Stadt des Schreckens
Die Lage in Aleppo wird immer dramatischer. Es fehlen Nahrungsmittel, Medikamente, Trinkwasser und Benzin, um Generatoren zu betreiben, unter anderem auch für die Krankenhäuser. Nirgendwo sind Menschen vor dem Beschuss sicher. Die UN verhandelt mit Russland über Kampfpausen von mindestens 48 Stunden.
Syrien

Stadt des Schreckens

Die Lage in Aleppo wird immer dramatischer. Es fehlen Nahrungsmittel, Medikamente, Trinkwasser und Benzin, um Generatoren zu betreiben, unter anderem auch für die Krankenhäuser. Nirgendwo sind Menschen vor dem Beschuss sicher. Die UN verhandelt mit Russland über Kampfpausen von mindestens 48 Stunden.

Wie ein Tag für den jungen Syrer Aref aussieht, entscheiden die Kampfjets. Erscheinen sie einmal nicht über dem Himmel der nordsyrischen Stadt Aleppo, geht er in den Sportclub, um Gewichte zu stemmen. Fast täglich aber ist das Dröhnen der Maschinen über der Stadt zu hören, dann dauert es nicht mehr lange, bis die Bomben fallen. Der Krankenpfleger und seine Kollegen in einer Klinik im Osten Aleppos müssen darauf vorbereitet sein. Es geht darum, Leben zu retten. Mit dem wenigen Material, das sie haben.

Eine Stadt in Trümmern

Aleppo im Sommer des Jahres 2016: Keine andere Stadt in dem Bürgerkriegsland hat seit Ausbruch des Konflikts vor mehr als fünf Jahren so sehr gelitten wie die einstige Handelsmetropole, die bekannt war für ihre wunderschöne Zitadelle und ihr ausgezeichnetes Essen. Heute steht Aleppo als Synonym für das Töten, das kein Ende nehmen will. Ganze Stadtteile liegen in Trümmern, vor allem im Osten der geteilten Metropole, der von Rebellen kontrolliert wird.

Täglich kommen Aufnahmen aus Aleppo, die das Ausmaß der Zerstörung zumindest erahnen lassen. Bilder wie die eines kleinen Jungen, der nach Angaben von Aktivisten Omran heißt und vier oder fünf Jahre alt ist. Helfer bargen ihn am Mittwoch nach einem Luftangriff aus den Trümmern und trugen ihn in einen Rettungswagen.

Nur noch 14 Ärzte harren aus

Der 21 Jahre alte Krankenpfleger Aref erlebt solche Szenen regelmäßig, wenn nach Luftangriffen Opfer eingeliefert werden. Er hat schon die schlimmsten Verletzungen gesehen, am Kopf, am Rücken, am Bauch, abgerissene Gliedmaßen. 14 Ärzte seien nur noch vor Ort, um die Patienten zu versorgen. Immerhin, seitdem Regimegegner eine Nachschubroute in Aleppos zuvor blockierte Rebellengebiete freigekämpft haben, ist die Versorgungslage etwas besser. Auch medizinisches Material gebe es wieder, berichtet Aref.

Wie soll ich leben, wenn ich ein Kind zurücklasse, das stirbt, weil ich Aleppo verlassen habe. Die Stadt ist meine Erde, meine Würde und meine Ehre.

Aref, Krankenpfleger in Aleppo

Der junge Mann träumte früher davon, Apotheker zu werden. Heute hat er sich ganz seiner Arbeit als Pfleger verschrieben. Seit vier Jahren lebt er in der Klinik. Aref hat darüber nachgedacht, die Stadt zu verlassen – aber das kommt für ihn trotz oder gerade wegen der Gewalt nicht infrage.

Elektrizität ist Luxus

Wie er leben nach Schätzungen noch bis zu 300.000 Menschen im Ostteil Aleppos, der jederzeit wieder von der Außenwelt abgeschnitten werden kann. Seit Tagen toben im Süden der Stadt heftige Kämpfe um die Nachschubroute der Rebellen. Eine dauerhafte Blockade könnte zu einer humanitären Katastrophe führen. Schon jetzt herrscht akuter Mangel an Lebensmitteln, auch wenn zuletzt einige Lieferungen ankamen und die Märkte wieder etwas feilbieten können, wie mehrere Aktivisten berichten.

Äußerst knapp sind auch sauberes Trinkwasser und Strom, der fast nur noch über Generatoren erzeugt wird – wenn es Treibstoff gibt. Weil die Wasserversorgung größtenteils zusammengebrochen ist, müssen die Menschen ihr Trinkwasser aus selbst gebohrten Brunnen holen. Oft ist es verschmutzt. Aber auch im von regimetreuen Kräften kontrollierten Westteil der Stadt, wo etwa 1,2 Millionen Menschen leben, mangelt es akut an Trinkwasser und Strom.

Das Schlimmste jedoch, sagt Einwohner Jichja al-Halabi, seien nicht die Entbehrungen. „Größere Angst haben wir in diesen Tagen davor, bei Bombardierungen verletzt zu werden. Weil es zu wenig Ärzte gibt.“ Jede schwere Verletzung kann den Tod bedeuten. Krankenpfleger Aref schreibt, er habe trotz allem noch immer Hoffnung. Jeden Morgen vor der Arbeit betet er: „Mit Gottes Hilfe werden wir siegen.“

Gewährt Russland Feuerpause?

Inzwischen hat sich Russland bereit erklärt, längere Feuerpausen zu unterstützen. Igor Konaschenkow vom Verteidigungsministerium in Moskau kündigte an, die erste 48-stündige Waffenruhe könne in der kommenden Woche ausgerufen werden. Ein genauer Zeitpunkt müsse aber zunächst mit den Vereinten Nationen abgestimmt werden, sagte er der Agentur Interfax. Die regelmäßigen Waffenruhen sollten dazu genutzt werden, die Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Russland unterstütze somit einen entsprechenden Vorschlag des UN-Sondergesandten de Mistura.

Hilfsorganisationen und die EU hatten Russland zuvor aufgerufen, die Feuerpausen zu akzeptieren. Eine angebotene drei Stunden lange Feuerpause reiche zur Versorgung mit Nahrung und Medikamenten sowie zum Abtransport von Verletzten nicht aus. Moskau unterstützt das Regime in Damaskus in dem Bürgerkrieg. Allerdings lief schon eine erste Ankündigung Russlands, täglich die Waffen drei Stunden schweigen zu lassen, ins Leere. Der Krieg ging unvermindert weiter.

Wege für Hilfskonvois versperrt

Mit einer symbolischen Protestaktion forderte der Syrien-Beauftragte der UN eine Unterbrechung der Kämpfe zur Versorgung Notleidender. Nach nur acht Minuten erklärte Staffan de Mistura in Genf eine Sitzung der UN-Arbeitsgruppe für die humanitäre Hilfe in Syrien für vorzeitig beendet. Damit werde die UN-Forderung nach freiem Zugang für Helfer zu Hunderttausenden notleidenden Menschen in umkämpften Städten und Regionen betont, erklärte De Mistura.

Nicht ein einziger Hilfskonvoi hat seit einem Monat eines der belagerten Gebiete erreichen können.

Staffan de Mistura, Syrien-Beauftragte der UN

Außenminister Frank-Walter Steinmeier stand nach den Gesprächen in Russland in den letzten Tagen in engem Kontakt mit den Vereinten Nationen und dem Sonderbeauftragten Staffan de Mistura, um die Voraussetzungen für eine längere Waffenpause zu klären. „Die Waffenpause ist ein entscheidender Schritt, um die Menschen vor Ort mit den dringend benötigten Nahrungsmitteln, medizinischer Hilfe und sauberem Wasser versorgen zu können“, sagt Steinmeier.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat die Gewalt in der umkämpften syrischen Stadt Aleppo scharf verurteilt. Kampfpausen von mindestens 48 Stunden sowie humanitärer Zugang zu den Betroffenen seien unverzichtbar, sagte DRK-Präsident Rudolf Seiters der Neuen Osnabrücker Zeitung. Diese Zeitspanne sei erforderlich, um Hilfsgüter zu den Betroffenen zu bringen und die zerstörte Infrastruktur, etwa Wasserleitungen, zumindest notdürftig in Stand zu setzen.

Tausende Folteropfer in den Gefängnissen

Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Bärbel Kofler, kritisierte gravierende Menschenrechtsverletzungen in den Gefängnissen des syrischen Regimes. Folter, Missbrauch, sexualisierte Gewalt, die Verhinderung des Zugangs zu medizinischer Versorgung und der Einsatz von Hunger als Waffe seien alltägliche Form der Kriegführung des Regimes.

In den staatlichen Haftzentren sind hunderttausende wahllos ausgewählte Zivilpersonen, oft Frauen und Minderjährige, Opfer von Folter.

Bärbel Kofler, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik

Seit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs vor mehr als fünf Jahren sind in den Gefängnissen des Regimes laut Menschenrechtlern fast 18.000 Menschen ums Leben gekommen. Die Häftlinge seien dort vom ersten Moment an schwerer Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

dpa/AS