Weihnachtsfreuden wie hier in Oberbayern? Nicht in der türkischen Diktatur von Erdogans Gnaden. (Bild: Imago/Peter Widmann)
Türkei

Das zwischenzeitliche Weihnachtsverbot

In einer von Deutschland mitfinanzierten Deutsch-Türkischen Schule in Istanbul wurde erstmals verboten, Weihnachten zu feiern oder zu besprechen. Nach heftigem Protest aus der Bundesrepublik rudert die türkische Schulleitung jetzt zurück: Weihnachten ist wieder erlaubt.

In einer E-Mail, die die Leitung der deutschen Abteilung der Schule an das Lehrer-Kollegium geschickt hatte, hatte es zuerst geheißen: „Es gilt nach Mitteilung durch die türkische Schulleitung eben, dass ab sofort nichts mehr über Weihnachtsbräuche und über das christliche Fest im Unterricht mitgeteilt, erarbeitet sowie gesungen wird.“ Die vom Bildungsministerium in Ankara eingesetzte türkische Schulleitung dementierte am Sonntag zwar umgehend, dass sie ein solches Weihnachtsverbot ausgesprochen habe. Allerdings hätten die deutschen Lehrer im Unterricht „vor allem in den letzten Wochen Texte über Weihnachten und das Christentum auf eine Weise behandelt, die nicht im Lehrplan vorgesehen ist“. Sie hätten dabei Aussagen gemacht, „die von außen betrachtet den Weg für Manipulationen freimachen“. Daraufhin habe die türkische Schulleitung „unverzüglich“ ein Treffen mit der Leitung der deutschen Abteilung einberufen. Dabei seien die deutschen Lehrer aufgefordert worden, solche „Gerüchte nicht zu befördern“ und im Sinne der „Zusammenarbeit der beiden Länder“ Sensibilität zu zeigen.

Ein unglaubwürdiges Dementi

Gegen diese neue Darstellung spricht ganz klar die von dpa veröffentlichte Mail (siehe Bild). Mehrere deutsche Lehrer in Istanbul bestätigten zudem Spiegel Online, es gebe Anweisungen, auf Weihnachtslieder und Adventsfeiern zu verzichten. Ebenso habe es die Aufforderung gegeben, Adventskalender aus den Räumen in der Schule zu entfernen. Auch die Teilnahme des Schulchors am traditionellen Weihnachtskonzert im deutschen Generalkonsulat am vergangenen Dienstag sei von der türkischen Schulleitung kurzfristig unterbunden worden. Da es ein Verbot für alle Lehrer gebe, mit der Presse zu sprechen, wollte niemand namentlich genannt werden, schrieb das Magazin. Hintergrund: Kritiker werfen der AKP-Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan schon seit seinem Amtsantritt 2002 vor, traditionell säkular geprägte Schulen wie das Istanbul Lisesi zunehmend auf ihren islamisch-konservativen Kurs zu zwingen. Im deutschen Lehrerkollegium herrscht nach Informationen der ARD schon seit langem erhebliche Verunsicherung, was den Kurs der Elite-Schule betrifft.

Reißt euch zusammen. Das hier ist die Türkei.

Mustafa Sentop, Vorsitzender der türkischen Verfassungskommission

Auch die Haltung der religiös-nationalistischen AKP-Regierungspartei findet belegt eher das Gegenteil des Dementis: Ein prominenter Abgeordneter der AKP hat den deutschen Lehrern „Missionierung“ vorgeworfen. Missionierung in staatlichen Schulen könne nicht erlaubt werden, twitterte der Vorsitzende der Verfassungskommission im Parlament, Mustafa Sentop. Er fügte hinzu: „Reißt euch zusammen. Das hier ist die Türkei.“ In einer Staatsschule könne die religiöse und politische Propaganda des deutschen Staates gegenüber türkischen Kindern nicht gestattet werden.

Deutschland zahlt

Die derzeit 35 deutschen Lehrer des Istanbul Lisesi werden von der Bundesrepublik entsandt und aus Steuermitteln bezahlt, was auf eine jährliche Förderung in Millionenhöhe hinausläuft. Das Elite-Gymnasium wird ausschließlich von türkischen Schülern besucht, ist aber eine anerkannte deutsche Auslandsschule. Der türkische Schulleiter dagegen wird direkt vom Bildungsministerium in Ankara ernannt.

Grundlage ist ein Zusatzvertrag zum Kulturabkommen zwischen Deutschland und der Türkei, wonach Deutschland bis zu 80 deutsche Lehrer an bestimmte türkische Schulen entsenden darf. Neben dem Istanbul Lisesi gibt es in Istanbul noch ein deutsches Gymnasium, das Alman Lisesi. Dort sind auch deutsche Schüler. Artikel 12 des Abkommens lautet: „Die Vertragsparteien werden bemüht sein, sich gegenseitig dabei zu unterstützen, ihren Völkern die Kenntnis der Kulturgüter des anderen Landes zu vermitteln.“

Deutliche Reaktionen

Der Weisung an dem deutsch-türkischen Elite-Gymnasium empört deutsche Politiker und Kirchenvertreter. Viele forderten, der Schule in Zukunft deutsche Steuergelder zu streichen. So zweifelte Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU) am Sinn der deutschen Unterstützung für die Schule: „Das zeigt für mich, dass es dort offenbar kein Interesse an einem offenen kulturellen Austausch mehr gibt. Deshalb muss man sich fragen, welchen Sinn eine solche deutsch-türkische Schule dann noch hat.“ Die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bosse-Huber, sagte der Funke Mediengruppe: „Die Kenntnis religiöser und kultureller Traditionen gehört zum Bildungsbasiswissen. Warum hier ausgerechnet jetzt ein Riegel vorgeschoben werden soll, ist nicht nachvollziehbar.“

Wir merken immer mehr, dass die Türkei in eine Autokratie abrutscht.

Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe

„Das Verbot des Weihnachtsfests an der Deutschen Schule in Istanbul durch türkische Behörden ist ein Schlag gegen die Lehr- und Religionsfreiheit“, sagte die Chefin der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, der Passauer Neuen Presse. Den Lehrern und Schülern das Fest zu verweigern und es sogar noch nicht einmal im Unterricht behandeln zu können, sei nicht nachvollziehbar. „Wir merken immer mehr, dass die Türkei in eine Autokratie abrutscht“, bilanzierte sie.

Weihnachten gehört zu Deutschland – und auch in eine deutsche Schule. Ohne Wenn und Aber.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprach von einem Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Das Vorgehen sei „ein erneuter Beweis, dass die Erdogan-Türkei alle Brücken nach Europa abreißt“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Weihnachten gehört zu Deutschland – und auch in eine deutsche Schule. Ohne Wenn und Aber.“ Bayerns Finanzminister Markus Söder sagte zur Bild-Zeitung: „Das Weihnachts-Verbot der türkischen Behörden darf die Bundesregierung nicht akzeptieren, auch nicht aus Rücksicht auf den Flüchtlings-Deal.“ Auch der Landtagsabgeordnete Klaus Steiner sagte auf Facebook: „Erdogan schickt uns seine staatlichen Religionslehrer und verbietet, dass an deutsche Schulen über Weihnachten gesprochen wird – welch ein Hohn. Ich bin auf die Stellungnahmen unserer Multi Kultis von SPD und Grünen gespannt, von denen ja manchen die christlichen Gebräuche ebenfalls ein Dorn im Auge sind, weil sie ihre multikulturellen Anbiederungsträume stören könnten.“ Ozan Iyibas, Chef des CSU-Arbeitskreises Migration, kommentierte: „Religiöse Pluralität? Säkularisation? Achtung von Minderheiten? Fehlanzeige in der Erdogan-Türkei! (…) Ich möchte nicht wissen, welche Diskussionen wir führen müssten, wenn der ähnliche Fall in Deutschland passiert wäre.“ Der Bundestagsabgeordnete Stefan Müller meinte: „Die Provokationen aus der Türkei werden immer grotesker. An Weihnachten feiern wir Christen Jesu Geburt. Ein Friedensfest! Was bitte kann schlecht daran sein, wenn Muslime im Schulunterricht lernen, wie ihr Prophet Isa von uns Christen gesehen und gefeiert wird? (…) Wer von Europa Respekt verlangt, muss umgekehrt auch unsere christlichen Traditionen respektieren.“

Parteiübergreifende Proteste

CDU-Vize Julia Klöckner sagte, dass Staatspräsident Recep Erdogan kulturelle Einflüsse der Nachbarländer quasi per Ansage verbieten wolle, sei „Ausdruck von Unsouveränität, Bevormundung und Abschottung“ und das Gegenteil von Freiheit und Aufklärung. „Wer freie Gedanken einebnen will, der ist aus Verblendung wohl auch zu weiterem fähig.“ CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach verlangte eine scharfe Reaktion der Bundesregierung. Das Verbot sei ein weiterer Beleg dafür, dass Erdogan das Land auf einen „intoleranten, konservativ-islamischen Weg“ wolle. „Wenn die Bundesrepublik Deutschland die Lehrer an diesen Schulen finanziert, dann kann sie auch die Inhalte des Unterrichts bestimmen“, erklärte der Religionsbeauftragte der Unions-Fraktion im Bundestag, Franz Josef Jung (CDU).

Erdogan hat sich offensichtlich in den Kopf gesetzt, auch die letzten Reste an religiöser und ethnischer Vielfalt gründlich auszumerzen.

Cem Özdemir, Grüne

Sogar die Grünen, die maßgeblich für den EU-Beitrittskandidatenstatus der Türkei verantwortlich sind, empören sich. Grünen-Chef Cem Özdemir erinnerte daran, dass die Türkei schon immer Heimat griechischer, aramäischer und armenischer Christen gewesen sei – lange bevor die ersten Türken und Muslime anatolischen Boden betreten hätten. Offensichtlich habe sich Erdogan in den Kopf gesetzt, „auch die letzten Reste an religiöser und ethnischer Vielfalt gründlich auszumerzen, wenn er sich selbst von harmlosen Weihnachtsliedern in seiner Herrschaft bedroht fühlt“. Deutschland dürfe nicht einfach zuschauen, wenn Erdogan ungeniert säkulare Einrichtungen auf seinen islamisch-konservativen Kurs bringt – dabei waren es gerade die Grünen, die dabei besonders gerne zusahen.

Wie lange will sich die Bundesregierung eigentlich noch wie ein Tanzbär am Nasenring in der Manege vorführen lassen? Wie lange will Kanzlerin Angela Merkel das wüste Treiben Recep Tayyip Erdogans, des Potentaten von Ankara, noch hinnehmen?

Kommentar in der Nordwest-Zeitung

Weihnachten jetzt wieder erlaubt

Die Proteste aus Deutschland haben jedenfalls Wirkung gezeigt: Nun kann das christliche Fest doch im Unterricht behandelt werden. „Nach gemeinsamer Sitzung zwischen der türkischen Schulleitung und der Leitung der Deutschen Abteilung kann ich Ihnen mitteilen, dass kein Verbot ‚Weihnachten‘ im Unterricht zu besprechen vorliegt“, hieß es am Montag in einer weiteren E-Mail der deutschen Abteilungsleitung an die deutschen Lehrer, die der dpa vorliegt. Auf der deutschsprachigen Internetseite der Schule wünscht man den Besuchern obendrein noch immer „Ein frohes Weihnachtsfest“.