Die neue islamische Türkei mit Kopftuch: Das "neue" AKP-Mitglied Recep Erdogan (2.v.r.) mit Frau Emine (r.), AKP-Chef und Premier Binali Yildirim und dessen Frau Semiha. (Bild: Imago/Depo Photos)
Türkei

Der Sultan stellt ein Ultimatum

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die EU ultimativ zur Fortsetzung der Beitrittsgespräche mit seinem Land aufgefordert. Sie habe gar "keine andere Wahl", sonst würde die Türkei die Verhandlungen beenden.

„Ihr habt keine andere Wahl, als jene Kapitel zu öffnen, die ihr noch nicht eröffnet habt. Danach setzen wir uns an den Tisch und reden“, sagte Erdogan am Dienstag in Ankara. „Falls Ihr sie nicht öffnet: Auf Wiedersehen.“ Die Türkei sei nicht „Europas Lakai“. Erdogan forderte die EU auf, ihre „Versprechen“ zu halten, vergaß dabei allerdings, dass er es ist, der durch die Umwandlung der Türkei in eine Diktatur alle Verbindungen nach Europa kappt. Erdogan drohte, die Gespräche zu beenden: „Anderenfalls haben wir nichts mehr mit Euch zu verhandeln.“ Er machte damit indirekt klar, dass er in diesem Falle wohl auch den Flüchtlingspakt aufkündigen würde.

Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.

Recep Erdogan, 1998

Damit erfüllt Erdogan auch das Versprechen, dass er bereits 1998 mit einem Zitat in einer Rede ankündigte: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.“ Weiter zitierte Erdogan aus dem religiösen Gedicht: „Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Sein Ziel war die Machtübernahme in der Türkei, die Ersetzung der Demokratie durch eine islamische Diktatur und die Ausschaltung aller Gegner. Was er damals nicht sagte, aber durch seine späteren Handlungen zeigte: Helfen sollte ihm auf seinem Weg die EU, um die Macht der Armee zu brechen. Viele Experten warnten schon Anfang der 2000er Jahre die damalige Türkei-begeisterte rot-grüne Bundesregierung, dass Erdogans Ziel überhaupt nicht der EU-Beitritt ist.

Festgefahrene Verhandlungen

Die EU hatte im Dezember beschlossen, bis auf weiteres keine neuen Beitrittskapitel in den festgefahrenen Verhandlungen mit der Türkei zu eröffnen. Bei den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei sind von 35 sogenannten Verhandlungskapiteln derzeit 15 eröffnet. Erst eines – Wissenschaft und Forschung – wurde mit positivem Ergebnis vorläufig geschlossen. Zuletzt waren im Juni vergangenen Jahres Gespräche zu Finanz- und Haushaltsvorschriften (Kapitel 33) begonnen worden. Ein neues Kapitel kann nur dann geöffnet oder abgehakt werden, wenn sich alle 28 Mitgliedstaaten damit einverstanden erklären. Eine Aufnahme der Türkei in die EU wäre erst dann möglich, wenn die Verhandlungen über alle Kapitel erfolgreich abgeschlossen würden.

Todesstrafe als „rote Linie“ der EU

Erdogan hatte im Wahlkampf vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum vom 16. April seine Kritik an der EU noch einmal verschärft. Nach seinem knappen und nach Ansicht von Beobachtern manipulierten Sieg bei dem Referendum, über das nach Ansicht der OSZE in den staatlichen und anderweitig kontrollierten türkischen Medien absolut einseitig berichtet wurde, brachte er neue Volksabstimmungen über die Wiedereinführung der Todesstrafe und einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen ins Spiel. Die neue Verfassung entmachtet das Parlament und zementiert eine Alleinherrschaft des Präsidenten. Mehrere EU-Politiker haben allerdings die Wiedereinführung der Todesstrafe als „rote Linie“ bezeichnet, die bei Überschreitung zum Abbruch der EU-Gespräche führen würde.

Die Türkei erfüllt die Voraussetzungen für den EU-Beitritt längst nicht mehr.

Manfred Weber, EVP-Chef

EVP-Chef Manfred Weber stellte auf Facebook klar: „Über 45.000 Menschen sitzen in Untersuchungshaft, über 125.000 Beamte haben ihren Job verloren, 178 Medienhäuser wurden geschlossen: Die Türkei erfüllt die Voraussetzungen für den EU-Beitritt längst nicht mehr.“ Zudem seien über 110.000 Personen im Rahmen der Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung seit dem versuchten Militärputsch in Haft, darunter viele Journalisten, Richter, Staatsanwälte und Polizisten. Weber forderte erneut, die Beitrittsverhandlungen zu beenden und dafür auf eine umfassende Zusammenarbeit in verschiedenen Themenbereichen mit Ankara zu setzen. In einem Gastbeitrag im Focus, den Weber zusammen mit Guy Verhofstadt, Vorsitzender der ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament, Renate Sommer (CDU), ständige Türkei-Berichterstatterin der EVP-Fraktion sowie Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vizepräsident des Europäischen Parlaments, verfasste, schrieben die Autoren: „Angesichts der Entwicklungen in der Türkei können wir es uns nicht leisten, so zu tun, als sei nichts gewesen. Schließlich hat der Beitrittsprozess mittlerweile jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Das Vertrauen der Bürger darf nicht weiter aufs Spiel gesetzt werden.“

Gabriel: „Keine Ultimaten“

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel forderte angesichts der neuen Äußerungen Erdogans ein Ende von Ultimaten in der Krise mit der Türkei. „Ich kann nur raten, jetzt aufzuhören, sich gegenseitig Ultimaten zu stellen“, sagte er auf seiner Afrikareise in Äthiopien. „Der Weg der Türkei zur Europäischen Union ist klar beschrieben mit den Kriterien, die wir als Europäer haben“, sagte Gabriel. Was sich in letzter Zeit in der Türkei abgespielt habe, erfülle diese Kriterien nicht. „Wenn wir einen Neustart in den Bedingungen, den Beziehungen wollen, dann muss das von beiden Seiten ausgehen.“ Die EU sei offen für neue Gespräche, sagte Gabriel.

Erdogan bald wieder AKP-Chef?

Gut zwei Wochen nach seinem Sieg bei dem Verfassungsreferendum trat Erdogan am Dienstag in Ankara auch wieder der AKP bei, was nach der alten Verfassung verboten war. Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yildirim kündigte bei der Zeremonie in der Parteizentrale an, Erdogan am 21. Mai bei einem Sonderparteitag auch wieder für den Parteivorsitz zu nominieren. Es gilt als sicher, dass Erdogan dann wieder AKP-Chef wird. Erdogan gehört zu den Mitbegründern der AKP und führte die Partei bis zu seiner Wahl zum Präsidenten im August 2014.

Türkei verletzt „systematisch“ die Pressefreiheit

Zum Welttag der Pressefreiheit haben bayerische Journalistenverbände eine „systematische Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit“ in der Türkei angeprangert. In einem offenen Brief wandten sie sich an Mesut Koç, Generalkonsul der Türkei in München. „Gemeinsam appellieren wir an Sie, mit Ihren Mitteln darauf hinzuwirken, dass der türkische Staat die Presse- und Meinungsfreiheit so achtet, wie dies in demokratischen Ländern notwendig und üblich ist“, heißt es in dem Brief, den der Bayerische Journalistenverband, der Internationale Presseclub München und der Verein „Journalisten helfen Journalisten“ verfasst haben.

Journalistische Arbeit schließt auch die kritische Beurteilung staatlichen Handelns ein.

Appell der bayerischen Journalistenverbände

Mehr als 150 Journalisten seien inhaftiert worden, Verlagshäuser geschlossen oder unter Zwangsverwaltung gestellt. Hohe Staatsvertreter setzten die kritische Berichterstattung mit Terrorismus gleich, schrieben die Verbände und erinnerten: „Journalistische Arbeit schließt auch die kritische Beurteilung staatlichen Handelns ein.“ Die Pressevertreter erwähnen auch den Fall Yücel und forderten: „Deniz Yücel muss unverzüglich aus der Haft entlassen werden und nach Deutschland ausreisen können.“ Der 3. Mai war 1993 von der Unesco zum internationalen Tag der Pressefreiheit ausgerufen worden.

(dpa)