Pressefreiheit weltweit in Gefahr
Todesdrohungen und Gewalt gegen Journalisten haben im vergangenen Jahr in Deutschland massiv zugenommen: die Bundesrepublik rutscht im Ranking der Pressefreiheit vier Plätze nach hinten. Der Bericht von Reporter ohne Grenzen kritisiert insbesondere die Situation in der Türkei und in Polen. Jüngstes Beispiel: Ankara hat einem ARD-Korrespondent die Einreise verweigert.
Reporter ohne Grenzen

Pressefreiheit weltweit in Gefahr

Todesdrohungen und Gewalt gegen Journalisten haben im vergangenen Jahr in Deutschland massiv zugenommen: die Bundesrepublik rutscht im Ranking der Pressefreiheit vier Plätze nach hinten. Der Bericht von Reporter ohne Grenzen kritisiert insbesondere die Situation in der Türkei und in Polen. Jüngstes Beispiel: Ankara hat einem ARD-Korrespondent die Einreise verweigert.

Der Druck auf Journalisten und unabhängige Medien nimmt weltweit immer mehr zu, so die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG). Auch Deutschland verschlechterte sich in der aktuellen internationalen Rangliste der Pressefreiheit um vier Plätze auf Rang 16. Das sei „eine Folge der stark gestiegenen Zahl von Anfeindungen, Drohungen und gewalttätigen Übergriffen gegen Journalisten“, erklärte die Medienorganisation.

Viele Staatsführer reagieren geradezu paranoid auf legitime Kritik durch unabhängige Journalisten. Wenn sich selbstherrliche Präsidenten und Regierungen per Gesetz jeder Kritik entziehen, fördert das Selbstzensur und erstickt jede politische Diskussion.

Michael Rediske, ROG-Vorstandssprecher

In allen Weltregionen sei ein Rückgang der Freiräume für Medien zu beobachten. „Zunehmend autokratische Tendenzen in Ländern wie Ägypten, Russland oder der Türkei tragen zu diesem Trend ebenso bei wie die bewaffneten Konflikte etwa in Libyen, Burundi und dem Jemen“, heißt es. Negative Folgen hätten auch die Bestrebungen der Regierungen in Ländern wie Polen und Ungarn, staatliche und private Medien stärker zu kontrollieren.

Mehr Todesdrohungen gegen Journalisten in Deutschland

In Deutschland hätten vergangenes Jahr Gewalt und Anfeindungen bis hin zu Todesdrohungen gegen Journalisten „massiv zugenommen“. Es gab demnach mindestens 39 gewaltsame Übergriffe gegen Journalisten, etwa bei Demonstrationen der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung.

Ankara droht mit Nachrichtensperren und Klagen

Der Bericht kritisiert insbesondere die Situation in der Türkei und in Polen. In der Türkei würden Nachrichtensperren verhängt, Redaktionen überfallen, ausländische Reporter festgenommen und kritische Journalisten mit Klagen überzogen. Regierung und Justiz gingen auch angesichts des wieder ausgebrochenen Kurdenkonflikts massiv gegen kritische Medien vor, heißt es in dem ROG-Bericht. Das Land kommt in dem weltweiten Vergleich zwischen 180 Staaten auf Rang 151, was im Vergleich zu 2015 eine Verschlechterung um zwei Plätze bedeutet. Bei Erdogans erstem Wahlsieg 2002 war es noch Platz 99.

Türkei verweigert Journalist Einreise

Jüngstes Beispiel: Die Türkei hat dem ARD-Korrespondenten Volker Schwenck die Einreise verweigert. Schwenk sei im Flughafen in Istanbul zwölf Stunden festgesetzt worden und erst am Abend des 19. Aprils wieder in Kairo eingetroffen, sagte ein Sprecher des SWR. Der Leiter des ARD-Fernsehstudios in Kairo war auf dem Weg zu einer Reportage über Flüchtlinge im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Gründe seien ihm zunächst nicht genannt worden, hieß es beim SWR. Schwenck leitet seit mehreren Jahren das ARD-Studio in Kairo.

Schwenck hatte in der Vergangenheit häufiger aus den Rebellengebieten in Nordsyrien berichtet, in die Journalisten in der Regel über die Türkei eingereist sind. Die Türkei hat solche Reisen lange geduldet oder sogar erlaubt, wertet sie inzwischen aber als illegale Grenzübertritte. In den vergangenen Monaten ist mehreren Journalisten die Einreise in die Türkei verweigert worden. Andere wurden unter anderem wegen illegalen Grenzübertritts von Syrien ausgewiesen.

Für Gabriel ein „problematischer Akt“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich besorgt, ihr Stellvertreter Sigmar Gabriel (SPD) sprach von einem „mehr als problematischen Akt“. Das Auswärtige Amt sei in ständigem Kontakt mit allen notwendigen Stellen und setze sich auch dafür ein, dass die Arbeitsfähigkeit des Journalisten schnell wieder hergestellt werde. Die Bundesregierung sehe „natürlich das auch mit gewisser Sorge“.

Konkrete Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Einreiseverbot für Schwenck und dem Fall Böhmermann gibt es nicht. Das juristische und diplomatische Vorgehen der Türkei gegen den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann wegen dessen Schmähgedichts gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan entfachte hitzige Debatten in Deutschland und sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen.

Missbrauch des Beleidigungsparagrafen

Vor wenigen Tagen erst hatte das EU-Parlament die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei in ihrem jährlichen Fortschrittsbericht zu dem EU-Beitrittskandidaten scharf kritisiert. Ankara wies die Kritik zurück. Präsident Recep Tayyip Erdogan und Regierungschef Ahmet Davutoglu betonen immer wieder, in ihrem Land herrschten Presse- und Meinungsfreiheit. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kommt zu einer anderen Einschätzung: Es gebe die Beugung des Rechts – dass die Türkei natürlich eine Verfassung hat, die Presse- und Meinungsfreiheit garantiere, „aber gleichzeitig auch Paragrafen wie den Beleidigungsparagrafen, der Terrorismusvorwürfe letztlich am Ende missbraucht“.

Absteiger und Aufsteiger

Zu den Ländern, die deutlich abrutschten, gehört auch Polen, das mit seiner neuen Regierung einen strengeren Kurs fährt und insbesondere die öffentlichen Medien durch Personalwechsel „auf Linie“ gebracht hat. Private Medien sollen zudem strenger kontrolliert werden. Das Nachbarland Deutschlands fiel deshalb um 29 Plätze auf Rang 47. Absteiger sind auch Brunei und Tadschikistan. Als größten Aufsteiger wertete ROG Tunesien (96), das sich um 30 Plätze verbesserte.

Auf Platz 1 der Rangliste steht Finnland, gefolgt von den Niederlanden und Norwegen. Am schlechtesten ist es dem Ranking zufolge um die Pressefreiheit in den Diktaturen Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea bestellt. Sie landeten wie im Vorjahr auf den letzten drei Plätzen der 180 Länder. In Syrien (177) seien Journalisten gezielter und teils bestialischer Gewalt ausgesetzt. In Ägypten (159) sind laut ROG mehr als 20 Journalisten wegen ihrer Arbeit in Haft.

Die Rangliste versucht, den Grad der Freiheit wiederzugeben, die Journalisten, Blogger und Medien in 180 Ländern haben. Ihre Grundlage ist ein Fragebogen zu unabhängiger journalistischer Arbeit, den Reporter ohne Grenzen in 20 Sprachen an Journalisten, Wissenschaftler, Juristen und Menschenrechtsverteidiger weltweit verschickt. Das aktuelle Ranking bezieht sich auf das Jahr 2015.