Der aus dem Bundestag ausscheidende CSU-Abgeordnete Hartmut Koschyk hatte viele Aufgaben: Aussiedler-Beauftragter, Korea-Experte, Finanz-Staatssekretär und Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. (Foto: Imago/photothek/Thomas Köhler)
Hartmut Koschyk

Opfer der DDR nie vergessen

Interview Einige CSU-Bundestagsabgeordnete treten am 24. September nicht mehr zur Wahl an. Dem BAYERNKURIER gaben sie zum Abschied aus dem Parlament ein Interview. Heute: Hartmut Koschyk, mit dem ersten Teil des Interviews. Der zweite Teil folgt nächste Woche.

Herr Koschyk, Sie wurden im Dezember 1990 Bundestagsabgeordneter, also kurz nach der Wiedervereinigung. Wenn Sie einmal das Deutschland von damals grundsätzlich vergleichen mit dem von heute – was wurde besser, was wurde schlechter?

Jede Zeit stellt uns in Politik und Gesellschaft vor neue Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Ich denke, wir können mit Stolz darauf zurückblicken, was wir in den vergangenen 26 Jahren seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 gemeinsam in unserem Land geschaffen haben. Damals gab es viele Skeptiker, die es nicht für möglich gehalten haben, die neuen Bundesländer an die Lebensqualität der alten Bundesländer heranzuführen. Auch gab es viele Skeptiker, die daran zweifelten, dass wir zusätzlich Millionen Spätaussiedler und zeitgleich auch noch hunderttausende Flüchtlinge aus dem zerbrechenden Jugoslawien in unserem Land aufnehmen können. Dennoch haben wir es gemeinsam geschafft. Genauso wie nach dem Krieg die Menschen in unserem Land die Hoffnung nicht aufgaben, im festen Glauben vereint: Wir schaffen das – und gemeinsam haben wir es geschafft! Die Herausforderungen, die die Menschen in unserem Land nach dem Krieg, aber auch nach der Wiedervereinigung gemeinsam „zu schaffen“ hatten, waren sicherlich größer, als die Herausforderungen, die unser Land im Zuge der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise oder ganz aktuell im Zuge der Flüchtlingskrise heute zu bewältigen hat. Dies sollten wir uns alle – unser eigenes Handeln sehr selbstkritisch hinterfragend – ins Bewusstsein rufen.

Das Schicksal und Leid all der Opfer des SED-Unrechtsstaates darf nicht vergessen werden.

Hartmut Koschyk

Sie haben sich im Zuge der Wiedervereinigung intensiv der Aufarbeitung des DDR-Unrechtsstaates gewidmet, unter anderem waren Sie Mitglied im Beirat der Stasi-Unterlagenbehörde und Stiftungsrat der Bundesstiftung „Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Teilen Sie die Sorge, dass die kommunistischen Verbrechen relativiert und verharmlost werden?

Wir alle stehen in der Pflicht, eine Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur nicht zuzulassen. Das Schicksal und Leid all der Opfer des SED-Unrechtsstaates darf nicht vergessen werden. Die Erinnerung daran muss auch für die kommenden Generationen lebendig bleiben – als mahnendes Beispiel, wozu eine Abkehr von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit führen kann und wie bedeutsam es ist, Tag täglich für unser demokratisches Wertesystem – für Einigkeit und Recht und Freiheit einzutreten. Die zeitliche Distanz zur DDR darf nicht zum Vergessen führen. Eine Kultur des Erinnerns an die Verbrechen des DDR-Unrechtsstaates ist wichtig für die demokratische, rechtsstaatliche und freiheitliche Identität unseres Landes. Deshalb ist es wichtig, am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, auch der Opfer des DDR-Unrechtstaates zu gedenken, aber auch die Erinnerung an die Ereignisse des 17. Juni 1953 wach zu halten. Ich bin sehr froh, dass der Platz vor dem Bundesfinanzministerium seit 2013 den Namen „Platz des Volksaufstandes von 1953“ trägt. Dieses Gedenken ist angesichts starker Tendenzen, die DDR-Vergangenheit zu verklären und das Unrecht der SED-Diktatur zu verharmlosen, dringender denn je. Die Diktatur der SED schreckte nicht davor zurück, zum Zweck des Machterhalts unsägliches Leid über die Menschen in ihrem Machtbereich zu bringen. Es muss jedem klar sein: Mauer, Schießbefehl und Unterdrückung waren Wesensmerkmale dieser Diktatur. Die Erinnerung an die Brutalität und Grausamkeit sowie den Unrechtscharakter des SED-Regimes darf aus dem öffentlichen Bewusstsein nicht verdrängt werden, wie es die LINKE seit Jahren versucht. In meiner Tätigkeit als Vorsitzender des Stiftungsrats der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur merke ich bis heute, dass diese Aufarbeitung nach wie vor dringender denn je ist.

Die Überwindung der Deutschen Teilung, die noch im Januar 1989 jedem als eine Illusion erschien, gibt den Menschen in Korea Mut, die Hoffnung nicht zu verlieren, auch die koreanische Teilung zu überwinden.

Hartmut Koschyk

Sie sind seit vielen Jahren stark im deutsch-koreanischen Dialog engagiert, unter anderem als Vorsitzender zweier binationaler Gremien. Einmal abgesehen von den aktuellen atomaren Kriegsdrohungen des Diktators Kim Jong-Un: Inwiefern schöpft Südkorea Hoffnung aus der deutschen Wiedervereinigung?

Die Trennung der koreanischen Halbinsel ist viel radikaler, als sie es zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland je war, weil bis heute weder Menschen noch Information und Kommunikation die demilitarisierte Zone in wirklich nennenswertem Umfang überschreiten. Gleichzeitig muss man sich bewusst sein, dass die koreanische Teilung in einem blutigen Bürgerkrieg ihren Anfang nahm. In einer Annäherung zwischen Nord- und Südkorea kann Deutschland nicht als Vermittler, sondern allenfalls als ehrlicher Ratgeber auftreten und die innerdeutschen sowie europäischen Erfahrungen wie den KSZE-Prozess weitergeben. Deutsche Erfahrungen im Hinblick auf Teilung, Annäherungspolitik und Einigungsprozess bieten der koreanischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zweifellos wichtige Anregungen für einen eigenen Weg. Auf diesem Weg bietet Deutschland seinen Rat und im Rahmen seiner Möglichkeiten auch seine Unterstützung an. Die Erfahrung der Teilung unterstreicht dabei Deutschlands Glaubwürdigkeit als „ehrlicher Ratgeber“. Die Überwindung der Deutschen Teilung, die noch im Januar 1989 jedem als eine Illusion erschien, gibt den Menschen in Korea Mut, die Hoffnung nicht zu verlieren, auch die koreanische Teilung zu überwinden. Die deutsche Wiedervereinigung hat gezeigt: Wer keinen langen Atem hat, wer nicht zuversichtlich ist, wird ein so großes und wunderbares Projekt wie die Vereinigung seines Vaterlandes niemals zustande bekommen. Deutschland sieht unverändert in der Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche die beste Möglichkeit, nicht nur die strittige Nuklearfrage zu lösen, sondern auch einen nachhaltigen Dialogprozess aller Beteiligten über alle Themen zu führen, die einer friedlichen Entwicklung in Nordostasien, einer allseitigen Verständigung sowie einer umfassenden Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Bildung, Wissenschaft und im humanitären Bereich dienen.