Der neue Mann an der ÖVP-Spitze: Außenminister Sebastian Kurz vor österreichischer und europäischer Flagge. (Bild: Imago/Xinhua/Pan Xu)
ÖVP

Kurz krempelt Österreich um

Das vorzeitige Ende der rot-schwarzen Koalition in Österreich ist praktisch besiegelt. Der Außenminister und neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz strebt ein einvernehmliches Ende des Bündnisses an. Seine Partei verändert er grundlegend – wie auch das Land.

Der 30-Jährige Kurz war einstimmig vom ÖVP-Bundesvorstand als neuer Parteichef nominiert worden. Er wolle die Zeit bis zum Sommer noch für die Umsetzung gemeinsamer Vorhaben nutzen. „Ich hoffe sehr, dass dieses Angebot angenommen wird.“ Kurz strebt Neuwahlen im Frühherbst an. Regulärer Wahltermin wäre erst im Herbst 2018 gewesen.

Kurz krempelt die ÖVP gründlich um

„Es waren sich alle einig, dass es so wie es war, nicht weitergehen kann. Es müssen nicht nur Köpfe getauscht werden, sondern vor allem muss sich auch die ÖVP verändern“, so begründete Kurz seine Änderungen innerhalb der ÖVP. Dafür akzeptierte der ÖVP-Bundesparteivorstand auch die sieben Bedingungen von Kurz für seine Vorstandskandidatur, die nun auch im Parteistatut verankert werden sollen.

  1. Die ÖVP wird nach dem Wunsch ihres neuen Parteichefs bei der Wahl als „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ antreten, die zwar von der ÖVP getragen wird, aber auch von anderen Organisationen und Personen ohne Parteibuch unterstützt werden kann. Er wolle „eine Bewegung starten mit bewährten Kräften aus der Volkspartei, aber gleichzeitig neue Leute mit an Bord holen“, kündigte Kurz nach seiner Wahl in einer Pressekonferenz an.
  2. Künftig hat der Bundesparteiobmann die alleinige Entscheidungskompetenz über den Generalsekretär und das Regierungsteam der ÖVP. Kurz kritisierte die bisherigen Mitspracherechte des ÖVP-Landesvorstands – inklusive der Landeshauptleute und Vertreter von Bauern-, Wirtschafts-, Arbeitnehmer- und Seniorenbund –, weil der Parteichef „sich nicht bewegen kann, keinen Entscheidungsspielraum hat, nicht gestalten kann. Weil es andere sind, die ihm vorschreiben, wer in seinem engsten Team zu sein hat“.
  3. Auch die Bundesliste soll künftig allein der ÖVP-Obmann bestimmen. Bei der Vorauswahl jener Kandidaten, die sich auf den Landeslisten der Volkswahl stellen, will Kurz als Bundesparteichef ein Veto-Recht haben. Damit bricht Kurz die Macht einzelner Landeshauptleute. Dazu beitragen soll auch ein parteiinternes Vorzugsstimmensystem, um eine „starke Verbindung zwischen Wähler und Politik“ zu ermöglichen. Mit der Vorzugsstimme kann die Reihung auf den Listen noch deutlich geändert werden – in der Wirkung ähnlich dem in Deutschland gebräuchlichen nach vorne „Häufeln“ von Kandidaten.
  4. Obendrein wird laut Kurz ein Reißverschlusssystem (abwechselnd Frauen und Männer) auf der Nationalrats-Liste eingeführt, um Frauen in der Politik zu stärken.
  5. Zudem hat er freie Hand für die Verhandlung von Koalitionen.
  6. Auch die inhaltliche Linie der Partei kann er künftig vorgeben.
  7. Der Bundesparteivorstand musste „schriftlich“ beschließen, dass diese Bedingungen im Statut der ÖVP verankert werden – damit sie nicht wieder in der Versenkung verschwinden. Fixiert werden soll das am nächsten Parteitag.

ÖVP sieht einzige Siegchance in Kurz

Auch wenn Kurz selbst einräumte, er habe einigen in der ÖVP viel abverlangt, gab es öffentlich kaum Kritik aus der Partei. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sagte im ORF: „Es war an der Zeit, dem Bundesparteiobmann die gleichen Rechte zu geben, wie wir sie in den Landesparteien haben.“ Die Landesobleute dürfen nämlich schon lange ihr Team selber bestimmen.

Es müssen nicht nur Köpfe getauscht werden, sondern vor allem muss sich auch die ÖVP verändern.

Sebastian Kurz, neuer ÖVP-Chef

Ihr Salzburger Amtskollege Wilfried Haslauer sagte: „Wir müssen effizienter werden in der Führung. Das bedeutet, dass Einzelinteressen zurücktreten müssen und man sich besser unter ein gemeinsames Dach stellen muss. Und das haben wir heute vereinbart.“ Der Landeschef der Steiermark, Hermann Schützenhöfer, lobte: „Natürlich verlässt er alte Pfade, und wenn man ausgetretene Pfade verlässt und einen neuen Weg geht, dann ist das logischerweise schwieriger – für ihn und auch für uns. Aber wir gehen mit ihm in eine neue Zeit, und ich hoffe, dass wir auch in Österreich in eine neue Zeit gehen, und nicht nur in der Volkspartei.“ Tirols Landeshauptmann Günther Platter bekundete „volle Unterstützung“. „Sebastian Kurz hat klare Vorstellungen, wie er die Partei modernisieren und erfolgreich in die Neuwahl führen will.“

Wir gehen mit ihm in eine neue Zeit.

Hermann Schützenhöfer, Landeshauptmann Steiermark

In der ÖVP ist allerdings auch niemand anderes in Sicht, der neuer Parteichef hätte werden können. Der Politologe Peter Filzmaier erörterte im ORF den Grund für die neue Bewegung: „Die Imagewerte und Vertrauensdaten von Sebastian Kurz sind besser als die der Partei, daher will man in der Wahl mit seinem Namen antreten.“ Kurz kommt seine klare und entscheidungsfreudige Linie in der Flüchtlingspolitik zugute, mit der er unter anderem die Balkanroute schließen konnte. Auch in Bezug auf die Türkei vertrat er eine harte, aber klare Linie.

Wer auf der geplanten „Liste Sebastian Kurz“ kandidieren wird, wollte der Noch-Außenminister nicht bekanntgeben. Zwar habe er in den vergangenen Jahren „viele tolle Menschen kennenlernen dürfen“, die sich in die Politik einbringen wollten. Auch habe er bereits „konkrete Personen“ im Kopf. Diese werde er aber erst zur Wahl präsentieren. Ganz so neu ist die Idee mit „unabhängigen Kandidaten“ allerdings nicht: Der letztlich siegreiche Präsidentschaftskandidat Alexander van der Bellen war 2016 formal als unabhängiger Kandidat angetreten – obwohl er jahrelang Parteivorsitzender der Grünen war und maßgeblich von den Grünen im Wahlkampf unterstützt wurde.

Einigung bei Wahltermin

Eine Mehrheit von 57 Prozent der Österreicher hält Sebastian Kurz für besonders geeignet, Bundeskanzler einer neuen Regierung zu sein. Amtsinhaber Kern sahen dagegen nur 49 Prozent als fähig an, wie aus der jüngst veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Market im Auftrag der Zeitung Der Standard hervorgeht. Den Chef der rechten FPÖ, Heinz-Christian Strache, halten nur 15 Prozent für geeignet.

Die Imagewerte und Vertrauensdaten von Sebastian Kurz sind besser als die der Partei, daher will man in der Wahl mit seinem Namen antreten.

Peter Filzmaier, Politikwissenschaftler

Das Parlament muss nun noch einem Neuwahlantrag zustimmen. Die rechte FPÖ und die Grünen in Österreich wollten, dass der Untersuchungsausschuss zur Eurofighter-Affäre zumindest noch bis Juni weiterarbeiten könne. Der Ausschuss will unter Vorsitz von Grünen und FPÖ die Umstände klären, die vor zehn Jahren zum teuersten und umstrittensten Rüstungsgeschäft Österreichs führten. Gewählt werden soll deshalb entweder am 8. oder am 15. Oktober. Die Regierung aus Sozialdemokraten und Konservativen will einen entsprechenden Antrag der Oppositionsparteien unterstützen.

Große Koalition völlig zerstritten

Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hatte laut Kurier bereits im Vorfeld gewarnt: „Wenn uns die ÖVP den Stuhl vor die Tür stellt, bedeutet das auch das Ende für eine Zusammenarbeit für sehr lange Zeit.“ Das rot-schwarze Bündnis regiert seit Ende 2013. Damals hatten SPÖ und ÖVP trotz erheblicher Stimmenverluste noch einmal knapp eine gemeinsame Mehrheit von 50,8 Prozent erreicht. Die Zusammenarbeit der beiden Volksparteien war aber von Anfang an eher eine Zwangsehe und von ständigen Querelen und gegenseitigen Schuldzuweisungen überschattet.

Für Europa bedeutet dies die mögliche Eröffnung eines neuen, unerwarteten Krisenherdes.

Corriere della Sera, zur FPÖ

Schon im Mai 2016 hatte der damalige Kanzler Werner Faymann aufgegeben. Er hatte nach parteiinterner Kritik die Konsequenzen gezogen und als Regierungschef und SPÖ-Vorsitzender den Hut genommen. Nachfolger Kern hatte im Januar 2017 die ÖVP ultimativ zu einer besseren Zusammenarbeit aufgefordert und seinerseits mit einem Ende der Koalition gedroht. Zuletzt war dann der Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner – entnervt vom Koalitionszwist und von parteiinternen Machtspielen – von allen Ämtern zurückgetreten. Ob Mitterlehner wie angekündigt am Montag seine Geschäfte übergeben kann, ließ Kurz ebenfalls noch offen. Dies hänge davon ab, ob Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) mit einer Minderheitsregierung ohne die ÖVP weitermachen wolle.

Die FPÖ entscheidet

In Umfragen liegt derzeit die SPÖ ebenso wie die Rechtspopulisten der FPÖ bei knapp 30 Prozent. Damit würde die FPÖ in einer Koalition entweder mit der SPÖ oder mit der ÖVP als Juniorpartner gebraucht oder im Fall eines Wahlsieges sogar den Kanzler stellen. Andere Koalitionen der SPÖ und der ÖVP mit Liberalen oder Grünen wären rechnerisch zumindest aktuell nicht wahrscheinlich. Die SPÖ hat unter Kern schon vor Monaten ihre bisherige strikte Ablehnung eines Bündnisses mit der FPÖ auch auf Bundesebene aufgeweicht. Auf Landesebene gibt es bereits eine rot-blaue Zusammenarbeit im Burgenland. Eine Regierungsbeteiligung der europafeindlichen FPÖ könnte auch Konsequenzen für die EU haben. „Europa könnte bald ein weiterer heikler Wahlgang bevorstehen“, kommentierte die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera am Sonntag. „Für Europa bedeutet dies die mögliche Eröffnung eines neuen, unerwarteten Krisenherdes.“