Im Zukunftsrat der vbw (v.l.): vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt, vbw-Präsident Alfred Gaffal, Präsident der TU München Prof. Wolfgang Herrmann und Bayerns Stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Bild: stmwi
Leitstudien

Chancen für morgen heute ergreifen!

„Was Bayern morgen braucht“, erläutert die Leitstudie des Zukunftsrats der Bayerischen Wirtschaft, die auch Stärken und Schwächen des Markts aufdeckt. Insbesondere dem Mittelstand soll eine Orientierung gegeben werden, wie sich Technologien und Geschäftsmodelle in Zukunft global verändern und was zu tun ist.

Fünf Handlungsempfehlungen zu den zehn wichtigsten Technologiefeldern im Freistaat hat der von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) initiierte Zukunftsrat bereits ausgesprochen (der Bayernkurier berichtete), fünf weitere folgten nun.

Gesundheits- und Medizintechnologien

Laut Leitstudie gewinnen Gesundheits- und Medizintechnologien immer mehr an Bedeutung. Gründe dafür seien der demografische Wandel, der zu alternden Gesellschaften in den Industrieländern führe, der Ausbau der Gesundheitssysteme in den Schwellenländern sowie insgesamt höhere Ansprüche an die medizinische Versorgung. Patentanwendungen für geeignete IT-Entwicklungen sind demnach um mehr als das Doppelte im Vergleich zum Maschinenbau oder der Chemieindustrie gestiegen. Wichtige Anwendungsfelder seien die Telemedizin und die Datenanalyse zur effizienteren Erforschung von Krankheiten sowie zur Entwicklung von schnelleren Therapiemöglichkeiten. Unter anderem nennt vbw-Präsident und Zukunftsrats-Chef Alfred Gaffal die Softwareprogrammierung, mit der sich etwa Datenbrillen an Ärzte oder Implantate an Patienten anpassen lassen. Von vielen Medizintechnikunternehmen werde dies inzwischen als Kernkompetenz angesehen, bayerischen Unternehmen seien in diesem Bereich führend, weiß Gaffal, der aber bemängelt, dass es bei der Umsetzung in marktfähige Produkte häufig Schwierigkeiten mit der Finanzierung gebe. Der Grund: Die Kaufentscheidung hänge nicht allein vom Patienten ab, sondern von der Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen. „Damit schränkt unser Gesundheitssystem die Entwicklungschancen in diesem Bereich ein“, bedauert der vbw-Chef.

Biotechnologien

Was die Wissenschaft betrifft, sind Bayern und Deutschland in der Biotechnologie einsame Spitze. Und in den Bereichen Diagnostik und Therapeutik – sie werden als „rote Biotechnologie“ bezeichnet – seien bayerische Forschungseinrichtungen weltweit führend, heißt es in der Studie. Deutsche Biotech-Unternehmen, von denen die meisten ihren Sitz im Freistaat haben, stünden dagegen im internationalen Wettbewerb „weniger gut da“. Und auch im Bereich der sogenannten „weißen Biotechnologie“, die sich auf industrielle Produktion und Verfahren konzentriere und zum Beispiel Biokatalysatoren, Hochdurchsatz-Reaktoren und biogene Rohstoffe einschließe, bestehe dringender Aufholbedarf, sagen die Experten. Denn der Markt ist riesig: „Die Biotechnologie ist hochdynamisch und hat eine große Ausstrahlungskraft auf viele andere für Bayern wichtige Technologiefelder wie Energie-, Chemie oder Medizintechnik“, betont vbw-Präsident Gaffal. Vor allem der Klimawandel und die demografischen Veränderungen in vielen Industrieländern würden die Nachfrage nach biotechnischen Entwicklungen weiter stark treiben. „Diese Dynamik müssen wir nutzen“, fordert der Zukunftsrats-Chef. Potenzial hätten unter anderem Biochips zur verbesserten Patientenbetreuung, personalisierte Lebensmittel („Functional Food“) oder Weiterentwicklungen von Antibiotika und Impfstoffen.

Ernährungs- und Lebensmitteltechnologien

Auch auf Entwicklungen im Bereich der Ernährungs- und Lebensmitteltechnologien hat laut Studie die alternde Gesellschaft einen starken Einfluss. Essgewohnheiten würden sich verändern, die Ansprüche an Qualität und Sicherheit von Nahrungsmitteln steigen. Vor allem wegen des anhaltenden Gesundheitstrends werde die Lebensmittelindustrie in den nächsten Jahren weiter wachsen, prognostizieren die Experten. Die Chancen für den Freistaat seien groß, sagt Gaffal. Denn auch in diesem Wirtschaftszweig zähle Bayern zu den bedeutendsten Standorten. Der vbw-Präsident gibt aber zu bedenken, dass die Ernährungs- und Lebensmittelbranche im Spannungsfeld von Globalisierung und Regionalisierung unter einen enormen Innovationsdruck stehe: „Das gilt für die Optimierung der Produktion, aber auch für die besonders schonende Verarbeitung von Produkten, um deren ernährungsphysiologische Wertigkeit zu erhalten oder die Verlängerung von Haltbarkeiten.“ Gaffal weiter: „Die Wirtschaftskraft der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie trägt wesentlich zu Wachstum und Wohlstand in Bayern bei. Wir müssen neue Trends in diesem Bereich frühzeitig aufgreifen, um unsere Wettbewerbsposition zu halten und auszubauen.“

Industrielle Produktionstechnologien

Als zentralen Faktor für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat die Studie industrielle Produktionstechnologien ausgemacht. Bayerische Firmen sind auch auf diesem Gebiet führend. Um die Spitzenstellung zu halten und weiter zu stärken ist laut vbw-Chef Gaffal ein beschleunigter Ausbau der Forschung und Entwicklung im Hinblick auf die Erfordernisse der „Industrie 4.0“ notwendig. Denn mit der zunehmenden Digitalisierung gewinnen demnach vermehrt diejenigen industriellen Produktionstechnogien an Bedeutung, die Herstellungsprozesse in dezentralen Strukturen automatisieren, gestalten und steuern. Gefragt seien vor allem energieeffiziente und ressourcenschonende Anwendungen und Produktionstechnologien, die sich neuer Materialien bedienen oder neue Sicherheitsaspekte berücksichtigen. Für Anwender und Anbieter industrieller Produktionstechnologien eröffne die Digitalisierung große Wachstumschancen, betont Gaffal. „Wir müssen diese in Bayern jetzt ergreifen, um morgen erfolgreich zu sein“, fordert er. Politik, Wissenschaft und Wirtschaft seien hier gleichermaßen gefragt.

Neue Werkstoffe und Materialien

Vom Fahrzeugbau bis zur Elektrotechnik: Mit neuen Werkstoffen und Materialien lassen sich laut Zukunftsstudie in beinahe allen Branchen Wachstumspotenziale erschließen. „Sie haben einen enormen Hebelfaktor“, weiß der vbw-Präsident. Gründe seien die steigende Notwendigkeit eines immer effizienteren Einsatzes von Ressourcen, aber auch der Wunsch nach Verknüpfung mehrerer Funktionalitäten. Im wichtiger werde dabei auch der Einsatz unter extremen Bedingungen: So würden für Flug- und Kraftwerksturbinen besonders hitzebeständige Werkstoffe benötigt. Die Medizintechnik erfordert langlebige, biokompatible und gegenüber Chemikalien unempfindliche Materialien. Auch hier hat Bayern derzeit die Nase vorn. Doch der internationale Konkurrenzdruck sei groß, warnt Gaffal: „Wir müssen daher alles daran setzen, den aktuellen Wettbewerbsvorsprung zu halten und auszubauen.“

Beratungsgremium mit den besten Köpfen

Die Mitglieder des Zukunftsrates kommen aus allen relevanten Fachrichtungen aus Forschung und Entwicklung, und auch die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner ist mit an Bord. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) habe ein „exzellentes Beratungsgremium mit den besten Köpfen in Bayern und Deutschland zusammengestellt“, sagte Aigner. Kern der Arbeit sei die Frage, „wie wir im Zusammenspiel aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft neue technologische Möglichkeiten besser nutzen können, um die die großen Zukunftsthemen wie die Digitalisierung, Energie- und Klimafragen, die zunehmende Globalisierung oder den demografischen Wandel erfolgreich bewältigen können“.