Alfred Gaffal ist ein Freund klarer Worte. Wenn es um Bayern, Bayerns Wirtschaft und um den Wirtschaftsstandort geht, nimmt der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) kein Blatt vor den Mund. Egal ob der Ministerpräsident vor ihm sitzt oder der Bundesfinanzminister – die ihm dann innerlich vielleicht sogar recht geben. Das schuldet er den 127 bayerischen Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden sowie 41 Einzelunternehmen aus praktisch allen Branchen mit etwa 4,5 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Mitarbeitern, die er und sein Haus vertreten. Als erfolgreicher niederbayerischer Unternehmer ist er außerdem ein Mann der Praxis, der weiß, was auf dem Spiel steht. Bei Gaffal erhält man vor allem eines: eine solide Dosis Realitätsbewusstsein. Genau darum finden seine Ausführungen stets aufmerksame und nachdenkliche Zuhörer. In der Wirtschaft geht es nicht um Meinung oder Ideologie, sondern um Zahlen und Fakten. Es ist nicht falsch, sich ab und an daran zu erinnern – oder von Gaffal daran erinnern zu lassen.
Predigt im Haus der Bayerischen Wirtschaft
Gelegenheit dazu bekommen Münchens und Bayerns Journalisten beim vbw häufig, ganz bestimmt aber beim jährlichen vbw Medientreff. Der Abend, regelmäßig im frühen Herbst, ist ein gefragter Termin. Doch vor dem geselligen Teil stehen Gaffals Begrüßungsworte sozusagen zur Lage der Wirtschaft im Lande. Mit einem Glas Frankenwein in der Hand – dieses Jahr ein 2015er Eschendorfer Lump Silvaner aus dem Winzerhause Horst Sauer – lassen die Medien-Gäste dann die kurzen, klaren Sätze mit den vielen und leider oft unerfreulichen Zahlen des vbw-Chefs auf sich wirken. 15 Minuten lang, nicht länger als eine wirkungsvolle Predigt sein sollte.
In dieser Legislaturperiode hat die Große Koalition bisher mehr Sozialpolitik als Wirtschaftspolitik betrieben, das heißt mehr Umverteilung, wenig zukunftsorientierte Maßnahmen.
Alfred Gaffal, Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft
Und die Predigt in Münchens Haus der Bayerischen Wirtschaft hatte es auch dieses Jahr wieder in sich. Die Berliner Politik kam nicht wirklich gut weg. In der allmählich zu Ende gehenden Legislaturperiode habe die Große Koalition „mehr Sozialpolitik als Wirtschaftspolitik“ betrieben, kritisiert der vbw-Chef: „Das heißt mehr Umverteilung, wenig zukunftsorientierte Maßnahmen“. Naja, es geht uns doch gut, denkt sich mancher: Der Freistaat darf dieses Jahr mit 2,5 Prozent Wachstum rechnen und erfreut sich Rekordbeschäftigung mit 5,3 Millionen Beschäftigten. Das sei tatsächlich schön, meint Gaffal, aber zugleich auch der beste Zeitpunkt für weitsichtige Politik. Die sogar nötig wäre. Denn Deutschlands und Bayerns Wettbewerbsfähigkeit sinke, politische Krisen nah und fern führten zu Unsicherheit im Lande, das außerdem vor strukturellen Herausforderungen stehe. Der vbw-Chef erinnerte auch an den demographischen Wandel, die Globalisierung und die Digitalisierung.
Fehlentscheidungen in der Rentenpolitik
Vor allem auf zwei Feldern sieht Gaffal dringenden Handlungsbedarf: in der Rentenpolitik und in der Energiepolitik. In der Rentenpolitik fehlt ihm das „Gesamtkonzept, das die nächsten Generationen im Auge behält und den Faktor Arbeit nicht weiter belastet“. Die Rente mit 63, die Mütterrente und die avisierte Erhöhung der Ostrenten hält er für unbezahlbare Fehlentscheidungen. Alleine die Erhöhung der Ostrenten werde bis zum Jahr 2020 zusätzliche 5,7 Milliarden Euro verschlingen – obwohl die Durchschnittsrente in Osten derzeit mit 905 Euro höher liege als im Westen des Landes mit 722 Euro. Diskussionen über die Erhöhung des Rentenniveaus könne sich das Land nicht erlauben, so Gaffal, weil das eben „den Faktor Arbeit in Deutschland verteuert“.
Derzeit machen die Lohnzusatzkosten, zu denen auch die Rentenbeiträge zählen, bereits 40 Prozent der Arbeitskosten aus.
Alfred Gaffal
Der vbw-Chef wartet mit Zahlen auf, die auch überzeugte Sozialpolitiker nachdenklich machen können: „Derzeit machen die Lohnzusatzkosten, zu denen auch die Rentenbeiträge zählen, bereits 40 Prozent der Arbeitskosten aus.“ Und eine Arbeitsstunde sei in der deutschen Privatwirtschaft heute schon 26 Prozent teurer als im EU-Durchschnitt. Das Dilemma liegt auf der Hand: Steigen Lohnzusatz- und Arbeitskosten, sinkt die Beschäftigung – und dann gibt es weniger Beitragszahler für die Rentenkasse. Denn auch hier gilt, dass erst erwirtschaftet werden muss, was man verteilen will.
Deutschland braucht eine Strompreisbremse
Auch bei der Energiepolitik wartet Gaffal mit seinen unerfreulichen, aber leider zutreffenden Zahlen auf: „Deutsche Unternehmen zahlen für Strom inzwischen zweieinhalb mal soviel wie ihre Konkurrenten in den USA , 80 Prozent mehr als in Polen und 50 Prozent mehr als in Frankreich.“ Die Stromkosten seien inzwischen zu einem echten Standortnachteil geworden, warnt er. Schuld an den hohen Stromkosten für deutsche Unternehmen ist die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). 2017 soll sie noch einmal von 6,354 Cent auf 6,88 Cent pro Kilowattstunde steigen – um gut acht Prozent. Gaffal warnt vor Abwanderungstendenzen bei den Unternehmen.
Mittelfristig brauchen wir eine echte Kostenwende. Dazu müssen wir uns vom EEG verabschieden.
Alfred Gaffal
Auf seine nächste Zahl hin greift der Zuhörer erschreckt zu einem neuen Glas vom Eschendorfer Lump – denn wer weiß, wann wieder eins bezahlbar ist: Im Strombereich koste Deutschlands Energiewende die Verbraucher bis zum Jahr 2025 über 520 Milliarden Euro – fast ein Siebtel des Bruttoinlandsprodukts. Was sich als fehlende Kaufkraft auf das Wachstum auswirke. Gaffal: „So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen endlich eine Strompreisbremse.“
Deutsche Unternehmen zahlen für Strom inzwischen zweieinhalb mal soviel wie ihre Konkurrenten in den USA , 80 Prozent mehr als in Polen und 50 Prozent mehr als in Frankreich.
Alfred Gaffal
Immerhin macht Bayern hier einiges richtig: Der vbw-Chef bedankt sich für den Vorstoß von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, eine Deckelung der EEG-Umlage zu erreichen. Was auf Dauer aber nicht genügen werde: „Mittelfristig brauchen wir eine echte Kostenwende. Dazu müssen wir uns vom EEG verabschieden.“ Soll heißen: Das EEG muss weg, und das blühende Bayern ist besonders betroffen: „Der Hightech-Standort Bayern braucht international wettbewerbsfähige Strompreise.“
Wenn die letzten deutschen Kernkraftwerke 2022 abgeschaltet werden, fehlen im Freistaat rund 40 Terawattstunden bei der Stromerzeugung.
Alfred Gaffal
Und natürlich Versorgungssicherheit. Denn wenn im Jahr 2022 die letzten deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet werden, fehlten allein in Bayern 40 Terawattstunden Stromproduktion, so der vbw-Präsident. Um dann die Energieversorgung zu gewährleisten, müssten jetzt Maßnahmen getroffen und politisch durchgesetzt werden, mahnte Gaffal.
Interessantes Detail, das gerne übersehen wird: 2015 zahlten die Stromverbraucher eine Milliarde Euro für sogenannte Netzeingriffe – teurer Ausgleich von Spitzen bei Strom-Angebot und -Nachfrage. Problem: Je größer der Anteil der regenerativen Energien bei der Stromerzeugung, desto häufiger werden solche Netzeingriffe notwendig. Bis 2022 würden darum die Kosten dafür auf das Vier- bis Fünffache steigen, prognostiziert Gaffal: „Ich bleibe dabei: Die Energiewende ist ein Subventionskarussel mit dramatischen Auswirkungen und Kostenbelastungen für unsere Gesellschaft.“ Die EU-Partnerländer schüttelten über den deutschen Alleingang den Kopf – oder freuten sich klammheimlich über einen Wettbewerbsvorteil.
Integration durch Arbeit
Zum Schluss gab es aber doch noch ein paar wirklich schöne Zahlen von Alfred Gaffal: Seit vergangenem Jahr hat die vbw mit der Bayerischen Staatsregierung, den Kammern und der Bundesagentur für Arbeit ihren Ida-Pakt auf den Weg gebracht: Integration durch Arbeit. In zehn Monaten haben vbw-Mitglieder auf diese Weise über 19.000 Flüchtlinge in Praktika und Ausbildung gebracht – 20.000 weitere sogar in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Was da in Bayern geschehe, habe „Leuchtturmfunktion für ganz Deutschland“, sagte der vbw-Präsident und wunderte sich vor den versammelten Journalisten, dass darüber wenig berichtet werde. Gaffal: „Arbeit integriert. In Bayern machen wir das. Wir sind auf gutem Weg. Aber es braucht einen langen Atem und fordert einen großen Einsatz von allen Beteiligten.“ Und eben die Strompreisbremse, könnte man hinzufügen. Denn in der Wirtschaft hängt alles mit allem zusammen. Jedenfalls, wenn es funktionieren soll.