Selbst ein gutes Beispiel für Handwerker: Handwerkskammer-Präsident Georg Schlagbauer entschied sich nach dem Abitur für eine Lehre. Heute führt er in München einen großen Metzgereibetrieb. Bild: Imago/Reinhard Kurzendörfer
Handwerk in Oberbayern

Fachkräftemangel trübt gute Jahresbilanz

Dem oberbayerischen Handwerk geht es gut, doch die Sorgen der Betriebe werden nicht kleiner. Handwerkskammer-Präsident Georg Schlagbauer zog an diesem Freitag Bilanz. Der Schuh drückt vor allem bei den Erbschaftssteuer-Plänen und dem Fachkräftemangel. Ob die Zuwanderung Linderung verschaffen wird, muss sich noch zeigen. Teuer wird die Ausbildung der Migranten auf jeden Fall.

Auf die Flüchtlinge ging der Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern sowie des Bayerischen Handwerkstages (BHT) bei der Pressekonferenz zur Konjunkturentwicklung erst auf Nachfrage ein. Dafür redete Georg Schlagbauer dann nicht lange um den heißen Brei: Er erwartet, dass viele, die derzeit in Deutschland Asyl suchen, in Zukunft „ein Teil unserer Fachkräfte sein werden“. Er machte aber auch deutlich, dass es bis dahin ein langer Weg sein wird: „Wir werden viel Geld und Arbeit verwenden müssen“, sagte der Handwerkspräsident mit Blick auf die nötige Ausbildung der Zuwanderer. Und dazu müssen sie überhaupt erst einmal motiviert werden: „Es kommen viele junge Männer, um möglichst schnell Geld nach Hause zu schicken“, nannte der Handwerkskammerpräsident das Kernproblem. Sie würden „von Job zu Job“ eilen. Diejenigen, die sich für eine Ausbildung entscheiden, sind laut Schlagbauer aber meist sehr motiviert. „Doch man muss ihnen beibringen, was ein deutscher Arbeitstag ist.“ So berichtete der Handwerkspräsident etwa von einem Dachdecker, der seinem Chef ankündigte, nur montags bis mittwochs zur Arbeit zu erscheinen, dafür komme am Donnerstag und Freitag sein Bruder. „Da kam dann tatsächlich der Bruder“, wunderte sich Schlagbauer. Dass so etwas in Deutschland nicht geht, musste den beiden ersteimal klargemacht werden.

Das wird ein unglaublich langer Prozess, und wir werden unheimlich viel Geld brauchen, aber das Handwerk ist dazu bereit

Handwerkskammer-Präsident Georg Schlagbauer zur Integration von Flüchtlingen in den Handwerksberuf

Die Zahl der Flüchtlinge unter den oberbayerischen Auszubildenden ist derzeit noch überschaubar. 470 Asylbewerber sind es im Moment, 250 davon wurden laut Schlagbauer im Handwerk angestellt. „Die große Masse kommt noch“, weiß der Kammerpräsident und macht sich keine Illusionen: „Das wird ein unglaublich langer Prozess, und wir werden unheimlich viel Geld brauchen, aber das Handwerk ist dazu bereit.“ Als Grundbedingung nannte Schlagbauer, dass die Flüchtlinge gut Deutsch sprechen und sich mit den deutschen Werten auseinandersetzen können. Dabei verwies er auch auf die zwei Berufsschulvorbereitungsjahre in Bayern. Der Freistaat sei „mit der Art der Integration Vorreiter“, so Schlagbauer.

Das Gesamtpaket, das junge Leute mit einer Ausbildung und entsprechenden Weiterbildungen im Handwerk erhalten, ist genauso attraktiv wie ein Hochschulstudium

Georg Schlagbauer

Bei der Suche nach Auszubildenden wird sich das Handwerk freilich nicht nur auf den Kreis der Asylbewerber beschränken. Um die Fachkräftelücke zu verkleinern – laut Handwerkskammer hatten Ende 2015 noch 45 Prozent der Betriebe in Oberbayern freie Stellen für qualifizierte Kräfte – will die Kammer auch verstärkt auf Abiturienten zugehen. „Das Gesamtpaket, das junge Leute mit einer Ausbildung und entsprechenden Weiterbildungen im Handwerk erhalten, ist genauso attraktiv wie ein Hochschulstudium“, betonte der Handwerkskammer-Präsident am Freitag. Die belegte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung müsse jetzt noch stärker in die Öffentlichkeit, forderte Schlagbauer. Neben Wirtschaftsorganisationen seien hier auch Lehrer, Berufsberater und Politiker in der Pflicht, sagte der Kammerpräsident, der selbst ein blühendes Beispiel ist: Der 1972 in München geborene Schlagbauer ging nach dem Abitur in die Lehre und gründete nach seiner Meisterprüfung 1999 einen mittelständigen Metzgereibetrieb. „Es kann nicht sein, dass es zum Beispiel bei einem Abiturienten heißt: Studium und sonst nichts!“, sagt er heute.

1900 Lehrstellen blieben unbesetzt

Immerhin: Die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge hat sich 2015 erstmals seit 2013 wieder erhöht, 8615 Auszubildende haben eine Lehre im oberbayerischen Handwerk begonnen (+1,5 Prozent). Jedoch blieben laut Kammer insgesamt 1900 Lehrstellen unbesetzt, das entspreche 18,1 Prozent des gesamten Angebots.

Ausbaugewerbe hat am meisten zu tun

Insgesamt betrachtet geht das oberbayerische Handwerk heuer optimistisch ins neue Jahr. So würden laut Schlagbauer 87 Prozent der oberbayerischen Handwerksbetriebe einen guten Jahresauftakt erwarten. Das sind zwei Prozent mehr als im Vorjahr. 88 Prozent der Firmen in München und Oberbayern berichteten für das 4. Quartal 2015 von guten oder befriedigenden Geschäfte.

Im Freistaat warten in den nächsten Jahren etwa 40.000 Handwerksbetriebe mit 200.000 Beschäftigten auf die Übergabe an einen geeigneten Nachfolger.

Georg Schlagbauer

Mehr als ein Drittel war zuletzt voll ausgelastet, im Ausbaugewerbe hatte sogar mehr als die Hälfte der Firmen keine freien Kapazitäten mehr frei. „Ich musste auch den einen oder anderen Partyservice absagen, weil Personal fehlt“, berichtete Schlagbauer von seinen Erfahrungen. In den Büchern des oberbayerischen Handwerks standen im 4. Quartal demnach Aufträge für durchschnittlich 6,1 Wochen (+0,1 Wochen). Ersten Schätzungen zufolge erwirtschaftete das Handwerk im Kammerbezirk in dem Zeitraum Umsätze von 10,3 Milliarden Euro und freute sich dabei über ein Plus von nominal 1,9 Prozent.

Oberbayerisches Handwerk setzt mit 35,4 Milliarden Euro „nur“ 1,5 Prozent mehr um

Im Gesamtjahr 2015 setzte das oberbayerische Handwerk 35,4 Milliarden Euro um und erzielte so „nur“ ein Plus von 1,5 Prozent. „Trotz der sehr ordentlichen Zahlen bleibt das Handwerk gemessen an der Umsatzentwicklung deutlich hinter der Gesamtwirtschaft zurück“, bedauerte der Kammer-Chef und verwies auf die genannten Probleme. „Wir müssen versuchen, unseren Wirtschaftsbereich wieder näher heranzubringen“, gab Schlagbauer das Ziel aus. Er betonte aber auch, dass Handwerksunternehmen im Gegensatz zu Dax-Konzernen nicht auf Gedeih und Verderb auf große Umsatzsteigerungen angewiesen seien. Im Vordergrund stehe im Handwerk „solides Wirtschaften“.

Nachbesserungen bei Entwurf zur Neuregelung der Erbschaftssteuer gefordert

Einmal mehr forderte Schlagbauer am Freitag die Politik zu Nachbesserungen bei der Neuregelung der Erbschafssteuer auf. Bekanntlich fürchten viele Erben, dass sie in Zukunft die Betriebe ihrer Eltern nicht weiterführen können, weil sie die fällige Steuer nicht aufbringen. „Im Freistaat warten in den nächsten Jahren etwa 40.000 Handwerksbetriebe mit 200.000 Beschäftigten auf die Übergabe an einen geeigneten Nachfolger“, erinnerte der Handwerkskammer-Präsident. Der bestehende Gesetzentwurf zur Erbschaftssteuer weist aus seiner Sicht noch erhebliche Mängel auf. Die sogenannte Nichtaufgriffsgrenze bei der Einhaltung der Lohnsummenregelung müsse von drei auf mindestens fünf Beschäftigte angehoben werden, forderte er. Und die Berechnung der Mitarbeiterzahl habe nach Vollzeitäquivalenten zu erfolgen. „Bei Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten sollte eine Flexibilitätszone geschaffen werde, bei der es ebenfalls Erleichterungen gibt“, nannte Schlagbauer eine weitere Forderung. Und bei der „Verschonungsbedarfsprüfung“ müsse eine Gefährdung der Unternehmenssubstanz durch eine Schmälerung des Eigenkapitals verhindert werden. „Zudem darf die Prüfung keinesfalls an das übergehende sowie bereits vorhandene Privatvermögen anknüpfen“, so der Handwerkskammer-Präsident.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber zur Neuregelung der Erbschaftssteuer bekanntlich eine Frist bis zum 30. Juni dieses Jahres gesetzt.