Der türkische Präsident Recep Erdogan. (Foto: Zuma-Press/imago)
Armenier-Resolution

Erdogan außer Rand und Band

Man durfte mit einer beleidigten Reaktion von „Sultan“ Erdogan rechnen nach der klaren Benennung des Völkermords der Türken an den Armeniern durch den Deutschen Bundestag. Aber dies? Der „Boss vom Bosporus“ attackierte die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten massiv und forderte gar einen Bluttest. Deutschland forderte er auf, erst einmal den Holocaust an den Juden aufzuarbeiten.

Nach der Völkermord-Resolution in Deutschland hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seine Angriffe auf türkischstämmige Abgeordnete im Bundestag verschärft. „Manche sagen, das seien Türken“, sagte Erdogan in Istanbul. „Was denn für Türken bitte?“ Erdogan sprach sich dafür aus, den Abgeordneten Blutproben entnehmen zu lassen, um ihre Abstammung zu klären. „Ihr Blut muss durch einen Labortest untersucht werden.“ Den Grünen-Chef Cem Özdemir, der zu den Initiatoren der am Donnerstag im Bundestag verabschiedeten Resolution gehörte, nannte Erdogan einen „Besserwisser“.

Mit Blick auf den Bundestag schimpfte der „wütende Sultan“: „Dort soll es elf Türken geben. Von wegen. Sie haben nichts mit Türkentum gemein. Ihr Blut ist schließlich verdorben.“ Weiter sagte Erdogan: „Niemand, in dessen Adern das Blut dieser Nation fließt, kann diese Nation mit dem sogenannten Völkermord beschuldigen.“ Bei der Resolution sei „ein Mastermind am Werk“ gewesen, der diese Resolution angeordnet habe. Er warf den Abgeordneten zudem vor, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK als verlängerter Arm in Deutschland zu dienen. „Es ist sowieso bekannt, wessen Sprachrohr sie sind“, sagte Erdogan. „Von der separatistischen Terrororganisation in diesem Land sind sie die Verlängerung in Deutschland.“

Bundesregierung weist die Angriffe scharf zurück

Die Bundesregierung wies die Angriffe Erdogans scharf zurück. Wenn einzelne Abgeordnete des Deutschen Bundestags in die Nähe des Terrorismus gerückt würden, so sei das in keiner Weise nachvollziehbar, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Hintergrund ist die Einstufung der Massaker an den Armeniern als Völkermord durch den Bundestag. Erdogan hatte den türkischstämmigen Abgeordneten vorgeworfen, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK als verlängerter Arm in Deutschland zu dienen.

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland distanzierte sich klar von den wütenden Angriffen Erdogans. Türkischstämmige Abgeordnete hätten Morddrohungen erhalten, sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Gökay Sofuoglu. „Morddrohungen und Bluttestforderungen finden wir abscheulich“, betonte er. Die Lage sei aufgeheizt. Weiter sagte Sofuoglu: „Wir können ja unterschiedlicher Meinung sein.“ Aber Menschen könnten nicht in der Öffentlichkeit so bloßgestellt und Angriffen freigegeben werden. „Ich denke, dass Leute nach Blut definiert werden, hat 1945 aufgehört. Das ist absolut deplatziert.“

Tatsächlich aber sind ziemlich viele türkische Organisationen sowie viele sehr laute Einzelpersonen hierzulande eine Art Sprachrohr von Erdogans streng nationalistisch-islamischer Partei AKP. Schließlich haben die bei uns lebenden Türken, die auch in ihrer Heimat wahlberechtigt sind, zu deutlich über 50 Prozent die AKP gewählt – auch wenn sie gewiss nicht jede seiner absurden Äußerungen, die von Demokratiefeindlichkeit und Unkenntnis über die Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland nur so strotzen, teilen werden.

Ausgerechnet Deutschland zur Geschichts-Aufarbeitung aufgefordert

Auch gegen die Bundesrepublik Deutschland insgesamt verschärfte Erdogan nämlich den Ton noch einmal drastisch. Deutschland sei „das allerletzte Land“, das über einen „sogenannten Völkermord“ des Osmanischen Reiches abstimmen solle, sagte er. Zunächst solle Deutschland Rechenschaft über den Holocaust und über die Vernichtung von mehr als 100.000 Herero in Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts ablegen. In Wirklichkeit arbeitet Deutschland – im Gegensatz zur Türkei – seine Geschichte bereits seit 70 Jahren vorbildlich auf. Dies wird auch international anerkannt.

Nach der Völkermord-Resolution wurde der deutsche Generalkonsul in Istanbul an seinem Grußwort zu den Absolventen einer türkisch-deutschen Eliteschule gehindert. Der von der AKP-Regierung in Ankara eingesetzte Leiter des „Istanbul Lisesi“ bat Generalkonsul Georg Birgelen laut dpa kurzfristig, seine Ansprache nicht zu halten. Schulleiter Hikmet Konar habe das mit einem entsprechenden Anruf vom Erziehungsministerium aus Ankara begründet. Befürchtet würden angeblich „Unmutsbekundungen“ der Schüler. Birgelen verließ die Veranstaltung daraufhin vorzeitig.

Später sprach der Mann vom Bosporus bei der Eröffnung eines neuen Gebäudes des „Vereins für Frauen und Demokratie“ in Istanbul. Hier stellte er noch seine moderne Sicht einer Familienpolitik klar: „Eine Frau kann im Berufsleben noch so erfolgreich sein, wenn sie die Mutterschaft ablehnt, wenn sie darauf verzichtet, ihren Haushalt zu führen, ist sie unvollständig und lückenhaft.“ Eine gute islamische Ehefrau müsse „mindestens drei Kinder“ gebären. Frauen, die für den Beruf auf Kinder verzichteten, „verleugnen ihre Weiblichkeit“, sagte Erdogan.

„Leute mit verdorbener Muttermilch“

Auch der türkische Justizminister Bekir Bozdag sprach Deutschland wegen der Judenvernichtung der Nazis das Recht auf die Völkermordresolution zu den Massakern an den Armeniern ab. „Erst verbrennst du die Juden im Ofen, dann stehst du auf und klagst das türkische Volk mit Genozid-Verleumdungen an“, sagte Bozdag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Mit Blick auf Deutschland fügte er hinzu: „Kümmere Dich um Deine eigene Geschichte.“ Die in der Resolution enthaltenen Genozid-Vorwürfe seien eine „Verleumdung“ des Volkes, des Staates, der Geschichte und der Vorfahren der Türken. Auf Twitter schrieb Bozdag zudem über die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten: „Leute mit so verdorbener Muttermilch, mit so verdorbenem Blut können niemals die türkische Nation repräsentieren.“

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf Deutschland vor, die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte überdecken zu wollen, indem „die Geschichte anderer Länder angeschwärzt wird“. Er kritisierte die Bundestagsentscheidung als „unverantwortlich und haltlos“. Kurz nach der Armenier-Resolution des Bundestages hatte die Türkei ihren Botschafter aus Berlin zu Konsultationen zurückgerufen. Dies teilte Ministerpräsident Binali Yildrim mit. In einer Rede in Ankara sprach er von einer „rassistischen armenischen Lobby“, die für die Entscheidung verantwortlich sei. Außerdem wurde der Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Ankara ins türkische Außenamt bestellt.

Noch keine Auswirkungen auf EU-Beitritt

Die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei gehen trotz aller Vorfälle der letzten Jahre weiter. In der Präambel der EU-Grundrechtecharta heißt es:

In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.

Diese Werte und Grundsätze müssten dann auch in der Türkei gelten.

(dpa/wog/avd)