Fördert die Abgrenzung: Das Kopftuch steht in der Kritik. (Bild: imago images / Winfried Rothermel)
Islam

Kopftuchverbot an Grundschulen

Seit Mai gibt es im Nachbarland Österreich ein Kopftuchverbot an Grundschulen. Auch in Deutschland wurde daraufhin wieder über das Thema diskutiert. Nun liegt ein Rechtsgutachten vor, das eine solche Vorschrift als möglich ansieht.

Ein Kopftuchverbot für Mädchen an Grundschulen, ähnlich wie in Österreich, wäre auch in Deutschland rechtlich möglich. Zu dieser Einschätzung kommt der Tübinger Verfassungsrechtler Martin Nettesheim in einem Gutachten für die Frauenrechte-Organisation Terre des Femmes. Das Papier soll an diesem Donnerstag in Berlin veröffentlicht werden. Es lag der Deutschen Presse-Agentur vorab vor. Das Gutachten dürfte die schon oft geführte Debatte erneut aufflammen lassen.

Grundgesetz steht nicht entgegen

In der 42-seitigen Stellungnahme argumentiert der Jurist für ein „Kinderkopftuch“-Verbot an Schulen für Mädchen unter 14. Dieses wäre seiner Ansicht nach sowohl vereinbar mit der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit als auch mit dem grundgesetzlich geschützten Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder.

Eine Maßnahme, die der Verwirklichung der in Artikel 7 vorgezeichneten und vom Schulgesetzgeber ausgestalteten Erziehungs- und Bildungsziele dient.

Martin Nettesheim, Verfassungsrechtler

Nettesheim verweist auf Artikel 7 des Grundgesetzes, wonach das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht und darauf, dass Kinder „noch nicht die Reife haben, in Glaubens- und Weltanschauungsfragen selbstbestimmt entscheiden zu können“. Ein Verbot, in der Schule bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres eine „religiös konnotierte Kopfbedeckung zu tragen“, ließe sich „als Maßnahme rechtfertigen, die der Verwirklichung der in Artikel 7 vorgezeichneten und vom Schulgesetzgeber ausgestalteten Erziehungs- und Bildungsziele dient“.

In der Schule geht es auch um Erziehung zur Freiheit.

Martin Nettesheim

Kopftuch führt zu Ab- und Ausgrenzung

„Es wäre auch verhältnismäßig“, schreibt der Verfassungsrechtler. Das Kopftuch sei ständig sichtbarer Ausweis der Religionszugehörigkeit. „Derartige Bekleidung“ führe zu Segmentierung und Trennung, lasse gerade bei jungen Menschen Vorstellungen von Unterschiedlichkeit aufkommen und führe gegebenenfalls auch zur sozialen Ausgrenzung und zur Diskriminierung. In der Schule geht es nach Ansicht von Nettesheim auch um „Erziehung zur Freiheit“.

Die Debatte über ein Kopftuchverbot war in Deutschland neu entbrannt, nachdem Österreichs Parlament Mitte Mai ein solches Verbot an Grundschulen beschlossen hatte. Eine Mehrheit der Bevölkerung (57 Prozent) hatte sich in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für ein Verbot an Grundschulen auch in Deutschland ausgesprochen. In anderen öffentlichen Einrichtungen wie etwa Gerichten gibt es vielerorts schon ein solches Verbot – auch für erwachsene Kopftuchträgerinnen.

Die Verschleierung von Mädchen ist keine harmlose religiöse Bedeckung des Kopfes.

Terre des Femmes, Frauenrechte-Organisation

Die Frauenrechte-Organisation Terre des Femmes, die das nun vorliegende Gutachten in Auftrag gegeben hatte, fordert von der Bundesregierung, dies umzusetzen. „Die Verschleierung von Mädchen ist keine harmlose religiöse Bedeckung des Kopfes“, heißt es zur Begründung. Sie stelle eine geschlechtsspezifische Diskriminierung dar und konditioniere Mädchen in einem Ausmaß, dass sie das Kopftuch später nicht mehr ablegen könnten. Die Schule sei „kein Ort der Bekehrung“. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), hatte sich dafür ausgesprochen, ein Verbot zu prüfen.

Gerade bei unter 14-jährigen Mädchen ist das Kopftuch ein Erziehungsmittel hin zu einer Unterordnung im Geschlechterverhältnis.

Winfried Bausback, CSU

Mehrere Unionsabgeordnete haben zudem ebenfalls ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das im Herbst vorliegen soll. Man wolle das Problem auf Bundesebene angehen, hieß es Ende Mai in einer gemeinsamen Erklärung des stellvertretenden Unionsfraktionschefs Carsten Linnemann (CDU), des für Religion zuständigen CDU-Politikers Christoph de Vries und des ehemaligen bayerischen Justizministers Winfried Bausback (CSU). „Gerade bei unter 14-jährigen Mädchen ist das Kopftuch ein Erziehungsmittel hin zu einer Unterordnung im Geschlechterverhältnis. In diesem Alter kann es nicht Ausdruck einer eigenen religiösen Überzeugung sein“, so Bausback zum BAYERNKURIER. „Dem Staat, der von Verfassung wegen auf eine echte Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesellschaft hinwirken soll, wie es in Artikel 3 Grundgesetz steht, kann dies nicht gleichgültig sein.“ In einzelnen Brennpunktschulen in Großstädten gingen laut Linnemann bis zu 40 Prozent der jungen Mädchen mit Kopftuch in die Schule. Es gebe auch zunehmend Hilferufe aus der Lehrerschaft. „Kopftücher in der Schule sind integrationsfeindlich, weil sie bereits in Kindergärten und Grundschulen zur äußerlichen Abgrenzung beitragen“, betonte etwa Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

Kritiker können nicht überzeugen

Es gibt auch skeptische Stimmen: Der Präsident der Kultusministerkonferenz, der hessische Bildungsminister Alexander Lorz (CDU) und der Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für die Belange der Religionsgemeinschaften, Lars Castellucci, hatten im Zuge der Debatte auf die Religionsfreiheit verwiesen und darauf, dass es in Deutschland nur wenige Kinder mit Kopftuch gebe. Die konservativen und strenggläubigen Islamverbände kritisierten die Diskussion wie üblich als „Islambashing“ und als „Symboldebatte“. Es handele sich um Fälle im „Promillebereich“. Zudem wiesen sie daraufhin, dass die religiöse Pflicht für das Tragen eines Kopftuchs erst „ab der religiösen Mündigkeit, also ab der Pubertät“ gelte. Letzteres ist zwar richtig, ist aber eigentlich nur ein Argument, um eben gegen das Kopftuch bei kleinen Mädchen entschieden vorzugehen. Denn nur streng Religiöse fordern dies schon von kleinen Kindern.

Jürgen Dieter Böhm, Vorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR) und Vizepräsident des Deutschen Lehrerverbands, sieht dagegen eine Zunahme des Phänomens in den vergangenen Jahren und „würde es nicht runterreden“. Es gebe immer wieder Ausgrenzung in einzelnen Klassen aufgrund des Kopftuchs. Das zeige sich beim Schwimmen oder auch Klassenfahrten. Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, zeigte sich skeptisch. Zwar könne man die Argumente für ein Kopftuchverbot nachvollziehen, aber die Forderung müsse mit allen Konsequenzen zu Ende gedacht werden, „damit Schulen und Lehrkräfte nicht wie so oft im Regen stehen gelassen werden“, mahnte er am Donnerstag. So müsse vorher geklärt werden, welche Konsequenzen Lehrer ziehen sollten, wenn ein Mädchen trotzdem mit Kopftuch erscheint und die Eltern nicht einlenken.

Die Argumente können aber auch aus anderen Gründen nicht überzeugen, da es hier wie auch bei Kinderehen um eine Grundsatzfrage über die Werte und das Leben in unserer Gesellschaft geht – in der es nicht auf die Zahl der Fälle ankommt. Das Kopftuch wird von allen Kritikern auch bei Erwachsenen als Zeichen der Ungleichheit von Mann und Frau und als Zeichen nicht vorhandener Integration gewertet – insbesondere bei kleinen und leicht beeinflussbaren Kindern mit sehr negativen Folgen für das spätere Leben in Deutschland. Es muss daher immer gelten: Wehret den Anfängen.

(dpa/BK)