Es geht um die Zukunft der Eurozone
Letzte Chance für Athen: Einen Nacht-Gipfel lang haben Griechenlands wichtigste Gläubiger Reformforderungen für das Schuldenland fixiert. Jetzt muss die Regierung von Alexis Tsipras liefern – oder dem Grexit ins Auge sehen. Doch Kommissionspräsident Juncker macht Athen Versprechungen – und fällt damit der europäischen Gemeinschaft in den Rücken, kritisiert CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.
Griechenland

Es geht um die Zukunft der Eurozone

Letzte Chance für Athen: Einen Nacht-Gipfel lang haben Griechenlands wichtigste Gläubiger Reformforderungen für das Schuldenland fixiert. Jetzt muss die Regierung von Alexis Tsipras liefern – oder dem Grexit ins Auge sehen. Doch Kommissionspräsident Juncker macht Athen Versprechungen – und fällt damit der europäischen Gemeinschaft in den Rücken, kritisiert CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

Irgendwann muss alles Reden enden. In der Griechenlandkrise ist der Zeitpunkt jetzt gekommen. Ende Juni läuft die Verlängerung des zweiten Rettungspaketes für Griechenland aus. Wenn Athen sich nicht so rechtzeitig zu Reformen verpflichtet, dass die Geldgeber – Internationaler Währungsfonds (IWF), EU und Europäische Zentralbank (EZB) – die Reformversprechen auch überprüfen und billigen können, dann verfällt die 7,2 Milliarden Euro schwere letzte Tranche des zweiten Rettungspaketes. Aber ohne dieses Geld könnte Athen im Juni nicht insgesamt 1,5 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen, von elf Milliarden an Krediten und Zinsen, die bis August an andere Geldgeber fällig sind, nicht geredet. Folge: Griechenland ginge noch im Juni bankrott. Die griechische Notenbank könnte auch keine Notkredite der EZB mehr erhalten. Athen würden schnell die Euros ausgehen. Es müsste  eigene Geldnoten drucken und würde aus der Eurozone sozusagen herausfallen – der „Grexit“ wäre da.

Um Athen eine letzte Chance zu geben, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern abend Griechenlands größten Geldgeber zum Nacht-Gipfel im Bundeskanzleramt versammelt: Frankreichs Präsident Francois Hollande, IWF-Chefin Christine Lagarde, EZB-Präsident Mario Draghi und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Presseberichten zufolge sollten auf der Grundlage eines Kommissionspapiers ein letztes Mal Reformforderungen der Gläubiger abgesprochen und dann der griechischen Regierung übermittelt werden. Darin soll es unteranderem um Rentenkürzungen, einem höheren Renteneintrittsalter und einer Reform der Mehrwertsteuer gehen – was nur ein Teil des 2012 ausgehandelten Reformpaketes wäre.

Athen hat Rechnungen für 4,4 Milliarden noch nicht bezahlt

Zielmarke des Gläubiger-Gipfels in war offenbar, dass Athen in diesem Jahr etwa um drei Milliarden Euro höhere Einnahmen erzielt. Problem: Allein der Berg unbezahlten Lieferentenrechnungen, der sich bis jetzt in Athen aufgetürmt hat, beläuft sich auf mindestens 4,4 Milliarden Euro (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Schwierigkeiten dürfte in Berlin vor allen Dingen IWF-Chefin Christine Lagarde gemacht haben. Anders als ihre vier Gipfel-Partner kann sie keine politischen Kompromisse machen und einen Teil der schon vor drei Jahren ausgehandelten Reformforderungen einfach unter den Tisch fallen lassen. Der IWF darf nicht das Geld der internationalen Gemeinschaft verbrennen und Kredite an Empfänger vergeben, die Reformen verweigern und das Geld voraussichtlich nie zurückzahlen können. Lagardes Zwangslage könnte der Grund dafür sein, dass nach dem Berliner Nachtgipfel nur verlautete, es sei vereinbart worden, „mit großer Intensität“ weiter nach einer Lösung zu suchen.

Juncker fällt der europäischen Gemeinschaft in den Rücken

Wie auch immer. Jetzt ist Athen dran. Alexis Tsipras und seine linksradikal Syriza-Partei müssen sich nun wenigstens beim Thema Rentenkürzungen bewegen. Das hatte Syriza bislang ausgeschlossen und vier Monate lang jede Verhandlung über Reformdetails praktisch verweigert.

Hilfe gibt es nur gegen Reformen. Das ist die einzige Sprache, die die griechische Regierung versteht

Andreas Scheuer

Die politische Konstellation in Brüssel  macht es nicht leichter, Athen endlich – nach fünf Jahren Griechenlandkrise – auf den Reformpfad zu zwingen. Das größte Problem ist EU-Kommissionspräsident Juncker, der das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone jüngst mehrfach ausgeschlossen und damit Athens Geldgebern das Druckmittel aus der Hand genommen hat. Junckers Andeutung, Griechenland neue Milliarden zuschanzen zu wollen, sei „das völlig falsche Signal“, kritisiert denn auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: Damit falle Juncker der europäischen Gemeinschaft in den Rücken. Die Ansage der CSU sei klar, so Scheuer: „Hilfe gibt es nur gegen Reformen. Das ist die einzige Sprache, die die griechische Regierung versteht.“ Athen müsse jetzt liefern, eine Aufweichung der Forderungen dürfe es nicht geben, betonte der Generalsekretär. „Juncker macht einen Fehler, wenn er die griechische Regierung hätschelt. Wir brauchen keinen Hätschel-Tätschel-Juncker, sondern einen stabilen Euro.“

Wut in Finnland und Slowenien

Auch von anderer Seite steigt der Druck auf Athen – und auf die Kommission in Brüssel: In der neuen Koalitionsregierung in Helsinki hat der Rechtspopulist Timo Soini den Posten des Außenministers übernommen. Soini tritt schon lange dafür ein, Griechenland aus der Eurozone herauszuwerfen. Auch in Slowenien steigt die Wut auf Athen: Auf dem EU-Finanzministertreffen in Riga riss ist Finanzminister Dusan Mramor kürzlich der Geduldsfaden: Die EU solle endlich den Bankrott Griechenlands und den Grexit vorbereiten. Das kleine Westbalkan-Land, das nach schwerer Finanzkrise eben zu 2,6 Prozent Wachstum zurückgekehrt ist – und dafür keine EU-Rettung in Anspruch genommen hat –, muss mit 3,1 Prozent seiner Wirtschaftskraft für Griechenland-Kredite einstehen. „Und dabei ist die Hälfte meines Landes weniger entwickelt als Griechenland“, zitiert die FAZ Sloweniens Premierminister Miro Cerar.

Jetzt entscheidet sich, ob der Euroraum zu einer Transfer- und Haftungsgemeinschaft wird

Hans-Werner Sinn

Zwischen Berlin, Paris, Brüssel und Athen geht es jetzt um sehr viel – für die ganze Europäische Union, warnt in München Hans-Werner Sinn, der Direktor des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung ifo in einer eben veröffentlichten, so knappen wie ernüchternden Studie über die „die griechische Tragödie“:  „Jetzt entscheidet sich, ob der Euroraum zu einer Transfer- und Haftungsgemeinschaft wird, bei der große Teile dauerhaft alimentiert werden, oder ob er eine Währungsunion mit funktionierenden Volkswirtschaften wird, die sich im weltweiten Wettbewerb behaupten können, weil sie auch im inneren wettbewerblich aufgestellt sind.“

Mehr als nachdenklich macht in Sinns Bericht vor allem eine Zahl: Über 325 Milliarden Euro an öffentlichen Krediten hat Griechenland in den vergangenen fünf Jahren erhalten. Davon, so Sinn, dienten ein Drittel der Finanzierung der griechischen Leistungsbilanzdefizite – also dem Konsum –, ein Drittel der Tilgung von griechischen Auslandsschulden und ein Drittel der Vermögensanlage von Griechen im Ausland, soll heißen: der Kapitalflucht. Kein Wunder, dass Griechenlands Wirtschaft nicht profitiert. So kann es nicht weitergehen, nicht mit Griechenland und nicht mit der Eurozone: Irgendwann muss alles Reden enden.