In Schieflage: Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank. (Bild: Imago/Hannelore Förster)
EZB

Der „Müllschlucker“ wehrt sich

Eine Rede vor Nobelpreisträgern in Lindau hat EZB-Chef Mario Draghi genutzt, um seinen Kritikern zu erklären, dass er alles richtig gemacht hat. Doch was seine Nullzins- und Anleihekaufpolitik wirklich gefährdet, ist das höchste deutsche Gericht.

Beim jährlichen Treffen der Nobelpreisträger in Lindau zeigte sich der Italiener an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) selbstbewusst. „Wenn sich die Welt wie in den vergangenen zehn Jahren ändert, muss insbesondere die Geldpolitik angepasst werden“, so Draghi. Schon mit diesem Satz war klar, dass er seine Politik, die in der Krise ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen und damit die Eurozone gerettet habe, weiter für richtig hält. Tatsächlich wächst die Wirtschaft im Euroraum nach der Schuldenkrise wieder stabil.

Wenn sich die Fakten ändern, dann ändere ich mein Denken. Und Sie?

Mario Draghi, EZB-Chef in Lindau

Nach Ansicht des EZB-Präsidenten habe seine nach der Finanz- und Bankenkrise verfolgte lockere Geldpolitik sowie die geänderte Regulierung und Aufsicht der Branche die Weltwirtschaft „robuster“ gemacht.

Forschung für neue Politik

„Aber wir müssen uns auf neue Herausforderungen vorbereiten“, warnte er. Notwendig sei eine „uneingeschränkte, ehrliche Einschätzung der neuen Realitäten mit klaren Augen“, die sich nicht an früheren Krisen orientieren müsse. In diesem Zusammenhang seien ökonomische Studien besonders wichtig, weil sie Notenbanken unabhängiger von der Politik machten und den Bürgern leichter zu vermitteln seien. „Die wissenschaftliche Forschung hat sich weiterentwickelt, wie Notenbanken Krisen bekämpfen sollten, insbesondere für den Fall, wenn die Standardmaßnahmen ausgereizt sind“, sagte der Italiener.

In Lindau traf Draghi auf Gegenliebe, da in großen Teilen Europas die harte Sparpolitik Deutschlands wenige Anhänger hat – gar als „Regelversessenheit“ gesehen wird. Zwar stiegen nicht die Länder mit der lockersten Geldpolitik zur größten Wirtschaftsmacht des Kontinents auf. Aber für viele Ökonomen zählt dieses Argument nicht mehr, weil sich die Zeiten geändert hätten.

Draghis Kritiker

Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2012 hatte Draghi zugesagt, Krisenstaaten im Notfall mit unbegrenzten Käufen von Staatsanleihen zu stützen. Dazu kam es nicht, allein die Ankündigung wirkte beruhigend. Später folgte das zweite „Rettungsprogramm“: Dabei kauft die EZB jeden Monat private und staatliche Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro, außerdem liegen die Leitzinsen bei null. Banken sollen damit bewegt werden, weniger in diese Titel zu investieren und mehr Kredite auszugeben. Das soll die Konjunktur ankurbeln.

Müllschlucker EZB.

WirtschaftsWoche

Die Kritik an dieser Politik ist vielfältig. Die EZB würde ihr Mandat überschreiten, verbotenerweise Wirtschaftspolitik betreiben und enorme Risiken für sich und die europäischen Steuerzahler eingehen, das sind die zentralen Vorwürfe. Vom norwegischen Ökonomen Kjell Nyborg wurde in der WirtschaftsWoche zudem moniert, dass viele gekaufte Anleihen fragwürdig gesichert seien. Aber: „Jeder Kaufmann weiß, dass Kredite im Ernstfall nur so viel wert sind wie das Vermögen, das der Schuldner im Gegenzug verpfändet.“ Die Zeitung sprach vom „Müllschlucker EZB“. Die Anleihebewertung finde nur durch die wohlwollendste Ratingagentur DBRS statt und orientiere sich nicht an den ungünstigeren Einstufungen der drei großen Agenturen Moody’s, Fitch und „Standard and Poor’s“. Auch historisch wird argumentiert: So habe etwa der frühere US-Zentralbank-Chef Alan Greenspan mit einem ähnlichen Niedrigzinskurs einen Immobilien- und Aktienboom in den 90er Jahren angeheizt, der bei seinem Crash 2007 zur schwersten Finanzkrise seit 1945 führte. Auch in Europa, besonders in Deutschland, gibt es Anzeichen für eine Aktien- und Immobilienblase.

Nebenwirkungen

Kritisiert werden aber auch immer wieder die Nebeneffekte der Nullzinspolitik: So leiden besonders deutsche Sparer, weil sie keine Zinsen mehr für ihre Anlagen erhalten. Dagegen erlahmt zusehends der Reformeifer in den Hauptkrisenländern Italien und Griechenland, weil die Regierungen billig neue Kredite aufnehmen – die Staatsschulden wachsen also weiter. Sollten die Zinsen allerdings wieder anziehen, könnte es für diese Staaten erhebliche Auswirkungen haben und, so der Ökonom Nyborg, zu einer „Monsterinflation“ führen. Auch die kreditfinanzierte Welle an Übernahmen europäischer Firmen wird als ein Produkt der Niedrigzinsen angesehen. Der starke Euro macht obendrein Waren europäischer Firmen auf dem Weltmarkt teurer und verschlechtert dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Die größte Gefahr

Kritiker konnten bisher nichts an Draghis Kurs ändern, aber vielleicht das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Bereits Mitte August hatte es in ungewohnt scharfer Form erhebliche Zweifel an der EZB-Krisenpolitik geäußert und angesichts der umfangreichen Risiken der Staatsanleihen eine beschleunigte Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gefordert. Zwar haften die Staaten nur für eigene Anleihen, aber ein Fünftel des gesamten Risikos wird von allen geteilt. Damit haftet Deutschland derzeit mit rund 175 Milliarden Euro. Zudem sei Wirtschaftspolitik in Europa den nationalen Regierungen vorbehalten, so das Gericht.

Das EuGH-Urteil wird nicht alles ändern, aber auf dessen Grundlage wird erneut Karlsruhe entscheiden. Einige Juristen erwarten, dass das Verfassungsgericht dann möglicherweise der Bundesbank eine weitere Beteiligung am Kaufprogramm, das mindestens bis Ende 2017 laufen soll, untersagen könnte. Die Bundesbank ist größter Anteilseigner der EZB, entsprechend viele Papiere kauft sie. Bundesregierung und Bundestag könnte das Gericht verpflichten, auf politischer Ebene auf eine Anpassung oder Beendigung der Käufe hinzuwirken.

Warten auf Mario

Spannend: In diesen Tagen findet nun das alljährliche Gipfeltreffens der Notenbanker im amerikanischen Jackson Hole statt – auch dort geht es um die Abwehr künftiger Krisen. Und auch dort wird Draghi eine Rede halten.