Diskussion um Europas Zukunft: Grundsatzkommissionschef Markus Blume (li.) und der EVP-Fraktionschef Manfred Weber sprachen mit zahlreichen Politikern beim Kongress der CSU-Grundsatzkommission in Augsburg. (Bild: CSU)
CSU-Europakongress

„Europa ist mehr als nur ein Markt“

Mit einem flammenden Appell an den Zusammenhalt Europas - auch und gerade in Zeiten unterschiedlicher Auffassungen - ist der Europakongress der CSU-Grundsatzkommission in Augsburg zu Ende gegangen. Die hochkarätig besetzte Veranstaltung kam zu dem Schluss: Die Wertegemeinschaft Europa ist ein Projekt, für das es sich zu kämpfen lohnt.

„Wir befinden uns in unglaublich bewegten Zeiten – außenpolitisch, innenpolitisch und wirtschaftlich“, sagte der Chef der CSU-Grundsatzkommission, Markus Blume, zu Beginn des Zukunftskongresses in Augsburg. Dabei sei es besonders wichtig, sich über diese Entwicklungen auszutauschen – gerade und ganz besonders auf europäischer Ebene.

Um das neue Grundsatzprogramm der CSU auf die Herausforderungen der Zukunft einzustellen, hatte Markus Blume zu einem Kongress rund um das Thema Europa eingeladen. Denn das Thema ist angesichts diverser Krisen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Brüssel und den Nationalparlamenten der Mitgliedsstaaten aktueller denn je. „Der Kontinent driftet bei einigen Themen auseinander“, sagte Blume. „Der Umgang mit Flüchtlingen, die Debatte um den Euro, das Demokratieverständnis mancher Mitgliedsstaaten oder ein unterschiedliches Verständnis von Sicherheit. Das sind Kernbereiche der EU – darüber müssen wir sprechen“, sagte der Kommissionschef.

Blume hatte hochkarätige Vertreter aus Politik und Wirtschaft nach Augsburg eingeladen: Unter den Gästen waren der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel, der EVP-Fraktionschef Manfred Weber oder der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg.

„Europa ist ein Thema, das alle angeht und alle politischen Ebenen betrifft“, stellte Markus Blume zu Beginn der Podiumsdskussion fest. Daher freue er sich auf einen Meinungsaustausch mit Vertretern aus der Europa-, Bundes, Landes- und Kommunalpolitik. Blume selbst macht keinen Hehl aus seiner persönlichen Meinung: „Ich denke, wir brauchen ein starkes Europa.“ Europa sei kein Projekt der Technokraten, sondern ein Projekt, das gelebt werden müsse.

Weber: „Europa ist gerade für Bayern wichtig“

EVP-Fraktionschef Weber machte deutlich, wie wichtig Europa gerade für die Menschen in Bayern seien. „Wir haben in Bayern einen 50-prozentigen Exportanteil ins EU-Ausland“, sagte er. „Sogar im ländlich geprägten Niederbayern ist der Anteil so hoch. Von Europa profitieren alle Menschen, gerade im Freistaat.“ Auch die Diskussion um eine europäische Leitkultur sieht Weber gelassen. „Was unterscheidet denn die deutsche Leitkultur von der österreichischen, tschechischen oder französischen? Ich denke, unsere Prinzipen sind universell auf diesem Kontinent.“

Der CSU-Politiker plädierte dafür, das europäische Parlament nicht mehr als „Zusammenkunft der EU-Nationalstaaten“ zu sehen, sondern als eine weitere parlamentarische Ebene, die denselben Stellenwert habe wie der Land- oder Bundestag.

Das Europaparlament ist mehr als eine Zusammenkunft der EU-Nationalstaaten.

Manfred Weber

„Europa ist mehr als ein Markt“

„Wir müssen aber auch lernen, die Meinungen und Wünsche aller Mitgliedsstaaten zu respektieren – auch jene, die uns nicht unbedingt gefallen“, sagte Weber mit Blick auf das Verhalten osteuropäischer Staaten in der Flüchtlingsfrage, etwa in Ungarn oder Polen. Es sei wichtig, Europa nicht nur als Verbund von Nationalstaaten mit Eigeninteressen zu sehen. „Europa ist mehr als das. Europa ist mehr als ein ‚Markt‘.“ Man müsse daher gerade in der europäischen Außenpolitik davon wegkommen, einstimmige Entscheidungen treffen zu wollen – vielmehr müsse auch hier in Zukunft danach gehandelt werden, was eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten wolle.

Schwarzenberg erklärt Haltung der östlichen EU-Staaten

Der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg stimmte den Worten Manfred Webers in weiten Teilen zu und warf einen Blick auf die unterschiedlichen Auffassungen von Solidarität innerhalb der EU. Osteuropa habe einen ganz anderen geschichtlichen Hintergrund als die anderen Staaten der EU, betonte Schwarzenberg. „In West- und Mitteleuropa sind die Reformen in der Geschichte entweder von unten – durch Revolution – oder von oben, durch politische Reformen, entstanden. Dies sei im östlichen Teil Europas nicht der Fall – „und das muss man wissen, wenn man die Haltung der osteuropäischen Staaten analysieren will. In den dortigen Ländern habe sich aus historischen und politischen Gründen keine „Willkommenskultur“ nach westlichem Vorbild entwickeln können.

„Veränderung im Denken braucht länger als Veränderung in der Struktur“

Schwarzenberg gab in seiner Ansprache der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel in weiten Teilen Recht. „Ich denke auch, dass wir Flüchtlinge integrieren können – es fehlt nur, gerade in meinem Land – der Wille.“ Dieser aber sei ebenso wichtig wie wirtschaftliche und gesellschaftliche Voraussetzungen, um Integration erfolgreich gestalten zu können. Trotz all der unterschiedlichen Auffassungen, die gerade tschechische Politiker gegenüber westlicher Einstellungen hätten – Schwarzenberg spielte damit auf den Putin-Besuch von Horst Seehofer an – sei Europa ein Projekt, für das es sich zu kämpfen lohne.

Ich glaube, in Tschechien fehlt es bei der Integration auch am Willen.

Karel Schwarzenberg

Konrad: Jedes EU-Mitglied hat eigene Interessen

Der geschäftsführende Direktor für Steuerrecht der Max-Planck-Stiftung, Kai Konrad, bezeichnete sich selbst als „hundertprozentigen Europäer“ – das bedeute aber nicht, dass Konrad mit allem einverstanden sei, was in der Europäischen Union derzeit geschehe. „Wir alle verfolgen individuelle Ziele, auch in der Familie“, stellte Konrad fest. Doch in einer Familie sorge man mit Kompromissen dafür, dass jeder das Höchstmaß seiner eigenen Interessen durchsetzen könne, ohne die anderen Familienmitglieder einzuschränken. Genauso verhalte es sich in der EU. In Zukunft müssten politische Themen, die keine oder nur eine untergeordnete europäische Dimension hätten, wieder zurückgeführt werden in die Länder und Regionen, die es betreffe. Das würde dafür sorgen, dass die Europäische Union Zeit und Kapazitäten hätte, sich um jene Themen zu kümmern, die laut Konrad „ganz klar auf die höchste politische Ebene einer größeren Gebietskörperschaft gehöre“ – etwa die Flüchtlingspolitik.

In Konrads Fachgebiet – der Finanzpolitik – sieht der Professor die Nationalismen der EU-Staaten dagegen immer mehr im Aufwind. „Bei der EZB sind die nationalen Linien immer deutlicher sichtbar.“

Stärkerer Austausch mit Großbritannien?

Konrad regte an, die Bundesrepublik solle sich künftig in ähnlich starke bilaterale Konsultationen mit dem EU-Wackelkandidaten Großbritannien zu treten – „ähnlich, wie man es mit Frankreich macht.“ Deutschland und Großbritannen seien, was ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele betreffe, „sehr nah beieinander“, sagte Konrad.

„Deutschland ist im Umgang mit der EU realistischer geworden“

Die in Berlin lebende französische Publizistin Pascale Hugues warf einen Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen – und plädierte dafür, diese Beziehungen noch weiter zu intensivieren. Noch in ihrer Generation habe die im Elsass aufgewachsene Journalistin mit einer gewissen Portion Neid ins benachbarte Baden-Württemberg und das dort herrschende Wirtschaftswunder geblickt. Heute aber, so betonte Hugues, gebe es keinen Hass und keine Ressentiments mehr zwischen den beiden Ländern.

Dennoch wackle die viel beschworene deutsch-französische Freundschaft zur Zeit wie seit langer Zeit nicht mehr. „In der Flüchtlings- und Finanzfrage kommen alte Vorurteile auf beiden Seiten wieder zum Vorschein“, beklagte Hugues. In Frankreich sei es ganz normal, stolz auf das Land zu sein. In Deutschland dagegen sei man zwar lokalpatriotisch gewesen, sagte die Publizistin. „In erster Linie aber waren die Menschen stolz, Europäer zu sein.“ Mittlerweile sei man hierzulande offenbar „etwa realistischer“ geworden, wenn es um die EU gehe. Heutzutage sei es in Europa durchaus normal, „zwischen den Stühlen“ der Nationen zu stehen, sagte Hugues. Das aber sei nichts schlechtes, sondern eine „ganz und gar positive Entwicklung“.

Waigel zieht positive Bilanz Europas

Bei der Diskussion mit den mehreren Hundert Teilnehmern des Zukunftskongresses meldete sich uch der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel zu Wort. Er zog eine durchaus positive Bilanz der vergangenen fünf Jahre in der EU und verwies auf die guten wirtschaftlichen Entwicklungen der verschuldeten Länder Portugal und Irland. Generell sei die Europäische Union eine absolute Erfolgsgeschichte.

„Wenn ich mir, als Mann von 77 Jahren, der sich mit 18 Jahren gefragt hat, wo mein Leben in einem damals alles andere als geeinten Europa hinführt, dann kann ich sagen: 90 Prozent meiner Wünsche sind in Erfüllung gegangen.“ Deutschland könne dabei besonders auf seine Rolle seit der Wiedervereinigung 1990 stolz sein. Gerade Bayern profitiere in massivem Umfang von der Europäischen Union: „Wir exportieren mehr Käse nach Frankreich, als Frankreich zu uns“, stellte Waigel fest. Überhaupt müssten die Europäer ihre eigene Union ernster nehmen und positiver sehen, stelle Waigel fest. Denn: „In einer aufgewühlten Welt ist Europa auch Heimat.“