Ein erster Angriff auf die kulturelle Freiheit? Der Minderheitensender ATR ist vom Netz. Bild: fkn
Krim-Krise

Krimtataren schauen in die Röhre

Ein weiterer Schritt in der Diskriminierung von Minderheiten? Der russische Staatsapparat hat jetzt den Sender der tartarischen Minderheit auf der annektierten Halbinsel Krim abgeschaltet. Der offizielle Grund scheint weit hergeholt - die Krimtataren jedenfalls sind alarmiert.

Die Minderheit der Tataren auf der Krim umfasst etwa 300000 Menschen – in Umfragen hat sich die klare Mehrheit von ihnen stets gegen den Anschluss der Halbinsel an Russland ausgesprochen. Der Grund: Die muslimischen Krimtataren fürchten um ihre kulturelle Identität und haben Angst, von der russischen Mehrheit entweder assimiliert oder vertrieben zu werden.

Ab sofort müssen die Krimtataren­ jedenfalls ohne eigenen Fernsehsender auskommen. Die russischen Behörden verweigerten dem einzigen unabhängigen Sender der Minderheit, ATR, die Lizenz, der Kanal wurde abgeschaltet und ist auf der Halbinsel nicht mehr empfangbar.

Nach der Annexion durch Russland hatten alle Medien-unternehmen auf der Krim russische Sendelizenzen beantragen müssen. ATR begleitete die Annexion der Krim äußerst kritisch und blieb auch danach eine russlandkritische Stimme.

Bei der Neuverteilung der Lizenzen hatten die Behörden dem Sender jetzt die Neuauflage der Lizenz verweigert. Vier Anträge seien wegen technischer Formalitäten zurückgewiesen worden, über einen fünften sei noch nicht entschieden, teilte ATR-Chef Lenur Isljamow in einer Stellungnahme mit. „Sie geben uns keine Lizenz, weil niemand garantieren kann, dass wir nicht irgendwann einen Aufruf ans Volk senden, dies oder jenes zu machen“, erklärte er.

Zugleich wurden ein Kinderkanal und zwei Radiofrequenzen abgeschaltet, die zur Medienholding ATR gehören. In der Ukraine ist der Sender zwar weiterhin empfangbar – sein Stammpublikum kann ATR aber nicht mehr erreichen.

Angst vor Verlust kultureller Identität

Die Einstellung des Senders in der Heimat fühle sich wie eine Deportation an, sagte Senderchef Isljamow. Der Schritt wird unter den Angehörigen der Minderheit als erster großer Schritt hin zu einer Diskriminierung ihrer Volksgruppe gewertet. Ihre Erfahrung mit Russland ohnehin nicht gut: Die Krimtataren wurden während des Zweiten Weltkriegs von der Sowjetunion wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen deportiert. In den 1980er-Jahren kehrten viele von ihnen auf die Krim zurück. Jetzt haben sie Angst, ihre kulturelle Identität zu verlieren.

Kritik an der Lizenzverweigerung für ATR kommt auch von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Dort hatte man den zunehmenden Druck der Behörden auf ­unabhängige Medien auf der Krim kritisiert und sprach von einem „eklatanten Angriff“ auf die Pressefreiheit, der als administrative Maßnahme getarnt sei.