Chaotisch: Großbritannien und der EU-Austritt. (Bild: Imago/Zuma Press/Alberto Pezzali)
Brexit

Nah und doch so fern

Die Europäische Union verfolgt beim Brexit eine harte Verhandlungslinie. Für den Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, wie auch für die deutschen EU-Abgeordneten ist klar, dass man zwar eng verbunden mit Großbritannien bleiben wird. Aber ebenso deutlich müsse sein, dass der Verbleib in der EU lohnender sei als ein Austritt.

Die Europäische Union verfolgt beim Brexit eine harte Verhandlungslinie. Gegen den Wunsch von Premierministerin Theresa May beharrt EU-Ratspräsident Donald Tusk darauf, in zwei getrennten Schritten zunächst den geordneten EU-Austritt zu klären. Und erst danach die Grundsätze für eine künftige Partnerschaft festzulegen. „Parallele Verhandlungen zu allen Themen zu beginnen, wie von einigen im Vereinigten Königreich vorgeschlagen, das wird nicht passieren“, sagte Tusk zu seinem Entwurf für Verhandlungsleitlinien.

Es werden harte Verhandlungen, aber es wird kein Krieg.

Joseph Muscat, Maltas Regierungschef und derzeitiger EU-Ratsvorsitzender

Der derzeitige EU-Ratsvorsitzende, Maltas Regierungschef Joseph Muscat sagte: „Es werden harte Verhandlungen, aber es wird kein Krieg.“ Beide Seiten hätten ein Interesse daran, Freunde zu bleiben. May hatte am Mittwoch den EU-Austritt nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft beantragt. Im Antrag erklärte sie, sie wolle die Trennung und die künftige Partnerschaft gleichzeitig klären. Bei dem scheinbar kleinteiligen Streit über die Reihenfolge geht es darum, in den Verhandlungen Druckmittel in der Hand zu behalten. Ein Austrittsabkommen muss bis März 2019 ausgehandelt und ratifiziert sein.

EU hat andere Prioritäten

Die EU will zuerst Rechtssicherheit für ihre Bürger und Unternehmen, wie es in Tusks neunseitigem Entwurf heißt. Insbesondere geht es um Aufenthalts- und Arbeitsrechte der rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien. Zweites Topthema ist die Schlussrechnung für Großbritannien für die milliardenschweren Verpflichtungen während der EU-Mitgliedschaft. Tusk nannte zudem als Priorität, eine „harte Grenze“ zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland zu vermeiden. Erst wenn die EU „ausreichenden Fortschritt“ bei diesen sehr schwierigen Themen feststelle, könne in einer zweiten Phase über Grundlagen künftiger Beziehungen gesprochen werden. Das von May gewünschte fertige Freihandelsabkommen schon vor dem Brexit schließt die EU-Seite aus.

Der Brexit selbst ist schon Strafe genug.

Donald Tusk

Tusk und Muscat betonten in einer gemeinsamen Pressekonferenz auf Malta auch, dass sich allein die EU-Seite vorbehält, das Startsignal für die zweite Phase der Gespräche zu geben – möglicherweise im Herbst. Er betonte, obwohl die Verhandlungen schwierig und bisweilen konfliktbeladen würden, verfolge die EU doch keinen „bestrafenden Ansatz“. „Der Brexit selbst ist schon Strafe genug“, sagte der Pole. „Nach mehr als 40 Jahren zusammen, schulden wir es einander, alles zu tun, diese Scheidung so glatt wie möglich zu gestalten.“ Die von Tusk vorgeschlagenen Leitlinien werden mit den 27 Mitgliedsländern abgestimmt und am 29. April auf einem EU-Sondergipfel in Brüssel verabschiedet. Auf dieser Grundlage soll ein ausführliches Mandat für EU-Unterhändler Michel Barnier beschlossen werden. Voraussichtlich wird die EU-Seite am 22. Mai startklar für die Verhandlungen sein.

Großbritannien steht weiter für Europas Sicherheit ein

May hatte in ihrem Austritts-Schreiben an Tusk auch eine weitere Sicherheitszusammenarbeit mit der EU nach dem Brexit angeboten. Teilweise wurde der Vorschlag aber so gelesen, dass sie ein günstiges Abkommen über die künftige Partnerschaft zur Voraussetzung mache. Großbritanniens Außenminister Boris Johnson widersprach am Freitag. „Ich möchte eines betonen“, sagte Johnson in Brüssel. „Der Einsatz des Vereinigten Königreichs für die Verteidigung und die Sicherheit dieser Region, Europas, ist bedingungslos und keine Verhandlungsmasse bei irgendwelchen Verhandlungen.“

Union will konsequente Verhandlungen

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plädiert für eine konsequente Haltung bei den Austrittsverhandlungen mit Großbritannien. „Wir wollen die Briten nah bei uns haben, aber es gibt keine Rechte ohne Pflichten“, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Das wird ein Lernprozess sein, auch und gerade für die Briten. Sie haben ihren großen Finanzplatz in London, aber sie werden den Zugang zum EU-Markt nicht wie gewohnt behalten, wenn sie nicht auch die Regeln des europäischen Raumes akzeptieren.“ Von den übrigen 27 EU-Mitgliedern forderte Schäuble Geschlossenheit. Man werde versuchen, „die verschiedenen EU-Staaten mit ihren speziellen Interessen gegeneinander auszuspielen“.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sorgt sich angesichts des Brexits und der Entwicklung in den USA unter Donald Trump um den freien Marktzugang für die Wirtschaft im Freistaat. „Mit dem Brexit wird unser drittwichtigster europäischer Handelspartner die EU verlassen“, schrieb der CSU-Chef in einem Gastbeitrag für das kommende Woche in München erscheinende vbw-Unternehmermagazin. „Wir müssen in den Brexit-Verhandlungen so schnell wie möglich die Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen und alles daran setzen, um neue Handelsschranken zu vermeiden.“

Für uns ist klar: Die Zeit des britischen Rosinenpickens ist vorbei.

Manfred Weber, EVP-Fraktionschef

„Die Geschichte wird zeigen, dass der Brexit ein gewaltiger Fehler ist. Beiden Seiten wird dadurch Schaden entstehen. Da sich die britischen Wähler aber für den Ausstritt entschieden haben, müssen wir dies respektieren“, sagte der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber. Die EVP-Fraktion dränge darauf, dass „zuerst die Scheidung geregelt wird, bevor über ein neues Abkommen gesprochen wird“. Am Ende müsse das Europäische Parlament dem Scheidungsvertrag zustimmen müssen. „Für uns ist klar: Die Zeit des britischen Rosinenpickens ist vorbei. Ab jetzt zählen für uns nur noch die Interessen der verbleibenden 440 Millionen Europäer.“

Es muss zu jedem Zeitpunkt klar sein, dass die Mitgliedschaft im Club Europa attraktiver ist als jegliche Alternativen.

Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter

Der CSU-Finanzexperte und erste stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament, Markus Ferber, erklärte: „Das Vereinigte Königreich mag zwar ein Mitgliedstaat mit Sonderrechten gewesen sein, es darf jedoch keinesfalls ein Nicht-Mitgliedstaat mit Sonderrechten werden.“ Und weiter kritisierte er: „Seit dem Referendum vor neun Monaten hat die britische Regierung eine Sache mehr als deutlich gemacht: sie kann sich nicht einmal auf die Grundzüge eines Verhandlungsansatzes einigen. Die Ideen, die von der britischen Regierung ins Spiel gebracht wurden, reichten von einer de-facto-EU-Mitgliedschaft bis hin zu einem vollständigem Bruch und einer Zukunft als Steueroase.“ Für Ferber ist eine Sache entscheidend: „Es muss zu jedem Zeitpunkt klar sein, dass die Mitgliedschaft im Club Europa attraktiver ist als jegliche Alternativen. Das wird auch das Vereinigte Königreich merken.“ Das Europäische Parlament solle von Anfang an mit am Verhandlungstisch sitzen.

Sorgen in der Agrarpolitik

Der CSU-Europaabgeordnete und Agrarexperte Albert Deß mahnte, Großbritannien importiere Agrar- und Ernährungsgüter im Wert von rund 50 Milliarden Euro jährlich, die britischen Agrarexporte belaufen sich auf circa 25 Milliarden Euro jährlich. Deshalb forderten die EU-Abgeordneten im Agrarausschuss unter anderem , dass der britische Rückzug aus der EU die Weiterentwicklung einer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im Einklang mit ihren grundlegenden Zielen nicht beeinträchtigen dürfe. Zudem solle die GAP sich weiterhin auf ein angemessenes Finanzierungsniveau verlassen können, unabhängig davon, wann der britische Rückzug wirksam wird. Schließlich wurde die Kommission aufgefordert, die Auswirkungen des britischen Rückzugs auf die Handelsbeziehungen der EU-27 mit dem Rest der Welt, sowohl im Rahmen der WTO als auch im Rahmen von bilateralen und regionalen Handelsabkommen, sorgfältig zu überprüfen.