Der private Konsum treibt die Wirtschaft an. Nachhaltige Investitionen lassen dagegen auf sich warten. Bild: Imago/Ralph Peters
Konjunktur

Deutsche Wirtschaft ist „gedopt“

Der Flüchtlingskrise bleibt in Deutschland das alles beherrschende Thema. Die Politik hat kaum Zeit, sich auf andere wichtige Zukunftsthemen zu konzentrieren. Dabei ist das aktuelle Wirtschaftswachstum kein Ruhekissen, warnen die Experten. Es wird vom privaten Konsum getragen, den niedrige Zinsen und billiges Öl befeuern.

Um 1,7 Prozent ist die Wirtschaft 2015 in Deutschland gewachsen, und auch im laufenden Jahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt dank konsumfreudiger Bürger und staatlicher Investitionen für Flüchtlinge kräftig zulegen. Auf eine richtige Aufbruchstimmung wartet das Land aber vergeblich: „Ich bin besorgt, dass diese Regierung vor lauter Krisenmodus wegen der Flüchtlingsfrage für anderer Herausforderungen blind bleibt und angesichts weiterer Steuereinnahmen auf Rekordhöhe in Selbstgefälligkeit erstarrt“, mahnt Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Wer weniger Geld fürs Tanken und Heizen braucht und fürs Sparen nicht belohnt wird, der gibt mehr Geld aus

Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)

Zwar rechnet auch der BDI für das laufende Jahr mit einer realen Zunahme der Wirtschaftsleistung von knapp zwei Prozent sowie einer weiter guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Dem BDI-Chef fehlt aber die Nachhaltigkeit. Ursache des Booms seien günstige Ölpreise, historisch niedrige Zinsen und ein schwacher Euro, macht Grillo deutlich. „Wer weniger Geld fürs Tanken und Heizen braucht und fürs Sparen nicht belohnt wird, der gibt mehr Geld aus“, begründet der BDI-Chef den ungewöhnlich starken Konsum. Er trägt das aktuelle deutsche Wirtschaftswunder zu 53,9 Prozent. Grillo vermisst dabei aber private und öffentliche Investitionen: „Die Investitionsoffensive muss weiter in die Gänge kommen. Wir brauchen starke Impulse bei der Energiewende, für die Digitalisierung und im Verkehr.“

Ölpreiseinbruch, Euro-Schwäche und Niedrigzinsen kaschieren die anhaltende Investitionsschwäche nur vorübergehend

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

Von „mehr Schein als Sein“ spricht auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mit Blick auf die aktuellen Wachstumszahlen, die das Statistische Bundesamt am Donnerstag bekanntgegeben hat. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben verweist auf Sondereffekte und warnt davor, weiter „auf Verschleiß“ zu fahren. Das Wachstum 2015 falle zwar mit 1,7 Prozent erfreulich gut aus, es sei aber „gedopt“. Wansleben: „Ölpreiseinbruch, Euro-Schwäche und Niedrigzinsen kaschieren die anhaltende Investitionsschwäche nur vorübergehend.“ Die für 2016 angekündigte Investitionsoffensive hält der DIHK-Chef für überfällig. Damit diese tatsächlich Aufträge nach sich ziehe, „brauchen wir baureife, kurzfristig umsetzbare Projekte“, so Wansleben. Dazu würden jedoch Planungskapazitäten fehlen. Sie seien in den vergangenen Jahren in den meisten Bundesländern heruntergefahren worden, bemängelt der DIHK-Hauptgeschäftsführer.

Immerhin: Industrie will mehr investieren

Ein wenig Hoffnung verbreitet immerhin das Münchner ifo-Institut. Es vermeldete jüngst, dass das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland seine Investitionen 2016 um sechs Prozent steigern will. Dies wäre laut ifo ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr: 2015 habe die Branche ihre Investitionen nur um rund vier Prozent gesteigert, heißt es. „Der Zuwachs kommt allerdings eher über große Firmen zustande, denn die kleinen Firmen wollen ihre Ausgaben für neue Bauten und Ausrüstungsgüter eher kürzen“, schränken die ifo-Experten ein.

ifo fordert Steueranreize für Investitionen mit Eigenkapital

Anreize für mehr private Investitionen könnten nach ifo-Meinung Änderungen der Steuerregeln bringen. So kritisieren die Experten in einer aktuellen Studie für die Impuls-Stiftung des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDM), dass Unternehmer, die Investitionen mit Eigenkapital schultern, benachteiligt seien. Betroffen sind laut ifo-Projektleiter Niklas Potrafke vor allem junge und innovative Unternehmen mit hohem Risiko, deren Fremdfinanzierungsmöglichkeiten gering seien. „Daher sollte eine steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsen auf frisches Eigenkapital eingeführt werden, was die dringend benötigten Investitionsanreize verbessert“, sagt der Projektleiter. „Altes Eigenkapital in Unternehmen hingegen sollte nicht steuerlich begünstigt werden“, fordert er.