Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: Christian Thiel/imago)
Regierungserklärung

Merkel will Flüchtlingszahl deutlich reduzieren

Bundeskanzlerin Merkel hat angekündigt, auf dem anstehenden EU-Gipfel in Brüssel ihre bisherige Flüchtlingspolitik zu überprüfen. In ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag sagte sie, Ziel sei es, die Zahl der Flüchtlinge deutlich zu reduzieren. Grundsätzlich beharrt sie aber auf ihrem Ansatz, nicht die deutsche, sondern die griechisch-türkische Grenze besser zu schützen.

Vorsichtig optimistisch hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel über den bevorstehenden EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise und zum Verbleib Großbritanniens in der EU geäußert. Der Europäische Rat in Brüssel am Donnerstag und Freitag sei eine „Etappe auf dem Weg, der Europa bislang nach jeder Krise stärker werden ließ“, sagte sie in einer Regierungserklärung im Bundestag. „Ich hoffe, dass das auch diesmal so der Fall sein kann.“

Mit einem 3-Punkte-Plan will Merkel die Flüchtlingskrise entschärfen und den Zustrom in Immigranten eindämmen:

  • die Fluchtursachen zu bekämpfen,
  • die Außengrenzen der EU tatsächlich zu sichern und die Belastungen der stark betroffenen Staaten zu teilen
  • die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union zu regeln.

Warnung vor falscher Weichenstellung

Merkel warnte vor einer falschen Weichenstellung in der Flüchtlingskrise. Die EU müsse alles daran setzen, die Probleme so zu überwinden, dass nicht Europa und im Ergebnis alle Mitgliedstaaten Schaden nähmen, sagte Merkel in einer Regierungserklärung in Berlin. Sie werde weiter dafür kämpfen, die Flüchtlingszahlen dadurch zu senken, dass bei den Fluchtursachen angesetzt werde. Der EU-Gipfel werde dabei eine Etappe sein.

Sie dämpfte erneut die Erwartungen an den EU-Gipfel, was den Streit über die Verteilung der Flüchtlinge angeht. Einen solchen Beschluss werde es nicht geben. Es gehe vielmehr um die Frage, wie weit man bei der Bekämpfung der Fluchtursachen gekommen sei. Die EU mache sich „lächerlich“, wenn sie darüber diskutiere, solange die bereits vereinbarte Verteilung von 160.000 Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten „noch nicht einmal ansatzweise“ gelungen sei.

Nein zu nationaler „Abschottung“

Es gehe in Brüssel nicht um die Frage neuer Kontingente für Flüchtlinge, sagte Merkel. Vielmehr werde gefragt, ob der europäisch-türkische Ansatz zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen erfolgsversprechend sei. „Das ist die Bewertungssituation für die Zwischenbilanz, die ich nach dem Rat vornehmen will“, sagte Merkel. „Es versteht sich von selbst, dass ich meine Kraft darauf setze, dass sich der europäisch-türkische Ansatz als der Weg herausstellen kann, den es sich lohnt, weiter zu gehen.“

Wir müssen lernen in der EU, auch maritime Grenzen zu schützen.

Kanzlerin Merkel, die weiter auf die griechisch-türkische Küstenwache statt auf deutsche Grenzer setzt

Sie lehnte erneut den Vorschlag der Osteuropäer ab, die griechisch-bulgarisch-mazedonische Grenze zu schließen. Stattdessen müsse man sich auf die EU-Außengrenzen konzentrieren. „Wir müssen lernen in der EU, auch maritime Grenzen zu schützen“, sagte sie mit Blick auf die Ägäis. Deutschland leiste erhebliche Hilfe in der Zusammenarbeit mit der Türkei, die sich gut entwickle. Merkel betonte: „Abschottung – das kann nicht die europäische Antwort sein, jedenfalls nach meiner festen Überzeugung nicht.“ Wer wirklich Schutz brauche und suche, solle weiterhin Schutz erhalten.

Schutz nur für diejenigen, die ihn wirklich benötigen

„Unser gemeinsames Ziel ist es, die Zahl der Flüchtlinge spürbar und nachhaltig zu reduzieren, um so auch weiter den Menschen helfen zu können, die unseres Schutzes bedürfen“, sagte sie. „Jetzt spüren wir eine ganz andere Seite der Globalisierung“, sagte die Kanzlerin mit Blick auf die zahlreichen Krisen und Bürgerkriege, die Europa und Deutschland mittlerweile unmittelbar beträfen.

Ich finde das wunderbar.

Kanzlerin Merkel zu aktuellen Umfragen zur Flüchtlingspolitik

Deutschland habe weitere Maßnahmen ergriffen, damit nur die Flüchtlinge Schutz erhielten, die diesen auch wirklich benötigten, sagte Merkel. Sie lehnte eine Wende ihrer Politik ab. „Trotz aller kritischen Umfragen: Über 90 Prozent sagen nach wie vor: Wer vor Terror, Krieg und Verfolgung flieht, soll in Deutschland die Möglichkeit der Aufnahme und des Schutzes habe. Ich finde das wunderbar.“

Merkel bekräftigte ihre Forderung nach einer Flugverbotszone in Syrien zum Schutz von Flüchtlingen. „Das wäre ein Zeichen des guten Willens“, sagte sie. „Es würde jedenfalls viele, viele Menschen beruhigen, wenn in Aleppo und im Gebiet bis zur Türkei eben niemand mehr umkommen müsste und nicht weitere Menschen sich auf die Flucht machen müssten.“

Hoffnung auf EU-Verbleib Großbritanniens

Merkel war zuvor auf die Forderungen Großbritanniens für eine Reform der EU eingegangen. Viele der Wünsche der Briten seien berechtigt und nachvollziehbar. Es handele sich dabei nicht um britische Einzelinteressen. Dies gelte für den Wunsch nach mehr Wettbewerbsfähigkeit und Transparenz ebenso wie für die Forderung, dass Länder, die nicht der Eurozone angehören, nicht diskriminiert und übergangen werden dürften.

Auch die von Premier David Cameron geforderte Beseitigung von Fehlanreizen in den Sozialsystemen sei berechtigt. „Es ist selbstverständlich, dass jedes Mitgliedsland in der Lage sein muss, sein Sozialsystem zu schützen“, sagte Merkel. „Dies ist kein Dissenspunkt zwischen Großbritannien und Deutschland.“ Freizügigkeit und Nicht-Diskriminierung dürften aber nicht in Frage gestellt werden. „Diese Prinzipien stehen nicht zur Disposition.“

Eine Regierung muss mit Blick auf die Realität Beschlüsse fassen, die sie im eigenen Land zu verantworten hat.

Österreichs Bundeskanzler Werner Feymann mit einem klaren Signal an Merkel

Unterdessen wächst der internationale Druck auf Merkel. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) ging in der Frage der Grenzsicherung deutlich auf Distanz zum Kurs der Kanzlerin. Zwar sei das Verhältnis zu Deutschland „nicht zerbrochen“, sagte Faymann im Wiener Kurier. „Aber eine Regierung muss mit Blick auf die Realität Beschlüsse fassen, die sie im eigenen Land zu verantworten hat.“ Österreich hatte zuvor die deutliche Ausweitung der Grenzkontrollen entlang seiner Südgrenze angekündigt.

Unterstützung bekam Merkel dagegen von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Die Geschichte werde Merkel Recht geben, sagte Juncker in der Bild-Zeitung. Er verwies dabei auch auf „die weitblickende Wiedervereinigungspolitik von Helmut Kohl“, die ebenfalls lange umstritten gewesen sei. Juncker zeigte sich überzeugt: „Angela Merkel wird all ihre jetzigen Kritiker im Amt überdauern.“

dpa/Reuters/AFP/wog