Ein Anschluss unter dieser Nummer: die junge Volksmusik-Band "Dreieckmusi" aus dem Lechrain. (Foto: Dreieckmusi)
Popkultur

Heimat ist wieder in

In einer verwirrenden Welt von Globalisierung, Multikulti und Online-Lifestyle besinnen sich junge Bayern wieder auf ihre traditionellen Wurzeln. Blasmusik-Rock, moderne Heimatfilme, Dirndl-Mode spiegeln die Sehnsucht nach der eigenen Heimat.

Wer hier ehrwürdige Gebirgstrachten, Gamsbärte, Kniebundlederhosen und Dirndlgewand erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht sein. Auf dem „Heimatliebe Festival“ in Regensburg, auf dem Gelände des 700 Jahre alten Barockschlosses Pürkelgut, rocken überwiegend junge Leute mit bunten Tattoos, Boateng-Frisuren, Wikinger-Bärten und hippen Shirts mit Aufschriften wie „Mords Depp“ oder „Mia san fucking mia“. Für ausgelassene Stimmung sorgen keine Blaskapellen, sondern mehr als ein Dutzend junge Bands, die ihre Rock-, Rap- oder Blues-Songs allesamt in bayerischer Mundart intonieren. Das Festival in Regensburg gilt als Musterbeispiel für ein neues bayerisches Heimatgefühl.

Zurück zu den Wurzeln

Von der Zugspitze bis zur Röhn, von Deggendorf bis Dillingen: Bayernweit besinnen sich junge Menschen wieder auf ihre traditionellen Werte. In Zeiten weltweiter Konflikte, zunehmender Überfremdung und einem Leben in sozialen Netzwerken wächst vor allem bei jungen Leuten die Sehnsucht nach Nähe, Halt, Geborgenheit und Vertrauen. Das bestätigt auch der bayerische Heimatminister Markus Söder und spricht von einer Renaissance des heimischen Lebensgefühls. Die Menschen würden sich wieder nach Bekanntem und Vertrautem sehnen.

Auch der Ayinger Jungunternehmer Franz Josef Strauß, Inhaber des gleichnamigen Agrarservices und Mitglied der CSU, sieht die Angst vor Überfremdung unserer Gesellschaft als einen wichtigen Impuls, dass sich junge Menschen wieder auf ihre Heimat besinnen: „Lange Zeit wurde Tradition gleichgültig belächelt, doch jetzt entwickelt sich in den Burschenvereinen wieder ein neues emotionales Zusammengehörigkeitsgefühl.“

Lange Zeit wurde Tradition gleichgültig belächelt.

Franz Josef Strauß, Agrarunternehmer

Der neue Heimatsinn speist sich auch aus anderen Quellen als dem jahrhundertealten Brauchtum. Auf allen Gebieten der Freistaat-Kultur, im Theater, Kino und TV, in der Musik und in der Mode wird bayerischer Lebensstil neu interpretiert. In der bayerischen Filmbranche wird jenseits traditioneller Heimatschinken das Genre der Landkomödien neu definiert. Streifen wie „Winterkartoffelknödel“, „Dampfnudelblues“ oder „Grießnockerlaffäre“ locken inzwischen mehr junge Leute in die Münchner Kinos als so mancher Hollywood-Blockbuster. Ebenso beliebt sind die neuen Heimat-Krimis, die in Rosenheim, in Franken, am Chiemsee oder im Allgäu spielen und inzwischen höhere Einschaltquoten erzielen als der DFB-Fußballpokal. „Die Marke Bayern ist besonders mit starken Heimatbildern verbunden und zudem ist Heimat ein sehr starkes Gefühl“, weiß Kulturwissenschaftlerin und Buchautorin Simone Egger, die 2012 den Hochschulpreis der Landeshauptstadt München gewann und sich mit ihrem Sachbuch „Heimat“ einen Namen machte.

Eggers Aussagen werden von der aktuellen „BR-Bayernstudie 2015“ im Auftrag des Bayerischen Rundfunks untermauert. Darin belegt das Marktforschungsinstitut „mindline media“, dass regionale Werte, heimische Tradition und auch lokaler Dialekt bei jungen Bayern wieder an Bedeutung gewinnen. Insgesamt 82 Prozent der unter 30-Jährigen gaben beispielsweise an, sehr gern im Freistaat zu leben. Rund 80 Prozent von ihnen sind sogar stolz darauf, „ein echter Bayer zu sein“. Dabei ist die regionale Verbundenheit vor allem in Mittelfranken und der Oberpfalz besonders stark ausgeprägt.

Wo das Gsindl rockt

Motor der neuen Heimat-Bewegung ist die modern interpretierte Volksmusik. Im Juli tanzten auf dem Regensburger Heimatliebe-Festival rund 4.000 Besucher. Die neuen Mundart-Bands führen ungewöhnliche Namen wie „dicht&ergreifend“, „Django S.“ oder „Gsindl“. Letztere hat unter der Bezeichnung Ethno-Style sogar eine neue Musikrichtung mitgeprägt. Als Vorreiter dieser jungen Freistaat-Szene gelten freilich die sieben Oberbayern von LaBrass Banda aus Übersee am Chiemsee. Vor einigen Jahren galt die Mundart-Band noch als echter Geheimtipp. Heute füllen sie mit ihrer fetzigen Trompetenmusik riesige Konzerthallen und bringen sogar Mega-Partys in Japan, Brasilien oder Sibirien zum Kochen. Frontmann Stefan Dettl, der auf einem Bauernhof im Chiemgau mit Maibaum in seiner Einfahrt lebt, spielt jedoch nach wie vor am liebsten auf dem Land. „In bayerischen Bierzelten gelten eigene Gesetze, da macht es uns immer am meisten Spaß.“

Der La Brass Banda-Chef, der mit seiner Band meist in der Krachledernen auftritt, spiegelt mit seinem Outfit aber noch einen anderen Trend: Bayerische Trachtenmode ist so beliebt wie nie zuvor – und das nicht nur zur Wiesn-Zeit. Um sich von trendiger Bavaria-Tracht überzeugen zu lassen, muss man nur im Laden von „Ludwig & Therese“ in der Münchner Hofstatt, nahe des Rindermarkts, vorbeischauen. Hier werden schlichte und stylische Designs mit traditioneller Dirndl-Optik kombiniert. Die Farbpalette reicht von Knallrot bis hin zu zarten Pastelltönen.

Die Vielfalt in Form und Farbe der Dirndl ist gewachsen.

Christina Burgstaller, Bierkönigin

Bayerischer Lifestyle geht inzwischen aber auch richtig schrill. Pinkfarbene Lederhosen von jungen Designerinnen und kurzrockige Dirndl in wilden Farben für den weiblichen Nachwuchs lösen häufig ober bayerische Trachten ab. Musterbeispiel für die andere Bajuwaren-Mode ist der 2011 gegründete Design-Shop „Bavarian Couture“. Das Erfolgsrezept basiert nicht zuletzt auf einer ausgeklügelten Social-Media-Strategie und dem hauseigenen Online-Shop. Die beiden Geschäftsleute Christoph Paul Forstner und seine Schwester Laura sehen Mode als eine starke Ausdrucksform für regionale Identität. Im Zuge der Globalisierung gehe diese jedoch verloren, denn jeder könne heute auf der ganzen Welt dasselbe Outfit tragen, befürchten die beiden. Deswegen spielen sie auf ihren Textilprodukten mit Symbolen der Heimat: Brezen, Maßkrügen und Trachtenhüten.

Mit ihrem Label produzieren die Schwabhausener Jungunternehmer mit viel Herzblut hochwertige Shirts, Tanktops und Pullover mit kitschfreien Motiven: „Schmusen warad jetz schee“ oder Boazn Baby“ prangen auf der Brust. Bei ihrer „Bavarian Couture“ handelt es sich nach Meinung der Forstner-Geschwister um freche und authentische bayerische Kleidung nach dem Motto: „Mia macha fesche Fashion von Dahoam“. Und genau diese Mode verkörpert ihrer Ansicht nach das neue bayerische Heimatgefühl – aber gelebt auf neue Art.