In der Türkei geht Präsident Erdogan nach dem gescheiterten Putsch mit großer Härte gegen Kritiker vor - auch gegen die, die gar nichts mit dem Putsch zu tun hatten. (Bild: Imago/ZUMA Press)
Nach dem Putsch

„Die Türkei ist auf dem Weg zur Islamischen Republik“

Interview Ozan Iyibas sorgt sich um Freunde und Familie nach dem Putsch in der Türkei. Im Interview mit dem BAYERNKURIER spricht der Vorsitzende des CSU-Arbeitskreises Migration über die grassierende Angst vor den Säuberungen Erdogans, die "Gunst der Stunde" für den Despoten, und welche Reaktion er jetzt von Deutschland erwartet.

Herr Iyibas, wie haben Sie selbst und ihre Freunde und Verwandten in der Türkei den Putschversuch erlebt? Was wird Ihnen von Ihren Bekannten in der Türkei erzählt? Wie ist die Situation?

Ozan Iyibas: Meine Freunde und Verwandten – mein Cousin ist Journalist – in der Türkei haben in erster Linie Angst. Sie wissen nicht, was kommen wird und wie die Regierung auf diesen Putschversuch reagiert. Sie befürchten, dass die Rechte Andersdenkender noch weiter eingeschränkt werden. Dazu kommt die ohnehin schon schwierige Sicherheitslage dort. Die Anschläge des IS und der PKK haben die Bevölkerung vor Ort zusätzlich noch mehr verunsichert und eingeschüchtert.

Halten Sie es für realistisch, dass Erdogans Regime den Putsch inszeniert hat?

Iyibas: Das ist natürlich reine Spekulation. Meines Erachtens hat er eine Reaktion des Militärs – auch vor dem Hintergrund der Geschichte der Türkei – mindestens billigend in Kauf genommen. Die Aushebelung der Gewaltenteilung, Repressalien gegen Journalisten, die Aushöhlung des Militärs, die Pläne für ein Präsidialsystem – durch diese Maßnahmen hat Erdogan Teile des Militärs, die sich selbst als „Wächter der Demokratie“ sehen, provoziert. Dass er als absoluter Machtmensch diesen Putschversuch nun zum Anlass nimmt, seine Macht weiter auszubauen, ist jetzt deutlich sichtbar. Er schlägt somit zwei Fliegen mit einer Klappe: er säubert das Militär und er bringt das Justizsystem, das sich ihm in Teilen noch widersetzt hatte, unter seine Kontrolle.

Erdogan hat eine Reaktion des Militärs zumindest billigend in Kauf genommen.

Ozan Iyibas

Erdogan spricht von einer „Säuberung“, die er jetzt auch mit aller Härte durchführt. Werden aus Ihrer Sicht Minderheiten in der Türkei jetzt noch stärker verfolgt und diskriminiert?

Iyibas: Selbstverständlich! Erdogan wird meiner Meinung nach alles daran setzen, Menschen, die sich gegen sein Regime stellen, auszuschalten. Das bedeutet: Minderheiten und Andersdenkende werden noch stärker als bisher verfolgt und mundtot gemacht. Die Ankündigung, die Todesstrafe wiedereinzuführen, zeigt schon in diese Richtung. Das Puzzle setzt sich langsam zusammen: die Türkei ist auf dem Weg zu einer Islamischen Republik. Für die Rechte von Minderheiten bedeutet das nichts Gutes.

Wie sollte die deutsche Regierung Ihrer Meinung nach auf den Putsch und den Nachgang reagieren?

Iyibas: Die deutsche Regierung muss gegen Erdogan klare Kante zeigen. Wir müssen Ihm – auch als CSU – klarmachen, dass der aktuell eingeschlagene Weg mit unseren westlichen Werten unvereinbar ist. Ein Weiterführen der EU-Beitrittsverhandlungen oder auch Visa-Erleichterungen machen meiner Ansicht nach unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen überhaupt keinen Sinn. Alles andere wäre heuchlerisch gegenüber unserer Bevölkerung und auch gegenüber der Türkei. Die Bundesregierung muss nun schleunigst den Dialog mit Erdogan suchen und glasklar unsere Erwartungshaltung definieren. Die Türkei kann nur ein verlässlicher Partner sein, wenn sie auf den Weg der Rechtstaatlichkeit zurückfindet!

Wir müssen Erdogan klarmachen, dass der eingeschlagene Weg nicht mit unseren westlichen Werten vereinbar ist.

Ozan Iyibas

Tausende Richter und Staatsanwälte wurden unmittelbar nach dem Putsch entlassen, obwohl ihnen keine Verbindung zu dem Putsch nachgewiesen werden konnte. Offenbar standen sie auf einer „Abschussliste“, die irgendwann ohnehin zum Einsatz kommen sollte. Nutzt Erdogan den Putsch als Chance, alle übrigen Andersdenkenen endgültig loszuwerden?

Iyibas: Diese Entwicklung hat sich ja in den letzten Jahren mit der Einschränkung zahlreicher Grundrechte, den Repressionen gegen die Medien und der Aushebelung der Gewaltenteilung angekündigt. Erdogan hat im Prinzip nur noch auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um diese Liste aus der Schublade zu holen. Dies erinnert mich doch bei aller Vorsicht an die Situation in Deutschland in den 30er Jahren. Auch dort wurde mit dem Reichstagsbrand ein Vorwand genommen, um mit aller Härte gegen politische Gegner und die Demokratie vorzugehen. Dieser dilettantische Putschversuch hat Erdogan nur noch mehr gestärkt und er weiß nun seine Macht konsequent weiter auszubauen. Insgesamt eine sehr bedenkliche Entwicklung, die ich mit großer Sorge von Deutschland aus mitverfolge.