Handelsnation: Containerumschlag von der Schiene auf die Straße beim KV-Terminal der baymodal Bamberg. (Bild: bayernhafen Gruppe/fkn)
CETA und TTIP

Bayern lebt vom freien Welthandel

Interview Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Die Landtagsabgeordnete Mechthilde Wittmann ist die Berichterstatterin der CSU-Landtagsfraktion zu den internationalen Freihandelsabkommen. Sie erklärt, warum der Freistaat von CETA und TTIP profitieren könnte – und worauf geachtet werden muss.

Bayernkurier: Unter dem Eindruck des Brexits hat EU-Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker entschieden, das Handelsabkommen mit Kanada CETA den nationalen Parlamenten vorzulegen. Zuvor hatte es geheißen, CETA falle ausschließlich in die Zuständigkeit der EU. Eine gute Entscheidung?

Mechthilde Wittmann: Ja und nein. Die Ankündigung Junckers, die nationalen Parlamente nicht zu beteiligen, ist kurz nach dem Brexit äußerst kritisch aufgenommen worden. Die Verweigerung demokratischer Mitwirkungsrechte beziehungsweise die Umgehung der nationalen Parlamente ist genau das Gegenteil von dem, was die Menschen von den europäischen Institutionen jetzt erwarten. Ein derartiger Alleingang der Kommission bei CETA würde von der Bevölkerung kaum akzeptiert werden und hätte auch Auswirkungen für TTIP: Denn keiner würde dann noch glauben, dass es bei dem Freihandelsabkommen mit den USA nicht auch so laufen würde. Allerdings sehe ich bei einer Beteiligung der nationalen Parlamente beide Freihandelsabkommen durchaus gefährdet.

Bayernkurier: Sie fürchten, dass die Abkommen scheitern könnten?

Wittmann: Möglicherweise. Ich habe Zweifel, dass CETA und TTIP zustande kommen, wenn die nationalen Parlamente zustimmen müssen.

Bayernkurier: Befürworter sagen, wenn die EU und die USA sich nicht auf ein Abkommen einigen, dann bekommt die Globalisierung keine westlichen, sondern eben chinesische Regeln. Sehen Sie auch diese Gefahr?

Wittmann: Das ist tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber schon jetzt ist die EU wichtigster Handelspartner der USA und der transatlantische Wirtschaftsraum ist der am besten integrierte der Welt. Die Wirtschaft der USA und Europas stehen für 50 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts und für 40 Prozent der globalen Kaufkraft. Vom weltweiten Handelsvolumen entfallen circa 30 Prozent alleine auf den Handel zwischen der EU und USA. Abgesehen von ökonomischen Aspekten verbinden beide Kontinente auch eine gemeinsame Geschichte, ein gemeinsamer Wertekanon aus Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sowie gemeinsame sicherheitspolitische Interessen. Das ist mit China nicht der Fall.

Wenn es von Beginn an mehr Durchsichtigkeit bei den Verhandlungen gegeben hätte, wären viele Ängste, Zweifel und Kritik in der Bevölkerung wohl gar nicht erst entstanden.

Mechthilde Wittmann

Bayernkurier: Einer der Kritikpunkte an TTIP bezieht sich auf die fehlende Transparenz der Verhandlungen. Sie sind Berichterstatterin der CSU-Landtagsfraktion zu TTIP, dürfen aber nicht in den Raum, in denen die Unterlagen einsehbar sind. Wie sehen Sie das?

Wittmann: Die fehlende Transparenz und die mangelnde Einbindung aller relevanten Akteure bei den Verhandlungen war ein großer Fehler. Wenn es von Beginn an mehr Durchsichtigkeit bei den Verhandlungen gegeben hätte, wären viele Ängste, Zweifel und Kritik in der Bevölkerung wohl gar nicht erst entstanden. Ohne eine gewisse Vertraulichkeit kann man solche Verhandlungen freilich nicht führen, um seine Verhandlungsposition nicht zu schwächen. Aber ganz ohne Transparenz und Nachvollziehbarkeit werden die Menschen die verhandelten Ergebnisse kaum akzeptieren.

Bayernkurier: Befürchtungen gibt es auch in Bezug auf Verbraucher- und Umweltstandards, die fallen könnten, sowie an den Schiedsgerichten, die unsere Gerichtsbarkeit aushebeln und obendrein zu völlig überzogenen Schadenersatzklagen führen könnten. Was ist daran richtig, was ist falsch?

Wittmann: TTIP muss bei Verbraucher- und Umweltstandards weltweit geltende Maßstäbe für das 21. Jahrhundert setzen, indem es Regeln und Standards fortentwickelt.

Wenn das nicht die EU zusammen mit den USA schafft, werden es sicherlich andere machen – mit weniger hohen Standards und Normen. TTIP bietet die Chance, unsere hohen europäischen Produktstandards zum internationalen Maßstab auch für andere Regionen zu machen. Im EU Mandat ist festgeschrieben, dass unsere Schutz- und Sicherheitsstandards im Umwelt-, Gesundheits-, Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Datenschutz nicht herabgesetzt werden. Auch unser Vorsorgeprinzip steht nicht zur Debatte. Entscheidend ist, dass die in CETA getroffenen Vereinbarungen, die beispielsweise die Einfuhr von hormonbehandeltem Fleisch aus Kanada verbieten, auch in die Vertragswerke von TTIP Eingang finden. Und unumstößlich muss eine klare und leicht lesbare Kennzeichnung aller Produkte sein. Auch darf und wird es im Zuge von TTIP keine Privatisierung und Liberalisierung der Trinkwasserversorgung bei uns geben.

Bayernkurier: Und wie steht es um die Schiedsgerichte?

Wittmann: Bei CETA konnte erreicht werden, dass es einen innovativen Spruchkörper geben wird, keine Ad-hoc Schiedsgerichte. Was von der Europäischen Kommission hier in wenigen Monaten erreicht wurde, ist ein echter Durchbruch und eine wesentliche Systemverbesserung. Es wird künftig eigene Verfahren mit einem unabhängigen Spruchkörper aus Berufsrichtern geben, eine Appellationsinstanz wird als Regelfall eingeführt. Außerdem sollen kleine und mittlere Unternehmen vorgezogen werden, um schnellere Entscheidungen herbeizuführen. Gleichzeitig ist in einem eigenen Artikel nochmals die Regelungsfreiheit der beteiligten Staaten auf allen Ebenen, also auch für die Kommunen, festgeschrieben. Der Regelungsrat, der bereits vorab Entscheidungen der öffentlichen Hand kommentiert und gegebenenfalls beeinflusst hätte, ist vom Tisch. Und trotzdem ist es keiner der Vertragsparteien untersagt, sich auf das jeweils staatliche Gerichtssystem einlassen.

Bayernkurier: Die Kritik hat sich bisher hauptsächlich gegen TTIP gerichtet. Doch ist es nicht so, dass CETA die Blaupause für TTIP ist? Beispielsweise gerade bei den genannten Schiedsgerichten.

Wittmann: TTIP steht durchaus mehr im Fokus. Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass die USA auch 2015 mit Abstand das weltweit größte Bruttoinlandsprodukt hatten. Das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, ist aber bereits endverhandelt. Es hat zweifelsfrei eine wichtige Vorreiterfunktion für TTIP. Wie schon gesagt, ist es bei CETA gelungen, die Schiedsgerichte neu strukturieren. Die neuen Spruchkörper stehen für Offenheit und Transparenz in den Verfahren. Das ist auch für TTIP ein guter Ansatz. Übrigens sind Schiedsgerichte bereits seit 50 Jahren in Deutschland in der Zivilprozessordnung vorgesehen und geregelt. Auch in internationalen Streitbeilegungsverfahren gibt es schon lange Schiedsgerichte, wie zum Beispiel den internationalen Sportgerichtshof in Lausanne oder den 1923 in Paris gegründeten Internationalen Schiedsgerichtshof der ICC, der International Chamber of Commerce. Schiedsgerichte sind wirkungsvoll, effizient und kostengünstig bei Streitigkeiten mit klar definiertem Charakter. Dennoch ist eine Modernisierung dieser Gerichtsbarkeit durchaus anzustreben.

Was uns in Bayern wichtig ist, darf durch die Abkommen nicht angetastet werden, was uns in Bayern guttut, wollen wir realisieren.

Mechthilde Wittmann

Bayernkurier: Viele amerikanische Unternehmen haben Tochterfirmen in Kanada. Es gibt Befürchtungen, dass sie über diese Töchter mittels CETA schon alle Rechte, insbesondere Klagerechte, gegen die EU-Staaten durchsetzen können. Ist das korrekt?

Wittmann: Nein. Denn CETA definiert klar, welche Unternehmen sich auf den Investitionsschutz berufen können und welche nicht.

Rechtlich unselbstständige Zweigniederlassungen von US-Firmen in Kanada, wie beispielsweise reine Geschäftsstellen oder Vertriebsbüros, können nicht über CETA klagen. Aber auch wenn Zweigniederlassungen von US-Unternehmen rechtlich selbstständig sind, gibt es Grenzen: Sie gelten nur dann als Investor, wenn sie entweder selbst eine substanzielle Geschäftstätigkeit in Kanada ausüben – oder im Eigentum oder der Kontrolle von natürlichen Personen oder Unternehmen aus Kanada stehen. Konkret bedeutet das: Sogenannte „Briefkastenfirmen“ können sich absolut nicht auf den Investitionsschutz in CETA berufen. Ferner verbietet CETA missbräuchliche Klagen. Verlagert ein Investor beziehungsweise ein Kläger seine Investition gezielt nach Kanada oder umgekehrt in die EU, nur um dort eine Investitionsschutzklage erheben zu können, so wird diese Klage nach CETA keine Aussicht auf Erfolg haben.

Bayernkurier: Bayern ist ein Exportland. Bei aller berechtigten Kritik: Welche Bedeutung haben TTIP und CETA speziell für den Freistaat?

Wittmann: Bayern lebt vom freien Welthandel und offenen Märkten. Denn die bayerische Industrie hat einen Exportanteil von 50 Prozent, deshalb sind beide Freihandelsabkommen für den Freistaat eine große wirtschaftliche Chance. Rund die Hälfte unseres Pro-Kopf-Einkommens hängt direkt oder indirekt vom Außenhandel ab. Ein starker transatlantischer Handel würde den bayerischen Außenhandel stabilisieren und Exporteinbrüche durch Krisen im Mittleren oder Nahen Osten, Russland oder China abfedern und unseren Wohlstand sichern. TTIP und CETA könnten die Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Wirtschaft steigern und Arbeitsplätze schaffen und sichern. Für unseren Mittelstand, für unsere Schlüsselindustrien wie dem Automobil- und Maschinenbau sowie der Chemie sind das hervorragende Perspektiven.

Bayernkurier: Wie steht die CSU zu CETA und TTIP?

Wittmann: Die CSU steht wirtschaftlichen Chancen immer dann positiv gegenüber, wenn die Chancen verifizierbar und die Risiken abschätzbar und verantwortbar, wenn nicht gar ausschaltbar sind. Die CSU wird sich ihre endgültige Meinung zu jedem der Abkommen dann bilden, wenn die Texte ausverhandelt vorliegen und eine ausreichende Analyse getroffen werden konnte. Aber eines ist klar: was uns in Bayern wichtig ist, darf durch die Abkommen nicht angetastet werden, was uns in Bayern guttut, wollen wir realisieren.

 

Das Interview führte Andreas von Delhaes-Guenther