Erpressung auf türkische Art
"Wenn Erdogan so weitermacht, gibt's keine Visafreiheit", sagt die CSU. Die Türkei droht damit, das Flüchtlingsabkommen mit der EU noch vor Jahresende aufzukündigen, sollte diese nicht kooperieren. Ein weiterer Vorwurf aus Ankara: Deutschland unterstütze den Terrorismus.
Flüchtlingsabkommen

Erpressung auf türkische Art

"Wenn Erdogan so weitermacht, gibt's keine Visafreiheit", sagt die CSU. Die Türkei droht damit, das Flüchtlingsabkommen mit der EU noch vor Jahresende aufzukündigen, sollte diese nicht kooperieren. Ein weiterer Vorwurf aus Ankara: Deutschland unterstütze den Terrorismus.

Die Türkei hat der Europäischen Union mit der Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens noch vor Ende dieses Jahres gedroht, sollte ihre Forderung nach Visafreiheit für türkische Bürger in der EU nicht bald erfüllt werden. Die Regierung sei mit der Geduld am Ende, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu der Neuen Zürcher Zeitung.

Unsere Geduld neigt sich dem Ende zu. Wir warten auf eine Antwort (der EU) in diesen Tagen. Wenn die nicht kommt, werden wir die Vereinbarung kündigen.

Mevlüt Cavusoglu, türkischer Außenminister

Die Türkei habe auf Forderungen aus Brüssel reagiert und ihre Anti-Terror-Gesetzgebung geändert, erklärte der Minister. „Wir halten uns an die Abkommen mit der EU und erwarten, dass Europa dasselbe tut. Wenn das nicht geschieht, werden wir die Abkommen mit der EU auf diesem Gebiet aussetzen.“ Auf die Frage, bis wann dies geschehen würde, erwiderte Cavusoglu: „Wir warten nicht bis Jahresende. Wir haben eigentlich Ende Oktober gesagt.“

Pressefreiheit in Gefahr

Die EU hatte Ankara Visaerleichterungen in Aussicht gestellt. Sie sind allerdings an die Voraussetzung geknüpft, dass die umstrittenen Anti-Terror-Gesetze geändert werden. Kritiker werfen der türkischen Führung vor, mit Hilfe dieser Gesetze politische Gegner und unliebsame Journalisten mundtot zu machen. Und diese Befürchtungen bestätigen sich beinahe jeden Tag. Die türkischen Behörden hatten erst am 31. Oktober 13 Mitarbeiter von der türkischen Oppositionszeitung Cumhuriyet, darunter auch Chefredakteur Murat Sabuncu, wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Organisation festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft der Zeitung vor, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben. Die Redaktion wies die Vorwürfe entschieden zurück und nannte die Festnahmen rechtswidrig.

Nachdem gerade Autoren der Cumhuriyet schon lange vor dem angeblichen Putsch 2015 die Verflechtung der Gülen-Sekte mit der türkischen Polizei und Justiz aufdeckten, liegt es nahe, dass diese Vorwürfe des Erdogan-Regimes vermutlich frei erfunden sind. Denn auch eine ungesunde Nähe zur kurdischen PKK kann gerade bei dieser Zeitung nicht festgestellt werden. So werden wohl alle Befürchtungen wahr, dass die Türkei auf dem Weg in eine islamische Diktatur ist.

Merkel jetzt „alarmiert“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die neuerlichen Verhaftungen von Journalisten in der Türkei als alarmierend bezeichnet und den Betroffenen Solidarität zugesagt. Zuvor war lediglich von „Besorgnis“ die Rede gewesen, was allgemein als viel zu schwach kritisiert wurde. Zugleich drohte Merkel Ankara jetzt indirekt mit Auswirkungen auf die EU-Beitrittsverhandlungen. Es sei „in höchstem Maße alarmierend, dass das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit immer wieder aufs Neue eingeschränkt wird“, sagte sie nach einem Gespräch mit dem Schweizer Bundespräsidenten Johann Niklaus Schneider-Ammann.

Die Journalisten können sich unserer Solidarität gewiss sein. Genau wie all diejenigen, die in der Türkei unter erschwerten Bedingungen für Presse- und Meinungsfreiheit eintreten.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Die Bundesregierung werde die nun folgenden Ermittlungen und Verhandlungen genau verfolgen. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, wies darauf hin, dass der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, nach den Verhaftungen die Redaktion der Zeitung Cumhuriyet besucht hatte. Dies sei ein deutliches Signal der Solidarität gewesen.

Der ehemalige Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, hatte der Bundesregierung zuvor vorgehalten, viel zu zögerlich auf die Verhaftungen reagiert zu haben. Die Reaktion der deutschen Regierung sei schwach, auch im Vergleich mit anderen westlichen Staaten, sagte Dündar der Welt. Seit Erdogans Amtsantritt sei die Bundesregierung immer wieder „besorgt“, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen für den Autokraten habe. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, die Bundesregierung habe wiederholt ihrer Sorge Ausdruck gegeben über das Vorgehen gegen die Journalisten in der Türkei. Pressefreiheit sei „zentral für jeden Rechtsstaat“. Von konkreten Konsequenzen wie etwa dem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen, den die CSU seit Jahren fordert, sprach Seibert jedoch nicht.

CSU sieht Visafreiheit „in weiter Ferne“

Wegen der Verhaftungen und der Diskussion um Einführung der Todesstrafe in der Türkei sehen Europapolitiker die Verhandlungen zur geplanten EU-Visafreiheit für türkische Bürger beeinträchtigt. Nach den neuen politischen Entwicklungen könnten sich diese nach Einschätzung des Vize-Präsidenten des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, womöglich verzögern. „So wird es auch 2017 nichts mit der Visafreiheit. Das ist dann allein die Schuld von Präsident Erdogan“, sagte er der Bild-Zeitung. Der Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Herbert Reul, sagte dem Blatt: „Wenn Erdogan so weitermacht, rückt die Visafreiheit in weite Ferne.“

„Deutschland öffnet den Schoß für Terroristen“

Dieser jedoch verschärft die Spannungen beider Länder erneut. Sein jüngster Vorwurf lautet: Deutschland unterstütze den Terrorismus. „Im Moment ist Deutschland eines der wichtigsten Länder geworden, in denen Terroristen Unterschlupf finden“, sagte Erdogan bei einer Zeremonie am 3. November im Präsidentenpalast in Ankara.

Man wird sich zeitlebens an Euch erinnern, weil Ihr den Terror unterstützt habt.

Recep Tayyip Erdogan, türkischer Präsident

Dabei gebe es in diesem Land eine Vielzahl an rassistischen Übergriffen gegen Türken. Es sei inakzeptabel, dass sich Deutschland für Menschen einsetze, „die die Türkei als Terroristen einstuft und deren Auslieferung sie verlangt, statt diese Angriffe zu verhindern“. Erdogan warf der Bundesrepublik vor, seit Jahren Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der linksterroristischen DHKP-C und der Gülen-Bewegung zu „beschützen“. Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch gegen Erdogan von Mitte Juli verantwortlich. Erdogan sagte, die Türkei sei besorgt, dass Deutschland „den Schoß für Terroristen öffnet“ und zum „Hinterhof“ der Gülen-Bewegung werde. Er verbat sich zugleich jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei, die „niemanden zu kümmern“ hätten. Die Bundesregierung wollte Erdogans Aussagen zunächst nicht kommentieren.

(dpa/AS)