Der Haushaltsexperte und der Kanzler der Einheit: Bartholomäus Kalb (r.) mit Helmut Kohl. (Foto: CSU/Büro Kalb)
Barthl Kalb

Sternstunden und dunkle Tage

Gastbeitrag Einige CSU-Bundestagsabgeordnete treten am 24. September nicht mehr zur Wahl an. Sie blicken auf Jahrzehnte intensiver Arbeit für die Bürger zurück. Für den BAYERNKURIER schildern sie ihre Sternstunden im Bundestag. Heute: Bartholomäus Kalb.

November 2016, letzte „Bereinigungssitzung“ des Haushaltsausschusses für die 18. Legislaturperiode, bevorstehendes Weihnachtsfest … Ein wenig Wehmut hatte sich da schon in meine Gedanken eingeschlichen… Dann die Anfrage des BAYERNKURIER: ob ich bereit wäre, etwas über meine schönste Stunde („Sternstunde“), meine schwärzeste Stunde und über das witzigste Erlebnis während meiner Zeit als Abgeordneter zu schreiben …

Okay, ich seh‘ so etwas positiv, als eine gute Gelegenheit, langsam damit zu beginnen, über den Abschied nachzudenken: Abschied von Berlin, meinen Kollegen, den manchmal kräftezehrenden Auseinandersetzungen und Debatten, den guten Gesprächen, bei denen man das Gefühl hatte, etwas geschafft zu haben. Aber auch Abschied von meinen Mitarbeitern, dem altvertrauten Arbeitsplatz im Paul-Löbe-Haus. 30 Jahre Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Was bleibt?

Größte Stunde: Der Fall der Berliner Mauer

Wir Haushälter müssen immer in großen Zusammenhängen nachdenken, es geht schließlich ums „große“ Geld. Geld für unser Land, für unsere Menschen. Es soll allen gut gehen. Es gibt so viele Ereignisse, die sich direkt darauf auswirken, wie viel Geld da ist, was es wert ist, wofür das Geld des Steuerzahlers eingesetzt wird. Ausgeglichene Bilanzen, ein ausgeglichener Haushalt, das ist unser Ziel. Da ist „Sternstunde“ ein großes Wort. Etwas wirklich Schönes, Bewegendes, das ich nie vergessen werde …? Ein großes Ereignis, das vieles, wenn nicht sogar alles verändert hat? Mir fällt sofort nur eines ein: 9. November 1989, Fall der Mauer.

Die Mauer in Berlin sei gefallen … – es war unfassbar. Alle Abgeordneten erhoben sich spontan und sangen die Deutschlandhymne. Es war für mich ein tief bewegender Moment. Alles sollte sich von da an verändern.

Bartholomäus Kalb zum 9. November 1989

Ich werde das nie vergessen – wahrscheinlich geht das vielen Menschen so. Es hat sich einge­kerbt ins Gedächtnis, es macht immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke: Es war ein Donnerstag. Wir saßen alle zusammen in der Haushaltsausschusssitzung in Bonn, im „Langen Eugen“ im 25. Stock. Gegen 21 Uhr, nach Ende der Sitzung, gingen wir manchmal noch zum Ausklang in die „Registratur“ – liebevoll auch „Papierkneipe“ genannt – auf ein Bierchen. Im Wasserwerk lief parallel eine ganz normale Plenardebatte. Plötzlich eine Durchsage: Gegen 22 Uhr würde der Kanzleramtsminister Rudi Seiters eine Erklärung vor dem Plenum des Deutschen Bundestages abgeben …

Wir ahnten schon, dass dies etwas mit den Vorgängen in Berlin zu tun haben würde. Alle strebten zum Telefon, um aktuelle Neuigkeiten zu erfahren. Damals gab es noch keine Handys und Telefonate wurden gewöhnlich aus Telefonzellen geführt … für manche heute wohl unvorstellbar. Letztendlich war der Plenarsaal brechend voll und Seiters gab seine Erklärung ab. Die Mauer in Berlin sei gefallen … – es war unfassbar. Alle Abgeordneten erhoben sich spontan und sangen die Deutschlandhymne. Es war für mich ein tief bewegender Moment. Alles sollte sich von da an verändern. In welch großem Umfang überblickte damals noch keiner. Es war wahrhaftig eine Sternstunde – für mich und für ganz Deutschland.

Der Schock: Terror in New York 2001

Über die schwarzen Stunden im Leben denkt man nicht so gerne nach. Aber Gutes und Böses liegt eben oft dicht nebeneinander … Eben dachte ich noch an eine „Sternstunde“ und bekam ebenfalls Gänsehaut, als ich daran denken musste, welche „schwarze“ Stunde mir ebenfalls unvergessen ist: 11.9.2001. Ein Dienstag. Sitzungswoche in Berlin, allgemeine Finanzdebatte im Plenum, ich sollte reden. Zwischendurch war ich nur kurz in meinem Büro, weil ein Pressefotograf vom Focus Aufnahmen zu einem Artikel von mir machen sollte. Er war eben angekommen und wir waren gerade dabei, in meinem kleinen Büro einen guten Platz für ein Foto zu finden. Plötzlich stürzte eine Mitarbeiterin aus dem gegenüberliegenden Büro zur Tür herein: „Macht sofort den Fernseher an, habt ihr es schon mitbekommen …? Oh Gott !!!“

Nicht nur der Ablauf der damaligen Sitzungswoche hatte sich verändert, sondern die gesamte weltpolitische Lage war eine andere geworden. Mir in Erinnerung als schwärzester Tag.

Bartholomäus Kalb zum 11. September 2001

Fassungslos mussten wir live mit ansehen, wie nacheinander die zwei stolzen Türme einer Nation, die bis dahin unverwundbar erschien, zu Staub und Asche in sich zusammenfielen und vielen Menschen den Tod brachten. Wir mussten miterleben, wie die Kommentatoren im Fernsehen keine Worte fanden für das, was passierte. Auch wir im Deutschen Bundestag hatten keine Worte mehr. Die Debatte wurde abgebrochen. Am Abend und den darauf folgenden Tagen reihte sich Krisensitzung an Krisensitzung. Auf der Tagesordnung: Änderung der Sicherheitsgesetze in kürzester Frist. Nicht nur der Ablauf der damaligen Sitzungswoche hatte sich verändert, sondern die gesamte weltpolitische Lage war eine andere geworden. Mir in Erinnerung als schwärzester Tag.

Haushälter sind von Natur aus ernsthaft

Weiter mit den Gedanken… witzigstes Erlebnis? Tja,… Witze auf Kosten anderer liegen mir nicht… so viel steht fest. Aber ich lache gern, vielleicht liegt mir sogar schwarzer Humor. Die meisten Haushälter sind von Natur aus sehr ernsthafte Menschen. Vielleicht zu ernsthaft. Wenn das „große Geld“ bewegt und verteilt werden muss, gibt es eben selten was zu lachen. Jetzt bin ich mir sicher: Der Ausgleich ist schon da: Sternstunde und schwärzeste Stunde – eine Art Ausgewogenheit. Witzigkeit stört da nur.