unter sechs Jahren im Gefängnis leben - weil ihre Mütter dort inhaftiert sind. (Bild: Imago/i Images/Dinendra Haria)
Türkei

Erdogans neue Anklagen

Die Staatsanwaltschaft in der Türkei will nach Informationen von NDR, WDR und SZ in Deutschland lebende türkische Akademiker anklagen. Der absurde Vorwurf laute wegen eines Appells zum Frieden: "Propaganda für eine Terrororganisation".

Nach Angaben von Betroffenen sollen es derzeit etwa 100 Personen sein. Sie gehörten zu einer Gruppe, die Anfang 2016 einen Friedensappell unterschrieben hatte, wie es heißt. Insgesamt 1128 Akademiker hatten demnach im Januar 2016 einen Appell unterzeichnet, in dem sie den türkischen Staat aufforderten, Zerstörungen in den Kurdengebieten zu stoppen. Sie bezeichneten das harte Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in kurdischen Siedlungsgebieten Ende 2015 als „Vernichtungs- und Vertreibungspolitik“ sowie als „Verbrechen“.

Erdogans ganz persönlicher Krieg

Der türkische Diktator Recep Erdogan hatte nach Jahren der Entspannung 2015 einen Krieg mit den Kurden vom Zaun gebrochen, um Stimmen der nationalistischen Türken für seine Partei einzusammeln. Dabei wurden auch zahlreiche Zivilisten in den kurdischen Gebieten getötet, teilweise sollen Städte von der Versorgung abgeschnitten worden sein. Zuvor hatte Erdogan dank der kurdischen Partei HDP die Mehrheit im damals noch halbwegs eigenständigen Parlament verloren. Mittlerweile sind viele der HDP-Funktionäre jedoch in Haft – wie üblich als „Terror-Unterstützer“.

Absurde Vorwürfe

Nun sollen anscheinend auch alle Unterzeichner des Friedensappells angeklagt werden. In der Türkei sollen laut den Medienberichten bereits mehr als 100 der insgesamt 1128 Unterzeichner Anklagen erhalten haben. Auch mindestens fünf der in Deutschland lebenden Unterzeichner des Appells sei eine Anklageschrift bereits zugestellt worden, die NDR, WDR und SZ laut eigenen Angaben vorliege. Darin heiße es unter anderem, der „sogenannte Friedens-Aufruf“ trage den Charakter „der offenen Propaganda für die Terrororganisation PKK“. Der zuständige Oberstaatsanwalt in Istanbul werfe den Unterzeichnern vor, sie hätten zum Ziel gehabt, den türkischen Staat als „illegitime, zerstörende Kraft“ und als verbrecherisch darzustellen sowie Gewalt durch die PKK zu legitimieren, so die wieder einmal völlig absurde Anklage.

Bis zu siebeneinhalb Jahre Haft

Laut türkischem Gesetz drohen Strafen von bis zu siebeneinhalb Jahren Haft für Terror-Propaganda. Die seit 2012 bestehende Initiative der Akademiker für den Frieden tritt nach eigenen Angaben für eine friedliche und demokratische Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes ein.

Eine Auslieferung der Akademiker von Deutschland ist zwar so gut wie ausgeschlossen – die Betroffenen könnten aber nicht mehr gefahrlos reisen, wie schon die zeitweise Verhaftung des Schriftstellers Doğan Akhanlı in Spanien auf Interpol-Antrag der Türkei zeigte. (dpa/BK)