Bau- und Größenwahn: Der türkische Autokrat Erdogan bei der Eröffnung der Osman Gazi Brücke in Kocaeli, die nach dem Gründer des Osmanischen Reiches benannt ist. (Bild: Imago/Zuma Press)
Panama Papers

Die Bananenrepublik Türkei

Veröffentlichungen von NDR, SZ und der türkischen Zeitung Cumhuriyet zeigen auf, wie das Geflecht der Regierungspartei AKP in die Affäre der "Panama-Papers" verwickelt ist. Seit langem ist es in der Türkei ein offenes Geheimnis, dass Unternehmer, die sich gut mit der Regierung verstehen, auch gute Geschäfte machen – insbesondere Baufirmen. Die Enthüllungen werden bedrohlich: für die Journalisten.

Die „Panama-Papers“ zeigen laut Enthüllungen von NDR, SZ und insbesondere der türkischen Zeitung Cumhuriyet, dass regierungstreue Wirtschaftsbosse aus der Türkei Briefkastenfirmen nutzten. Die Tageszeitung Cumhuriyet, in der Vergangenheit mehrfach Attacken von Erdogans Gerichtsklagen-Zensur ausgesetzt, veröffentlichte am 24. Juni den Hinweis, man werde in Kürze über die Türken schreiben, deren Namen in den Panama Papers des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca auftauchen. Darunter druckte Cumhuriyet die Fotos von sechs Unternehmern. Fünf von ihnen stehen angeblich dem türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan und der Regierungspartei AKP nahe. Erdogan selbst taucht ebenso wie sein Marionetten-Premier Yildirim offenbar nicht in den Papieren auf. In den „Panama-Papers“ fanden sich bislang 13 aktuelle oder frühere Staats- und Regierungschefs sowie die Verwandten oder Vertrauten von Dutzenden weiteren.

Morddrohung gegen Journalisten

Die Panama Papers belegen jedoch, dass regierungstreue Wirtschaftsgrößen ihr Geld gerne in Briefkastenfirmen verstecken. Bereits kurz nach dem Vorbericht hat laut Cumhuriyet mutmaßlich einer der aufgeführten Firmenchefs namens Mehmet Cengiz bei der Zeitung angerufen und diese bedroht. Die SZ gibt dessen Worte so wieder: „Ihr schämt euch nicht, mein Gesicht auf die Titelseite zu setzen? Ich werde euch bekämpfen (…) Ihr Hurensöhne, macht keinen Killer aus mir.“ Nun sind Drohungen, Unrechtsurteile und Gewalt gegen Journalisten in Erdogans Türkei absolut keine Seltenheit (der Bayernkurier berichtete), aber so deutliche Morddrohungen sind selbst für das mittlerweile diktatorisch regierte Land am Bosporus etwas Neues. Dies gilt auch dann, wenn Cengiz nicht der Anrufer gewesen sein sollte.

Auf diese Weise jedenfalls ließ sich auch öffentliches Geld durch die Fassade einer Firma in die eigene Tasche stecken.

SZ

Die Medienberichte sind umfassend: Cengiz‘ Firma gehört zu einer Gruppe von Unternehmen, die unter anderem den neuen Istanbuler Flughafen bauen, einen der größten Airports weltweit und ein wegen seiner Umweltsünden umstrittenes Prestigeprojekt Erdogans, der zum osmanischen Größenwahn neigt. Der Unternehmer Cengiz steht zusammen mit seinem Bruder laut SZ „im Zentrum eines ganzen Netzwerkes von mindestens 20 Briefkastenfirmen“ mit „maximaler Verschleierung“. Auffällige Zahlungen in Millionenhöhe habe der Unternehmer nicht erklären wollen. Der Zweck dieser Zahlungen wird in der SZ nicht genannt, auch weil deren Tarnung so intensiv sei. Korruption lasse sich damit nicht belegen, auch wenn Indizien wie „Beratungshonorare“ darauf hindeuteten. Die SZ mutmaßt: „Auf diese Weise jedenfalls ließ sich auch öffentliches Geld durch die Fassade einer Firma in die eigene Tasche stecken.“ Kein Bauunternehmer habe in den vergangenen 14 Jahren mehr öffentliche Ausschreibungen gewonnen als Mehmet Cengiz, werde in der Türkei erzählt.

Die AKP steht für Korruptionsskandale

Cengiz war zudem auch in einen Korruptionsskandal verwickelt, der 2013 mehrere Minister ihr Amt kostete, obwohl alle die Vorwürfe bestritten. Auch mehrere Bauunternehmer, darunter Mehmet Cengiz, gerieten damals ins Visier der Fahnder. Sogar Erdogan und sein Sohn Bilal sollen laut einem veröffentlichten Telefongespräch und einer Fahnderliste, auf der Bilals Name stand, in schmutzige Geschäfte involviert sein. Erdogan nannte die Mitschnitte, auf denen angeblich er seinen Sohn anwies, Millionen vor den Fahndern zu verstecken, dreist manipuliert. Was die Wahrheit ist, wird vermutlich so schnell keiner erfahren. Die meisten der Polizisten und Staatsanwälte, die damals illegale Goldgeschäfte mit dem Iran, Bestechung und manipulierte Ausschreibungen aufdeckten, wurden auf Anweisung von Erdogan versetzt oder aus dem Dienst entfernt.

Die Bauwut der Regierung Erdogan bedeutet viele öffentliche Aufträge, bei deren Vergabe wunderbar getrickst werden kann.

In der Türkei wird allerdings nicht erst seit den durch eines dieser Bauprojekte ausgelösten Gezi-Park-Protesten an jeder Ecke erzählt, dass die Vetternwirtschaft und Korruption in dem Geflecht der „anatolischen Tiger“ rund um die streng islamische Regierungspartei AKP gewaltige Ausmaße angenommen hat. Insbesondere in der Bauwirtschaft, die durch Erdogans osmanische Prunk- und Geltungssucht viele große Bauprojekte planen und errichten durfte: Einen neuen Regierungspalast, einen neuen Flughafen, dazu neue riesige Brücken, neue Straßen, Bahnlinien, Häfen, gewaltige Moscheen und monströse Einkaufszentren. Auch die Energiebranche mit ihren Kraftwerken und Staudämmen soll stark korrumpiert sein. Der Grund dafür sind schlicht und einfach öffentliche Aufträge, bei deren Vergabe wunderbar getrickst werden kann – das kennt man beispielsweise auch aus Italien, Griechenland oder Spanien.

Das gebrochene Wahlversprechen

Die SZ weist auf eine besondere Ironie hin, nämlich das wichtigste Wahlversprechen der AKP: Transparenz. Die AK Partei steht für das Kürzel „Adalet ve Kalkinma Partisi“, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung. Zudem bedeutet AK im Türkischen „weiß“ oder „rein“ und das Logo der Partei sei obendrein noch eine Glühbirne. „Politiker sollten verpflichtet werden, ihren Wohlstand offenzulegen“, das versprach die AKP laut SZ in ihren Wahlkämpfen. „Von diesen Versprechen ist kaum etwas übrig geblieben.“ So habe der neue Premier Yildirim, kaum im Amt, eine Anti-Korruptionskommission seines Vorgängers aufgelöst, die allerdings ohnehin mit fast keinen Erwartungen gestartet war. Was die SZ vergisst: Korruption und Bestechung sind im Islam geächtet, etwa in der Koransure 2 Vers 188, auch wenn die nur für Richter gilt. So streng islamisch scheint die AKP also gar nicht zu sein.

Die SZ porträtiert auch die anderen fünf von Cumhuriyet aufgeführten Unternehmer und ihre dubiosen Geschäfte, bei denen es um Steuerhinterziehung, Medienaufkäufe oder von der AKP umsatzsteuerbefreiten Diamanthandel geht. Bis auf einen waren die Unternehmer alle eng mit der AKP oder der Präsidentenfamilie verbunden. Die Familie Cengiz stammt sogar aus der gleichen Stadt wie die Familie des Präsidenten.

In der Türkei läuft nun alles wie unter Erdogan üblich: Ein Istanbuler Gericht hat in den Tagen nach der Veröffentlichung Sperren für mehrere Online-Artikel zu den Enthüllungen angeordnet. Auf die Klagen gegen die Cumhuriyet darf man gespannt warten. Vielleicht sind es sogar wieder „Staatsgeheimnisse“, die die Zeitung öffentlich machte.

In Erdogans Visier: Cumhuriyet

Nachdem Cumhuriyet, eine der ältesten türkischen Tageszeitungen, 2015 über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an syrische Extremisten berichtete, wurden Chefredakteur Can Dündar und sein Büroleiter in der Hauptstadt Ankara, Erdem Gül, verhaftet. Präsident Erdogan hatte persönlich Strafanzeige gegen sie gestellt, wegen des „Verrats von Staatsgeheimnissen“. Dündar ätzte nach der Verhaftung, wenn Waffenlieferungen an Extremisten „Staatsgeheimnisse“ seien, dann könne doch etwas nicht stimmen. Außerdem sei schon dieser Vorwurf ein Eingeständnis der beobachteten Taten.

Am Tag der Urteilsverkündung schoss ein Attentäter auf Dündar und verfehlte ihn knapp. Kurz darauf wurden die beiden Journalisten auch noch zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Regierung in Ankara werden seit Jahren dauernde Angriffe auf die Pressefreiheit vorgeworfen. So hat Erdogan persönlich mehr als 2000 Mal Strafanzeige gegen Journalisten wegen Beleidigung seiner Person gestellt. Laut der Organisation „Reporter Ohne Grenzen“ (ROG) übt die Regierung zum Teil direkt Druck auf Journalisten aus, um unliebsame Berichterstattung zu verhindern. Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit rangiert die Türkei auf Platz 151 von 180. Beim Amtsantritt der AKP lag das Land noch auf Rang 99.