Wirtshaus-Moderne: Der Biergarten der Augsburger Brauerei Riegele fasst 400 Gäste. (Foto: PR Riegele)
Heimat

Rezepte gegen den Wirtshausschwund

Mit frischen Ideen und mutigen Konzepten verhelfen Gastronomen traditionellen Gaststätten zu neuem Leben. Die bayerische Landesregierung hat zudem ein neues Hilfsprogramm gegen das Wirtshaussterben aufgelegt.

In der Gaststube und in den Gästezimmern dominieren Holz und Natursteine, auf den Tellern landen Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung. Bodenständigkeit, Nähe zur Natur und Nachhaltigkeit – mit diesem Rezept hat Sigrid Kamm ihren traditionellen Gasthof neu belebt. Die Niederbayerin ist Chefin des „Kammbräu“ im 1200-Seelendorf Zenting inmitten des Bayerischen Waldes, rund 30 Kilometer von Passau entfernt. Nach langer Durststrecke stand sie vor einigen Jahren vor der Entscheidung, wie es mit ihrem Wirtshaus weitergehen sollte. Eine Schließung kam für Kamm nicht in Frage, also renovierte sie den Betrieb und schuf für ihre Gäste einen Wohlfühltempel mit heimischer Küche und regionalen Produkten. Das Fleisch kommt vom Bio-Bauernhof aus der Nachbarschaft, Schwammerl, Beeren und Kräuter aus dem nahegelegenen Wald. Obst und Gemüse stammen aus eigenem Anbau.

Hinzu kommen Übernachtungsmöglichkeiten mit einem breiten Wellnessangebot. Das Erfolgsrezept von Sigrid Kamm ist ein Beispiel für Innovationen in der bayerischen Gastronomie. „Wir haben eine Symbiose von Tradition und Moderne mit anspruchsvoller Kulinarik kombiniert, was unseren Gästen ein wohliges Heimatgefühl vermittelt“, erklärt die Kammbräu-Chefin.

Servus Stammgast

Doch längst nicht allen Gastronomen gelingt es, sich mit solch frischen Ideen gegen den Negativtrend in ihrer Branche stemmen. Während langjährige Stammgäste allmählich wegsterben, zieht es junge Leute zum Feiern in die Stadt. Da lässt sich auch nicht mit neuer Kegelbahn, Riesenbratwurst oder Mega-Schnitzel für 3,90 Euro gegensteuern – die Gäste bleiben aus. Folge: Viele Wirtsleute mussten in den vergangenen Jahren das Handtuch werfen. Diese Entwicklung macht selbst manche Gastro-Experten ratlos, zumal sich der Freistaat als Reiseziel anhaltender Beliebtheit erfreut. Allein im vergangenen Jahr kamen mehr als fünf Millionen Besucher aus aller Welt nach Bayern – nicht zuletzt wegen der hiesigen Wirtshauskultur mit frischem Bier und deftiger Regionalküche.

Wie ernst die Situation aber in vielen Betrieben tatsächlich ist, belegen aktuelle Zahlen des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband „Dehoga“. Seit der Jahrtausendwende mussten im Freistaat rund 1500 Wirtshäuser schließen. Auch die Zahlen des Statistischen Landesamts belegen die dramatische Entwicklung: Demnach hat Bayern zwischen 2009 und 2015 fast ein Viertel seiner Schankwirtschaften verloren – von rund 5000 auf weniger als 4000. Im Jahre 1996 waren es sogar noch 7.300 aktive Wirtschaften. In den verbliebenen Betrieben arbeiten derzeit immerhin noch mehr als 400.000 Menschen im Vollerwerb.

Die Gastronomie ist die zweitwichtigste Leitökonomie in Bayern.

Angela Inselkammer, Wirtin und Verbandschefin

Gründe für den Verfall bayerischer Gastkultur sind nicht nur ausbleibende Gäste oder Nachwuchsmangel. Vor allem bürokratische EU-Vorschriften stellen viele Landgasthöfe vor schier unlösbare Probleme. Da geht es um Temperaturlisten für die Speisen, unflexible Arbeitszeiten und komplizierte Allergen-Listings. Um dem Wirtshaussterben entgegen zu wirken, fordert deshalb Dehoga-Präsidentin Angela Inselkammer massiven Bürokratieabbau, eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, gleiche Steuern für Essen sowie die Einführung einer wirksamen Kleinunternehmerregel. „Unsere Betriebe sind die Grundvoraussetzung für den Tourismus, der nach der Industrie mittlerweile die zweitwichtigste Leitökonomie in Bayern ist“, betont die Ayinger Gastronomieunternehmerin.

Angesichts dieser Probleme will die Landesregierung den kleinen Gastronomiebetrieben jetzt tatkräftig Hilfestellung leisten. Auf dem Münchner „GastroFrühling“ im April sagte Ministerpräsident Markus Söder den Wirten noch für dieses Jahr ein Investitionsförderprogramm von insgesamt 30 Millionen Euro zu. Bayern müsse jetzt unbedingt aktiv werden, so der Landesvater, denn schließlich sei die Gastronomie das „Herzstück bayerischer Gemütlichkeit“.

Bamberger Innovation

Mindestens so wichtig wie die staatlichen Finanzspritzen sind jedoch Eigeninitiative und frische Ideen. Während Sigrid Kamm im Bayerischen Wald auf gemütlich-modernes Ambiente sowie Wellnessmöglichkeiten schwört, setzt Stephan Michel – gegen jeden Lifestyle-Trend – weiter auf urige Tradition und hat damit nachhaltigen Erfolg. Wer zu ihm in den Bamberger „Mahrs Bräu“ kommt, erlebt eine Gaststube wie vor hundert Jahren: niedrige Decke, dämmriges Licht, dunkles Holz, schmale Biertische und einen uralten Kachelofen. Als Michel vor rund zehn Jahren von seinem Vater das Geschäft übernahm, entschied er sich gegen Modernisierung und beschloss, den traditionellen Charme des Gasthauses beizubehalten – gepaart allerdings mit vielerlei Innovationen.

Der Oberfranke kennt die aktuellen Probleme der Gastro-Branche, aber er weiß auch, wie er die Leute in sein Wirtshaus lockt: eigene Bierspezialitäten, handfeste Speisen mit Zutaten aus regionalem Anbau, eine eigene Wirtshaus-Zeitung und regelmäßige Events. „Innovation ist für mich ein zentrales Thema in der heutigen Gastronomie“, betont Michel. Das gilt vor allem für den kulturellen Aspekt: So gibt es im Mahrs Bräu regelmäßige Bandauftritte, traditionelles Wirtshaussingen, rege Stammtischrunden und saisonbedingte Festivitäten. Aktuell baut er an einem Laden, in dem auch Bierverkostungen stattfinden sollen, und er will sich auch noch intensiv ans Schnapsbrennen wagen, um in der Stadt einen eigenen Whisky zu etablieren. „Ich biete meinen Gästen immer wieder etwas Neues“, sagt der Bamberger Tausendsassa, „dabei muss aber auch das Gesamtbild mit der Philosophie des Hauses übereinstimmen“.

Bier für feine Kehlen

Auf Authentizität setzt auch Sebastian Priller-Riegele. Der Juniorchef vom Brauhaus Riegele in Augsburg kreierte rund um die 1386 gegründete Traditionsbrauerei eine moderne Biererlebniswelt, in der das Wirtshaus zum Herzstück zählt. Dort serviert das junge Personal auf Wunsch zu jedem bayerischen Gericht, das passende Bier. Nicht umsonst kürte das Magazin „Der Feinschmecker“ die Gaststätte zu einem der 40 besten Bierlokale in ganz Deutschland. Neben Führungen durch das historische Sudhaus können Gäste hier ungewöhnliche Biermenüs probieren und sich bei professionellen Verkostungen von ausgebildeten Sommeliers etwas über Brauprozess, Sensorik sowie Sortenvielfalt erzählen lassen. Für den Augsburger ist Stillstand keine Option: „Unsere Philosophie ist nicht ‚wir sind gut‘, sondern ‚lasst uns besser werden.“

Ebenso innovativ stellt sich auch das Wirtshaus „Liebesbier“ in Bayreuth dar. Vor rund zwei Jahren startete Jeff Maisel angedockt an Brauerei und Biermuseum sein oberfränkisches Gastronomie-Projekt – begleitet von zahlreichen Events: von der Johnny Cash-Show, über ein „Magic-Dinner mit Zauberer Danny Ocean“ und Comedy-Shows bis hin zur „Brewers-Night“ und sogenannten „Foodpairing Tastings“. Die Gäste erwartet im alten Mauerwerk aus dem 19. Jahrhundert ein hochmodernes Industriedesign. Hier gibt es neu interpretierte bayerische Hausmannskost, mehr als 20 Biere vom Fass sowie knapp 100 Sorten aus der Flasche. Für jüngere Generationen ist die Location der Inbegriff eines „Wirtshaus 2.0“. Wen wundert da, dass schon im Eröffnungsjahr das Maisel-Team dafür die Auszeichnung „Bestes Gastro-Konzept“ vom renommierten Bar-Magazin „Fizzz“ erhielt.

Wirtshäuser sind das Herzstück der bayerischen Gemütlichkeit.

Ministerpräsident Markus Söder

Manchmal genügen auch einige engagierte Dorfbewohner, um ein Wirtshaus zu erhalten. Als Musterbeispiel für einen gelungenen Neuanfang gilt die Dorfwirtschaft im 200-Seelenort Asten nahe Tittmoning, die nach jahrelangem Dahindümpeln schließen musste. Acht Ortsbewohner konnten sich mit dem Niedergang ihres Gasthauses, das immerhin seit dem Jahr 1873 bestanden hatte, nicht abfinden und schlossen sich zu einer genossenschaftlichen Projektgruppe zusammen. Tatkräftig sammelten sie Geld, nahmen zusätzlich einen Kredit auf und holten sich einen Zuschuss vom Amt für ländliche Entwicklung. So kamen rund eine halbe Millionen Euro zusammen. Für die Sanierung des alten Wirtshauses lieferten lokale Baufirmen Material zum Selbstkostenpreis, der Architekt beteiligte sich ehrenamtlich und weitere Helfer opferten für den Erhalt der Wirtschaft mehr als 10.000 unbezahlte Arbeitsstunden. Der Aufwand hat sich gelohnt. Heute kann sich Albert Schauer, einer der Initiatoren, über das jetzt wieder florierende Gasthaustreiben im Dorf erfreuen: Er erhält inzwischen sogar zahlreiche Anfragen von anderen Gemeinden im Freistaat, die ihn um Rat für die Erhaltung ihrer Dorfwirtschaft fragen.