Gereon Flümann (Hg.): „Umkämpfte Begriffe – Deutungen zwischen Demokratie und Extremismus“, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2017, 360 Seiten, kostenlos
Buchtipp

Worte als Waffen

Schon Franz Josef Strauß hat den „Kampf um die Sprache“ als zentralen Bereich der geistigen Auseinandersetzung mit den Sozialisten begriffen. Nun haben namhafte Politikwissenschaftler den Kampf um politische Begriffe ausführlich analysiert.

„Wir dürfen uns nicht im Kampf um Begriffe, im Kampf um die Sprache von den Sozialisten verdrängen lassen. Den Rückschlag der 70er Jahre haben wir nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass die anderen sich der Sprache bemächtigt haben, die Sprache als Waffe benutzt haben, dass sie Begriffe herausgestellt, mit anderem Inhalt gefüllt haben und dann auf einmal als Wurfgeschosse gegen uns – nicht ohne Erfolg – verwendet haben“, hatte einst bereits Franz Josef Strauß analysiert. Leider ist dies im öffentlichen Bewusstsein heutzutage kaum verankert.

Die Macht der Sprache

Die linken 68er und ihre geistigen Erben brachten es – wie Strauß diagnostizierte – bei der Verdrehung der politischen Begriffe zu einer gewissen Meisterschaft, aber sie waren natürlich nicht die ersten, die die Macht der Sprache erkannten. Ein Beispiel: Die Nazis mit ihrer gut geölten Propagandamaschinerie hatten die Begriffe „Nation“ und „Volk“ in einer Art und Weise missbraucht, dass sich das Gros der Deutschen erst seit der Wiedervereinigung 1990 wieder traut, die Begriff „Nation“ oder „Patriot“ positiv zu verwenden.

Politische Begriffe als Kampfmittel

Demokratie, Gleichheit, Freiheit, Gewalt, Repression, Widerstand, Krieg und Frieden, Menschenrechte, Kapitalismus, Volk, Nation, Gemeinschaft, Gesellschaft: All diese Begriffe sind politisch besetzt und werden – je nachdem, von wem sie benutzt werden, unterschiedlich bewertet und ausgelegt. Sie sind – so betrachtet – Kampfmittel in der politischen Auseinandersetzung. Vor allem zwischen Extremisten und Demokraten besteht hier ein großer Unterschied.

Das Bemerkenswerte an dem vorliegenden Buch ist, dass hier eine Reihe von Politikwissenschaftlern Analysen vornehmen, die den Extremismusbegriff nicht auf den Rechtsextremismus verengen, sondern auch linken und islamistischen Extremismus erforschen. So zählen die Extremismusforscher Eckhard Jesse und Uwe Backes zu den Autoren, die jährlich ein großes Extremismus-Symposium bei der Hanns-Seidel-Stiftung abhalten – daneben die Jesse-Schüler Tom Thieme und Tom Mannewitz sowie der Backes-Schüler Steffen Kailitz. In 17 Artikeln, die je etwa 20 Seiten umfassen, analysieren die Autoren die historische Herkunft der Begriffe sowie die Bedeutungs-Verengungen und Umdeutungen durch die Extremisten.

Als Grundtendenz lässt sich festhalten, dass sowohl Rechts- als auch Linksextremisten wie auch Islamisten positiv besetzte Begriffe wie „Demokratie“, „Freiheit“, „Gemeinschaft“, „Gleichheit“ und „Menschenrechte“ ihrer Ideologie gemäß verengen: Sie sollen nur für die Angehörigen der von ihnen bevorzugten Gruppe gelten, die im ersten Fall durch Rasse, im zweiten Fall durch Klasse, im dritten Fall durch die Zugehörigkeit zum Islam definiert ist. Gleichzeitig werden alle negativ besetzten Begriffe wie „Repression“ und „Gewalt“ ausschließlich dem politischen Gegner zugeschrieben und so für die eigene Gruppe das Recht auf Widerstand legitimiert.

Gewaltanwendung ist für jeden Moslem legitim

Interessant die Haltung der einzelnen Extremismen zum Thema Gewalt: Während der Rechtsstaat ein staatliches Gewaltmonopol und die Herrschaft des Rechts kennt, halten sowohl Rechts- und Linksextremisten sowie Islamisten die Anwendung von Gewalt für legitim, soweit sie ihren Zielen dient. Dies ist wohl das deutlichste Unterscheidungsmerkmal zwischen Extremisten und Demokraten. So weist die Politikwissenschaftlerin Birgit Enzmann von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt darauf hin, dass für alle Moslems – nicht nur Islamisten oder Dschihadisten – der „kleine Dschihad“ die „gewaltsame Verteidigung des Islam gegen alle destabilisierenden Anfeindungen“ legitimiert. „Gewaltanwendung ist dabei auch vorsorglich erlaubt, um zum Beispiel die drohende Verführung zu unislamischem Veralten zu verhindern“, so Enzmann.

Einer der am meisten missbrauchten Begriffe ist wohl der der „Demokratie“. Praktisch jeder bezeichnet(e) sich als Demokrat, sogar der Unrechtstaat DDR. Kaum eine Diktatur, die sich nicht wenigstens ansatzweise den Anschein demokratischer Legitimierung zu verschaffen versuchte, und sei es durch offensichtlich manipulierte Wahlen. Der Marxismus-Leninismus entwickelte den Begriff der Räte-„Demokratie“, wobei die Macht in den Händen von Arbeiter- und Soldatenräten liegen sollte, die selbstverständlich ein entsprechendes Klassenbewusstsein haben mussten.

Es sind aber bei einzelnen Autoren des Bandes auch blinde Flecken zu erkennen. So spricht der Dortmunder Emeritus Thomas Meyer den Sozialismus und den Marxismus weitgehend von Schuld frei und geht dem Mäntelchen des „Demokratischen“ Sozialismus auf den Leim.

Kommunisten als Demokraten?

Der Begriff „Diktatur des Proletariats“ sei, wie Meyer meint, von Marx und Engels nur „gelegentlich und eher beiläufig“ benutzt worden und habe sich darauf bezogen, dass „eine demokratisch gewählte Arbeiterregierung das bürgerliche Grundrecht auf Privateigentum an großen Produktionsmitteln nicht unbedingt gelten lassen würde“. Dass die Arbeiterbewegung erst durch bewusste Abkehr vom Marxismus, von der Ideologie gewaltsamer Enteignungen und vom antiliberalen und antibürgerlichen Sozialismusbegriff im heutigen Sinn demokratisch wurde, verkennt Meyer. Diese Fehleinschätzung des Sozialismus ist indes einer der ganz wenigen Wermutstropfen in einem insgesamt sehr empfehlenswerte Band.

Gereon Flümann (Hg.): „Umkämpfte Begriffe – Deutungen zwischen Demokratie und Extremismus“, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2017, 360 Seiten, Paperback, kostenlos.