Bis zu 20.000 Besucher schauen sich das Spektakel an. (Bild: A. Schuchardt)
Berchinger Rossmarkt

Gastspiel der Schwergewichte

Nervenkitzel bei den Pferdehaltern, Aufregung bei den Rössern, Routine bei den Politikern - der Berchinger Rossmarkt ist das größte Wintervolksfest in Bayern und lockte in diesem Jahr rund 20.000 Besucher in die Gassen der Altstadt.

Rhythmisches Malmen, Stroh raschelt, Pferdeäpfel klatschen auf den Boden. Ein dumpfes Geräusch ertönt. Flori scheuert seine Fessel an der Boxenwand. Während der Huf entlang der Wand schrappt, balanciert das Kaltblut seine 1100 Kilo Körpergewicht auf den verbleibenden drei Beinen aus. Unter dem dicken Winterfell treten die Muskeln hervor. Als das Hinterbein wieder auf den Sägespänen steht, schüttelt sich das Schwergewicht, die blonde Mähne und der Schopf fliegen durch die Luft. „Der Juckreiz kommt bestimmt vom Waschen“, sagt Thomas Marx. Trotz knapp zwei Grad über Null hat er heute sechs seiner zehn Kaltblüter shampooniert und abgespritzt. Flori kennt den Ablauf, auch Hias, Gisa und Maxl wissen was sie morgen erwartet. Für Gustl und Jackl steht eine Premiere bevor.

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Gastspiel der Schwergewichte: Berchinger Rossmarkt

Die Aufregung ist den beiden zweijährigen Hengsten anzumerken. Jackl wiehert, Gustl stampft unruhig von einem Bein auf das andere. Thomas geht zu ihm in die Box, bürstet seine Mähne und beginnt Zöpfe zu flechten. Etwa zwei Tage sind er und sein Vater mit den Vorbereitungen für Bayerns größtes Wintervolksfest beschäftigt. Vor drei Jahrzehnten war Senior Marx mit einem Kaltblut zum ersten Mal dabei. Die Truppe ist inzwischen auf sechs Rösser und neun Helfer angewachsen. Grad für die beiden Neulinge Gustl und Jackl ist Manpower gefragt.

Wenn ich beim Rossmarkt nicht dabei wäre, würde etwas fehlen.

Thomas Marx

„Bei Hengsten muss man immer aufpassen. Sie reagieren ganz anders auf andere Pferde als Wallache, vor allem auf rossige Stuten“, sagt Thomas. Rossige Stuten, also weibliche Tiere, die paarungsbereit sind, bringen auf dem Rossmarkt die Hengste in Aufruhr. Sie tänzeln, schnauben und lassen sich nur schwer bändigen. Ansonsten ist das Kaltblut, wie der Name schon sagt, schwer aus der Ruhe zu bringen. Diese Eigenschaft hat sich Familie Marx zunutze gemacht und ihren landwirtschaftlichen Betrieb nach und nach zu einem Landgasthof mit Pension und Kaltblutzucht umgerüstet. Auf rund 30 Festumzügen im Jahr ziehen ihre kaltblütigen Kraftpakete Planwägen und Brauereiwägen durch die Straßen. Auch vor Hochzeitskutschen werden sie regelmäßig gespannt.

Trompetenklänge und Gewieher

Marx Junior ist mit den Pferden aufgewachsen. Für ihn gehört der Besuch des Rossmarktes einfach aus Tradition dazu. „Ohne Pferde könnte ich gar nicht mehr. Die sind ein Ruhepol für mich. Und wenn ich beim Rossmarkt nicht dabei wäre, würde etwas fehlen“, sagt er.

Der 28-Jährige läuft dieses Jahr an der Seite von Gustl. Um sieben Uhr sind er, das Helferteam und die Tiere startklar. Rund 60 Pferdehalter aus ganz Bayern machen sich an diesem Morgen auf den Weg in die oberpfälzische Kleinstadt Berching nahe Nürnberg. Eine Stunde später reihen sich auf den öffentlichen Parkplätzen Pferdeanhänger, die Gassen füllen sich mit Schaulustigen und das Schulorchester posiert am Straßenrand. Neben den Trompetenklängen hallt Gewieher und Getrappel durch die Luft. Pünktlich um neun Uhr setzt sich der Tross in Bewegung. Kaltblüter, Haflinger und Ponies stolzieren angeführt von ihren Besitzern durch die Hauptstraße, Ziel ist der Marktplatz.

Auf dem Weg dorthin halten sie vor dem Podest der Jury entlang der Hauptstraße. Preise in fünf verschiedenen Kategorien werden jährlich für die prächtigsten Vierbeiner verliehen. Johann Paulus gehört seit zwanzig Jahren zur Bewertungskommission. Am frühen Morgen hat er bereits alle Tiere auf ihre Gesundheit geprüft – eine Voraussetzung für die Teilnahme und ein Überbleibsel aus alten Zeiten. Denn der Rossmarkt geht auf eine jahrhundertealte Vorschrift zurück, die von Pferdebesitzern verlangte, ihre Tiere für Gesundheitsuntersuchungen vorzuführen. Im Unterschied zu heute handelte es sich damals um einen reinen Pferdemarkt. Tiere können die Besucher inzwischen nicht mehr kaufen. Dafür aber Ross- und Bratwürste, Küchenutensilien, Klamotten und Dekoartikel.

Zwischen echten und politischen Zugpferden

Bis zu 20.000 Besucher strömen an diesem Mittwoch nach Lichtmess – dieses Datum wurde bereits vor 100 Jahren festgelegt und ist damit ebenfalls ein historisches Relikt – in die 8500-Einwohner Stadt. Damit ist der Rossmarkt das größte Wintervolksfest in Bayern. „Die Kombination zwischen echten und politischen Zugpferden gibt Berching ein besonderes Flair“, sagt Paulus.

Sobald sich die Pferdeschar auf dem Marktplatz versammelt hat, sind Tiere und Marktstände für die nächste Stunde Nebensache. Begleitet von dem ein oder anderen Wiehern nutzen am späten Vormittag Politiker traditionsgemäß die Bühne. Bereits Franz Josef Strauß war hier fünfmal Gast. Ministerpräsident Horst Seehofer kündigte an, ihn in diesem Punkt in den kommenden Jahren übertrumpfen zu wollen. Auch sein Besuch jährt sich in diesem Jahr zum fünften Mal. Seehofer (CSU) nutzte den Anlass, um Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) für ihre Bauernregeln scharf zu kritisieren. Diese seien nicht nur eine „Verunglimpfung, sondern eine Beleidigung“.

Ich rufe die Umweltministerin auf, sich bei den Bauern zu entschuldigen.

Horst Seehofer, bayerischer Ministerpräsident

Die Kampagne mit elf Reimen kostet Angaben zufolge 1,6 Millionen Euro. Sprüche wie „Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein“ hatten zuvor auch unter anderem Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) und den Bauernverband erzürnt. (der BAYERNKURIER berichtete)

Thomas atmet während der Rede auf. Gustl und Jackl haben ihren Premierenauftritt bisher erfolgreich gemeistert. Im nächsten Jahr seien sie wieder mit von der Partie, kündigt Thomas an. Ein Preis für die beiden polnischen Kaltblüter springt in diesem Jahr zwar nicht heraus. Aber im Gastraum der Familie stehen bereits elf Pokale.

Sobald Bürgermeister und Ministerpräsident die Bühne verlassen und die Pferdehalter ihre Preise verstaut haben, trappeln die Tiere wieder durch die Hauptstraße zurück zu ihren Hängern. Viele Oberpfälzer bummeln jetzt noch einmal durch die Gassen, wärmen sich mit Glühwein auf oder kehren in die örtlichen Gasthäuser ein. Das bayerische Bier hat hier schließlich auch Tradition.