Russische Aggression
Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wächst international die Sorge vor einer Eskalation. Russland macht faktisch das Asowsche Meer zur russischen See, schnürt die ukrainische Hafenstadt Mariupol ab und erhöht den Druck auf Kiew.
Ukraine

Russische Aggression

Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wächst international die Sorge vor einer Eskalation. Russland macht faktisch das Asowsche Meer zur russischen See, schnürt die ukrainische Hafenstadt Mariupol ab und erhöht den Druck auf Kiew.

US-Präsident Donald Trump erwägt angesichts des Ukraine-Konflikts die Absage eines Treffens mit Kremlchef Wladimir Putin beim G20-Gipfel in Buenos Aires Ende der Woche.

Er erwarte erst einen Bericht seines Nationalen Sicherheitsteams zur Krise in der Ukraine. Der werde entscheidend sein. „Ich mag diese Aggression nicht”, sagte Trump der Washington Post (Dienstag). Eine offizielle Reaktion aus Moskau dazu gab es zunächst nicht. Ein Treffen der beiden Präsidenten ist am Rande des G20-Gipfels in Argentinien am Freitag oder Samstag vorgesehen.

Poroschenko warnt vor Krieg

Unterdessen warnte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in einem TV-Interview vor der Gefahr eines russischen Einmarsches in sein Land: „Die Zahl der Einheiten, die entlang unserer ganzen Grenze stationiert wurden, ist um einiges gestiegen.” Der Ukraine drohe ein großangelegter Krieg mit der Russischen Föderation. Allein die Zahl russischer Panzer habe sich von September bis Oktober verdreifacht, so Poroschenko.

Konstantin Kossatschow, Chef des Außenausschusses im russischen Föderationsrat, entgegnete, sein Land habe einen Krieg gegen die Ukraine nie als Perspektive betrachtet. Er nannte Poroschenko aber einen „Präsidenten des Krieges”, wie die Agentur Interfax berichtete.

Die Ukraine hatte als Reaktion auf das russische Vorgehen im Meer vor der Halbinsel Krim beschlossen, erstmals das Kriegsrecht anzuwenden − etwa in den Grenzregionen zu Russland. Durch das Kriegsrecht erhält das Militär Sondervollmachten.

Ringen um Mariupol

Hintergrund für die neuen Spannungen in der Krim-Region ist die weitgehende Abriegelung des Asowschen Meeres durch Russland. Moskau macht das Azowsche Meer faktisch zum russischen Gewässer. Es schnürt so den ukrainischen Tiefseehafen Mariupol (450.000 Einwohner) ab. Mariupol war jahrzehntelang unverzichtbarer Exporthafen für die jetzt von Aufständischen besetzte ostukrainische Industrieregion Donbass. Während der Kampfhandlung in dieser Bürgerkriegsregion 2014 und 2015 drohte immer wieder der Vormarsch der durch russische Soldaten unterstützten Rebellen auf das wirtschaftlich und strategisch wichtige Mariupol.

Am vergangenen Sonntag hatte die russische Küstenwache Patrouillenbooten der ukrainischen Marine die Durchfahrt in der Meerenge von Kertsch vor der annektierten Halbinsel Krim verweigert – obwohl ein völkerrechtliches Abkommen von 2003 den freien Zugang für alle Schiffe gewährt. Ein ukrainischer Marine-Schlepper wurde von einem russischen Kriegsschiff gerammt und beschädigt. Russische Kräfte brachten zudem drei ukrainische Schiffe auf und setzten 24 ukrainische Matrosen fest. Dabei fielen auch Schüsse. Gegen die ersten Seeleute wurde inzwischen eine zweimonatige Untersuchungshaft verhängt. Die russische Justiz wirft ihnen illegalen Grenzübertritt vor. Bei einem Prozess in Russland drohen ihnen bis zu sechs Jahre Haft.

Westen will vermitteln

Jetzt wächst international die Sorge vor weiterer Eskalation. Die Nato-Staaten forderten Russland im Konflikt mit der Ukraine offiziell zu Zurückhaltung auf. „Es gibt keinerlei Rechtfertigung für Russlands Einsatz von militärischer Gewalt gegen ukrainische Schiffe und Marinepersonal”, hieß es in einer am Dienstag verabschiedeten Erklärung des Nordatlantikrates.

Kanzlerin Angela Merkel setzt zur Deeskalation auf eine vermittelnde Rolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die unterschiedlichen Darstellungen des Vorfalls vom Wochenende sollten an die OSZE gegeben und dort geprüft werden, sagte sie in Berlin. Die OSZE überwacht auch den Konflikt in der Ostukraine.

Moskau lehnt ab

Doch der russische Außenminister Sergej Lawrow hat ein deutsch-französisches Vermittlungsangebot schon abgelehnt. Die Behörden Russlands und der Ukraine könnten die Probleme selbst diskutieren, sagte er nach einem Gespräch mit seinem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian in Paris. „Sollte es irgendwelche technischen Fragen geben, die der ukrainischen Seite nicht ganz klar sind, könnten sie auf der Ebene der örtlichen Grenzbehörden beider Länder erörtert werden.”

Der Kreml warnte vor einer Eskalation der Lage in der Ostukraine. Nach Angaben von Sprecher Dmitri Peskow könnte das von der Ukraine verhängte Kriegsrecht eine Gefahr für die Sicherheitslage in der von Separatisten und Russland kontrollierten Konfliktregion darstellen. Die Spannungen dort könnten weiter zunehmen, warnte Peskow.

Neue Gas-Pipeline als Sicherheitsrisko

Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin verlangte indes in der Bild (Mittwoch), dass der Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 gestoppt werde. „In Anbetracht eines weiteren russischen Völkerrechtsverbrechens wie jetzt auf dem Asowschen Meer gegen die Ukraine ist nun endgültig klar: Das Appeasement des Aggressors, etwa durch lukrative Gaspipeline-Projekte, ist nicht zielführend, sondern bedrohlich.” Die Pipeline soll Gas aus Russland durch die Ostsee nach Westeuropa liefern, unter Umgehung der Ukraine.

Tatsächlich geht es dabei immer mehr um eine Frage der europäischen Sicherheit: Noch ist Russland für den Export seines Gases nach Europa auf das ukrainische Pipeline-System angewiesen. Solange das so bliebe, könne sich der Kreml allzu große Feuerwerke in der Ukraine nicht leisten, erinnert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das Blatt warnt: „Sobald Nord Stream 2 in Betrieb genommen wird, fällt diese Beschränkung weg.” Nord Stream 2 könnte so zum militärischen Sicherheitsrisiko für die Ukraine werden − und für Europa.

Manfred Weber: „Russische Aggression“

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), verlangte von Deutschland und der EU, sie müssten entschlossen gegen Russland vorgehen. „Es geht um klare Ansagen”, sagte er der Passauer Neue Presse (Mittwoch). „Sollte Russland nicht einlenken, müssen der Westen und Europa den Druck auch mit wirtschaftlichen Sanktionen erhöhen.”

„Wir verurteilen die russische Aggression im Asowschen Meer scharf”, kommentierte über Twitter der EVP-Spitzenkandatidat für die kommende Europawahl, Manfred Weber. Moskau müsse die festgesetzten ukrainischen Seeleute und Schiffe sofort freigeben. Weber weiter: „Dieser neuerliche Einsatz von Gewalt zeigt, dass wir uns und unsere Verbündeten besser gegen russische Einschüchterung schützen müssen.” (dpa/BK/H.M.)

Die seerechtliche Lage im Asowschen Meer

Russland und die Ukraine haben das Asowsche Meer 2003 in einem Vertrag zu einem gemeinsam genutzten Territorialgewässer erklärt. Das flache Binnenmeer, mit 39.000 Quadratkilometern etwas kleiner als die Schweiz, ist nur durch die Meerenge von Kertsch mit dem Schwarzen Meer verbunden. Die Seegrenze sollte extra festgelegt werden.

Handels- wie Kriegsschiffe beider Länder dürfen dem Vertrag zufolge das Asowsche Meer wie auch die Meerenge frei benutzen. Handelsschiffe anderer Staaten können ukrainische und russische Häfen anlaufen. Für Besuche ausländischer Marineschiffe in einem Land ist aber die Zustimmung des jeweils anderen Landes erforderlich.

Schwierig ist die Lage, seit Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim völkerrechtswidrig mit Gewalt annektiert hat. Früher gab es mehrere Lotsendienste, jetzt nur noch einen russischen Dienst im Hafen von Kertsch auf der Krim. Mit der Eröffnung der neuen Brücke zur Krim hat Russland den Zugriff auf dieses Nadelöhr der Schifffahrt ausgedehnt. Auch kleinere Schiffe dürfen jetzt nur mit russischen Lotsen passieren.

Durchfahrtsfreiheit

Das Abkommen von 2003 garantiere die „wechselseitige Durchfahrtsfreiheit” durch die Meerenge von Kertsch, weil beide Staaten den Zugang zu ihren Küstenstädten bräuchten, sagte der Seerechtsexperte Alexander Proelß der Neuen Osnabrücker Zeitung. Eine Sperrung der Meerenge durch Russland verletze zwangsläufig die Souveränität der Ukraine, sagte der Professor der Uni Hamburg – schon, weil die Krim immer noch zur Ukraine gehört.

Seit mehreren Monaten hat der russische Grenzschutz auch die Kontrollen bei der Ein- und Ausfahrt in die Straße von Kertsch sowie im Asowschen Meer verstärkt. Nach ukrainischen Angaben sind hunderte Schiffe, die Häfen in der Ukraine anlaufen wollten, über Tage oder Stunden festgehalten worden. Die Ukraine hat russische Fischkutter von der Krim festgesetzt, weil sie deren Heimathäfen als ihr Staatsgebiet ansieht. Moskau zog mit gleichen Maßnahmen nach und hatte sich außerdem bereits bei der militärischen Besetzung der Krim ukrainische Schiffe rechtswidrig angeeignet. (dpa)