Vor der Insel Lampedusa nahe Sizilien: Flüchtlinge in überfüllten Schlauchbooten werden von der italienischen Küstenwache gerettet. (Bild: Imago/Zuma/Christian Marquardt)
Flüchtlinge

Italien droht mit Hafensperre

Rom will Schiffe der Hilfsorganisationen mit Flüchtlingen in heimischen Häfen abweisen, wenn die EU das Land nicht mehr unterstützt. Denn auch in Italien wächst der Widerstand. In kurzer Zeit kamen mehr als 12.000 Migranten über das Mittelmeer.

Schiffe der EU-Mission „Operation Sophia“ (Eunavfor Med) oder der EU-Grenzagentur Frontex von dem möglichen Verbot nicht betroffen sein. Den Booten von 14 Hilfsorganisationen könnte dagegen die Einfahrt verwehrt werden, sollte es nicht mehr Unterstützung von der EU geben, hieß es aus Regierungskreisen in Rom. Dabei gehe es um Rettungsschiffe, die nicht unter italienischer Flagge fahren.

Die Lage ist schwierig, und wenn es in diesem Takt weitergeht, wird sie untragbar werden.

Sergio Mattarella, Italiens Staatspräsident

Auch Schiffe deutscher Hilfsorganisationen wie „Sea Watch“ und „Jugend Rettet“ könnten von dem Hafen-Verbot betroffen sein. Wie sich dieses Verbot rechtlich umsetzen ließe, blieb zunächst unklar. „Die Lage ist schwierig, und wenn es in diesem Takt weitergeht, wird sie untragbar werden“, warnte jetzt Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella.

Europa ignoriert Italiens Notlage

Italiens Regierung sieht sich am Limit und drängt immer wieder andere EU-Länder zur Solidarität. Geschehen ist in dieser Hinsicht jedoch nicht allzu viel. Allein in den vergangenen Tagen wurden im Mittelmeer mehr als 12.000 Menschen gerettet, die nun auf dem Weg nach Italien sind. Die NGO „Ärzte ohne Grenzen“ erklärte, die oft verletzten Menschen müssten in den nächstgelegenen und in einen sicheren Hafen gebracht werden. Rein geografisch trifft es damit vor allem Italien. Doch dort fordert man, die Schiffe auch in Spanien, Malta, Irland oder Holland anzulanden.

Wir können natürlich nicht eine Handvoll EU-Staaten alleine lassen.

Dimitris Avramopoulos, EU-Innenkommissar

Der italienische EU-Botschafter Maurizio Massari habe die „Notlage“ seines Landes darstellen wollen und deshalb am Mittwoch EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos getroffen, erklärte ein EU-Diplomat. Avramopoulos lobte den „vorbildlichen“ Umgang des Landes mit der Flüchtlingskrise. Seine Behörde sei bereit, der Regierung in Rom noch stärker unter die Arme zu greifen, „falls nötig auch mit erheblicher finanzieller Unterstützung“. Avramopoulos betonte, es gelte, stärker mit Herkunfts- und Transitländern zusammenzuarbeiten, um den Zuzug von Migranten zu mindern. „Wir alle haben eine humanitäre Verpflichtung, Leben zu retten. Wir können natürlich nicht eine Handvoll EU-Staaten damit alleine lassen“, betonte der EU-Kommissar.

Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk forderte kürzlich mehr Anstrengungen der Europäischen Union zur Lösung der Flüchtlingskrise am Mittelmeer. „Das einzige Ergebnis, das für uns wirklich zählt, ist ein definitives Ende dieser tragischen Situation“, sagte Tusk. Die EU-Länder müssten sich besser koordinieren, um Italien stärker zu unterstützen.

Schon mehr als 75.000 Flüchtlinge

Italiens Innenminister Marco Minniti klagte vor ein paar Tagen, man fühle sich „von vielen europäischen Partnern allein gelassen“. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex erklärte, im laufenden Jahr seien die mehr als 12.000 Flüchtlinge die höchste Zahl Geretteter binnen einer so kurzen Zeitspanne, was auch an dem guten Wetter im Mittelmeer liegt. Die deutsche Hilfsorganisation „Sea Watch“, vor kurzem bekannt geworden durch eine Beinahe-Kollision mit einem Schiff der libyschen Küstenwache, setzte einen Hilferuf ab. Ihr Boot sei vollkommen überladen und es gebe nicht genug Essen für die Geretteten. Die Migranten werden in der Regel vor der libyschen Küste von der italienischen Küstenwache, den Schiffen der EU-Mission oder von Hilfsorganisationen gerettet. Seit Anfang 2017 kamen in Italien mehr als 73.000 Menschen an, rund 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Die neuen Zahlen sind noch nicht eingerechnet, bis Ende 2017 werden mindestens 150.000 weitere erwartet. Seit 2014 kamen insgesamt mehr als 600.000 Migranten.

Früher hat das Land die Flüchtlinge einfach Richtung Norden weiterreisen lassen, mittlerweile hält man sich an das Dublin-Abkommen. Die Migranten werden registriert, versorgt und müssen ihren Asylantrag vor Ort stellen. So wirkt sich der Ansturm jetzt auch auf Italien stark aus: Fieberhaft wurden und werden Kasernen, leerstehende Lagerhallen, aber auch Turnhallen und Schulen in Aufnahmezentren umfunktioniert. Die Asylbewerber werden je nach Bevölkerungsdichte zwangsweise auf Kommunen im ganzen Land verteilt. Das bleibt, wie in Deutschland seit 2015, nicht ohne Auswirkungen auf die einheimische Bevölkerung, bei der der Widerstand wächst. Schon Mitte Juni hatte die Römer Bürgermeisterin, Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung, vergeblich den Stopp der Flüchtlingszuweisung gefordert.

Zuwanderung entscheidet Kommunalwahlen

Dieser Widerstand zeigte sich auch bei den Kommunalwahlen am 25. Juni: In mehreren Stichwahlen siegten Kandidaten der konservativen Forza Italia des früheren Premiers Silvio Berlusconi oder der rechtspopulistischen Lega Nord vor allem in Norditalien gegen die anderen Parteien. Betroffen waren meist Großstädte mit ohnehin schon hohem Ausländeranteil, unter anderem die ehemals roten Hochburgen Genua – seit 1945 ununterbrochen von linken Regierungen geführt –, L’Aquila, La Spezia und Pistoia. Sogar Sesto San Giovanni fiel – der Mailänder Arbeitervorort war so links, das er im Volksmund „Stalingrad Italiens“ hieß.

Von den insgesamt 22 Provinzhauptorten, in denen Stichwahlen stattfanden, wurden 16 von Mitte-Rechts-Kandidaten erobert, nur sechs von linken Kandidaten. Zuvor gab es dort 15 linke und sieben Mitte-Rechts-Bürgermeister. Von 16 größeren Städten, in denen vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) unterstützte Bürgermeister im Amt waren, wechselten zwölf zu Mitte-Rechts-Kandidaten. So wurde etwa der Grenzort Como, der im Zentrum einer Fluchtroute über die Schweiz steht, durch eine Allianz aus Lega Nord und Forza Italia erobert.