Brexit: Großbritannien tritt aus der EU aus. (Bild: Imago/Christian Ohde)
Brexit

Kein Weg zurück

Neun Monate nach dem Brexit-Referendum reichte Großbritannien nun die Scheidungspapiere in Brüssel ein. Damit ist der Weg für die zweijährigen Austrittsverhandlungen mit der Europäischen Union frei. Die Folgen für die EU wie für Großbritannien werden weitreichend sein.

Großbritannien hat als erster Mitgliedsstaat in der Geschichte der EU offiziell den Austritt aus der Staatengemeinschaft eingereicht. Das bestätigte Premierministerin Theresa May im Parlament in London. Fast zeitgleich mit Mays Rede überreichte der britische EU-Botschafter Tim Barrow ein entsprechendes Schreiben in Brüssel. Die Briten hatten im vergangenen Juni in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt.

Damit ist der Weg frei für Verhandlungen, in denen die Verflechtungen zwischen Großbritannien und der EU gelöst werden müssen. Mehr als 21.000 Gesetze und Regeln sind davon betroffen. Bei etwa 500 Arbeitstagen bis zum Brexit müssen demnach täglich rund 40 Gesetze abgearbeitet werden. Im März 2019 endet dann voraussichtlich die EU-Mitgliedschaft des Landes.

Ein historischer Moment

„Das ist ein historischer Moment, von dem es keine Rückkehr geben wird“, sagte die britische Premierministerin Theresa May in London im Parlament. May versprach, Großbritannien werde auch nach dem Brexit weiter Europas „bester Freund und Nachbar sein“ und weiter die europäischen Werte teilen.

Dieser Tag ist einer der Freude für die einen, einer der Enttäuschung für andere.

Theresa May, Britische Premierministerin

Es gelte: „Wir alle wollen ein Großbritannien, das stärker ist als heute (…). Unsere besten Tage liegen jetzt vor uns.“ Die Regierung habe „einen klaren Plan“ für das Land. Dass fast die Hälfte der Briten gegen den EU-Austritt waren, machte May, selbst auch eine Brexit-Gegnerin, noch einmal klar: „Dieser Tag ist einer der Freude für die einen, einer der Enttäuschung für andere.“ Sie appellierte deshalb auch an den Zusammenhalt der vier Nationen Großbritanniens: „Wir sind eine große Union der Völker und Nationen mit einer stolzen Geschichte und leuchtenden Zukunft. Und jetzt, da die Entscheidung gefallen ist, die EU zu verlassen, ist es an der Zeit zusammenzurücken.“

Auch das Thema, das das Brexit-Votum maßgeblich entschieden hat, die Einwanderungsfrage, ließ May nicht unerwähnt: „Wir wollen Immigration steuern und die Besten in unser Land locken.“ May will einen „harten Brexit“: Großbritannien wird demnach auch aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion aussteigen und sich nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen.

Schwierige Umsetzung

Eine gewaltige Aufgabe steht Briten und Europäern nach 44 Jahren britischer EU-Mitgliedschaft bevor. Neben dem juristischen Kraftakt wird es auch ein diplomatischer Drahtseilakt, wollen doch beide Seiten möglichst viel erreichen – ohne sich dabei miteinander vollends zu überwerfen. Und das ganze unter Zeitdruck: Laut Artikel 50 des Lissabon-Vertrags haben beide Seiten genau zwei Jahre Zeit für die Austrittsgespräche inklusive aller Parlamentsbeteiligungen. Allerdings gibt es noch verschiedene Möglichkeiten, dieses Fristende zu verschieben.

Wir sollten nicht vergessen, dass das Vereinigte Königreich ein Partner bleibt.

Ulrike Demmer, stellvertretende deutsche Regierungssprecherin

Die übrigen 27 Länder haben eine gemeinsame Stellungnahme beim Sondergipfel am 29. April angekündigt. Auf EU-Seite müssen das Europaparlament und der Rat ihre Zustimmung zu dem Abkommen geben.

Großbritannien vor dem Zerfall?

Sogar Großbritannien könnte nach dem Brexit zerfallen: So ist die neue EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland ein heißes Thema, wo täglich 30.000 Pendler unterwegs sind. Sie könnte dem Handel schaden und alte Wunden in der Ex-Bürgerkriegsregion aufreißen. Viele Firmen produzieren in beiden Teilen Irlands. Oft wird auch das Produkt in Irland hergestellt, in Nordirland verpackt und dann wieder von Irland exportiert – wie etwa das berühmte irische Guinness-Bier. Zölle und Grenzkontrollen würden da enorme Kosten verursachen.

Träume über einen Austritt aus Großbritannien machen deshalb in Nordirland die Runde, aber auch in Wales und Schottland. Wie erwartet hat sich das schottische Parlament bereits für ein neues Unabhängigkeitsreferendum ausgesprochen. Schottland will zumindest im Europäischen Binnenmarkt bleiben.

Wir werden als ein Großbritannien verhandeln.

Theresa May

May lehnt einen solchen Sonderweg kategorisch ab. Sie will erst den Austritt aus der EU unter Dach und Fach bringen. „Wir werden als ein Großbritannien verhandeln“, sagte May in ihrer Rede. Andere Teile Großbritanniens wie Schottland sollten erweiterte Rechte erhalten.

Harte Verhandlungen stehen an

Zu den wichtigsten Themen gehören die Rechte der drei Millionen EU-Ausländer in Großbritannien, darunter 135.000 Deutsche. Im Gegenzug leben rund eine Million Briten in den EU-Ländern.

Deutschland lehnt Ausnahmen, Übergangsregelungen und Nachverhandlungen für Einzelbereiche ab, da strittige Fragen, wie etwa die Personenfreizügigkeit, später kaum einfacher zu verhandeln seien.

In London gibt es Politiker, die der Meinung sind, der Brexit sei zum Nulltarif zu haben.

David McAllister, CDU-Europaparlamentarier

Ärger deutet sich bei der Austrittsrechnung an. Experten sprechen von bis zu 60 Milliarden Euro, die die EU noch von Großbritannien verlangen könnt, weil der EU-Haushalt auf sieben Jahre geplant ist und der aktuelle Etat noch bis 2023 läuft. Auch die Pensionsverpflichtungen für EU-Beamte spielen eine Rolle. Die britische Premierministerin stellte solche hohen Zahlungen infrage.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU), erwartet aber, dass Großbritannien „allen eingegangenen Verpflichtungen nachkommen muss“. McAllister zur Oldenburger Nordwest-Zeitung. „In London gibt es Politiker, die der Meinung sind, der Brexit sei zum Nulltarif zu haben.“

Grundsätzliche Probleme

Der Chef der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), machte klar: „Wir haben die Interessen der 440 Millionen EU-Bürger im Blick. Das zählt für uns, nicht mehr die Interessen Großbritanniens.“ Und EU-Unterhändler Michel Barnier erklärte: „Drittstaaten können niemals die gleichen Rechte und Vorzüge genießen, weil sie nicht den gleichen Verpflichtungen unterliegen.“ Der Austritt muss die Briten schmerzen, da ist sich Brüssel mit vielen Regierungen der EU einig – schließlich will man solche Austritte nicht auch noch unterstützen. Großbritannien bleibt aber ein wichtiger Handelspartner und Verbündeter, auch das ist Konsens.

Wie die FAZ schrieb, könnte durch den Brexit insbesondere Deutschland verlieren. Großbritannien ist zweitstärkste Wirtschaftsnation, so stark wie die 20 kleinsten EU-Länder zusammen. Auch der wirtschaftspolitische Kurs der Briten gegen die südlichen Schuldenstaaten wie Italien und Frankreich war immer nah am deutschen Weg: Keine Transfer- und Schuldenunion. Doch das Stimmengewicht der Umverteilungsgegner reicht nach einem Brexit nicht mehr für eine Sperrminorität. Außerdem muss künftig auch entweder der britische EU-Beitrag als zweitgrößtes Zahlerland ausgeglichen oder die EU-Kosten reduziert werden. Die Bundesregierung rechnet intern schon mit mehreren Milliarden Euro zusätzlich für die EU.

Wirtschaft

Für Deutschland ist Großbritannien der drittwichtigste Handelspartner. Allein bayerische Unternehmen haben in Großbritannien Produktions- und Betriebsanlagen im Wert von 20 Milliarden Euro aufgebaut und 500 Niederlassungen mit 60.000 Mitarbeitern geschaffen. Britische Unternehmen haben in Bayern 220 Niederlassungen und 34.000 Mitarbeiter. Gibt es kein Abkommen mit gegenseitigem Marktzutritt, droht hier ein schwerer Rückschlag.

„Die Geschäftsperspektiven für Großbritannien sind in den vergangenen Monaten bereits in den Keller gerauscht“, sagte BIHK-Präsident Eberhard Sasse. Im vergangenen Jahr exportierten bayerische Unternehmen Waren im Wert von 14,9 Milliarden Euro nach Großbritannien – das entspricht rund acht Prozent aller Exporte aus dem Freistaat. Eine BIHK-Umfrage ergab, dass fast jedes zehnte bayerische Unternehmen Investitionsverlagerungen aus Großbritannien in andere Länder plant. Etwa 125.000 Arbeitsplätze in Bayern hängen vom Handel mit dem Vereinigten Königreich ab. Britische Unternehmen haben in Bayern 220 Niederlassungen und beschäftigen rund 34.000 Mitarbeiter.