Hassan Ali Djan tourt neben seinem Job an Abenden quer durch Deutschland und erzählt seine Geschichte. (Bild: Anja Schuchardt)
Afghanistan. München. Ich

Vom Hirten zum Elektriker

Hassan Ali Djan packt aus. Seine intimsten Erlebnisse. Das ist seine Mission. Hassan nimmt sein Publikum mit nach Afghanistan - wo er als Hirtenjunge den Entschluss zur Flucht fasste - und nach Bayern, wo er seit einigen Jahren lebt. Seine Lebensgeschichte zeigt vor allem eines: Integration braucht Zeit.

Mit einem sanften, etwas zögerlichen „Grüß Gott“ tritt Hassan Ali Djan vor sein Publikum. Er lächelt freundlich, etwas verlegen, dann beginnt er zu lesen. Wie er so dasteht, schwarze zurückgekämmte Haare, das Hemd ordentlich in die engen Jeans gesteckt, glänzende Gürtelschnalle und Anzugschuhe, ist es schwer, in ihm den einstigen Hirtenjungen zu sehen, von dem er erzählt.

Flucht in ein besseres Leben

„Tot bin ich also nicht.“ Damit beginnt er seine Geschichte. Bereits mit elf Jahren entschied er nach dem Tod des Vaters Afghanistan zu verlassen. Denn als Hirtenjunge konnte er seine Familie nicht ernähren. Er fand Arbeit auf einer Baustelle im Iran und versorgte seine Mutter und die sechs Geschwister von dort mit Geld. Als er mit 16 Jahren zurückkehrte – ein Alter, in dem Jungen in Afghanistan bereits eine Familie gegründet haben sollte – wurde der Druck so groß, dass Hassan 2005 den Entschluss fasste, nach Europa zu fliehen.

Alles basiert auf Hoffnung. Du weißt, dass du vielleicht nicht lebend ankommst: du kannst ertrinken, dir den Arm oder die Beine brechen oder du kannst verschleppt werden, denn niemand wird nach dir fragen, wenn du verschwunden bist.

Hassan Ali Djan, Buchautor

Von Europa wusste Hassan nur, dass es dort eine andere Währung gibt. Und, dass er auf keinen Fall nach „Germany“ gehen sollte. Afghanen, die er auf der Flucht getroffen hatte, rieten ihm dazu. Sie sagten, man würde dort monatelang auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten und dann doch zurückgeschickt werden.

Umso glücklicher ist Hassan, als er bei seiner Ankunft erfährt, er sei in „Deutschland“.

Gott sei Dank, ich bin nicht in „Germany“, sondern in „Deutschland“. Das Land kenne ich nicht, aber zum Glück ist es nicht „Germany“.

Hassan Ali Djan, Buchautor

Als Hassan dann erfährt, dass „Germany“ „Deutschland“ ist, weiß er, was zu tun ist. Hassan will Deutsch lernen. Nach acht Monaten kann er zum ersten Mal einen Sprachkurs besuchen. Er macht einen Hauptschulabschluss, die mittlere Reife, eine Ausbildung zum Gebäudeelektroniker, heiratet, bekommt eine Festanstellung und die deutsche Staatsbürgerschaft. Ganz einfach. Wie er zum ersten Mal ein Wohnzimmer mit Bücherregalen betritt und glaubt „hier wohnt eine Buchverkäuferin“, wie er in der Containerunterkunft keine Ruhe zum Lernen findet und als Expressfahrer Schweinshaxen durch die Gegend fährt, erzählt Hassan auch. Alles nicht mehr so einfach.

Die Bildung hat aus mir eine andere Persönlichkeit gemacht.

Hassan Ali Djan, Buchautor

Hassan hat es geschafft. Wie, fragt man sich. „Ich trug die Verantwortung meine Familie zu ernähren und es gab sehr viele hilfsbereite Menschen, die mich unterstützt haben.“  Von der anfänglichen Schüchternheit ist inzwischen nichts mehr zu spüren. Selbstbewusst tritt er hinter dem Leserpult hervor. Das Publikum beginnt Fragen zu stellen. Sehr persönliche, zum Beispiel wie es seiner Familie geht. Stolz sagt Hassan, er konnte ihnen „nicht nur Brot, sondern auch Bildung auf den Tisch bringen“. Denn seinen Geschwistern hat er die Schulausbildung finanziert und unterstützt sie jetzt finanziell bei ihrem Studium.

Zauberformel für Flüchtlingskrise

Aber bald wird die Diskussion politisch. So wie Hassan damals Hoffnung in Bayern hatte, hoffen die Zuhörer an diesem Abend, er hat eine Idee, wie die Flüchtlingskrise zu bewältigen ist. Bei ihm hat`s doch geklappt mit der Integration. Überlegt tritt Hassan langsam neben dem Rednerpult von einer Seite zur anderen. Ruhig und besonnen wählt er seine Worte. Die Zauberformel, auf die alle warten, lautet: Zeit.

Viele Menschen, die ankommen sind traumatisiert und brauchen Zeit. Vertrauen aufzubauen ist am Anfang das Wichtigste.

Hassan Ali Djan, Buchautor

Integration braucht Zeit, es braucht länger als ein bis zwei Jahre gibt Hassan zu Bedenken. Bei ihm hat es 7,5 Jahre gedauert, vom ersten Sprachkurs über die Schul- und Berufsausbildung bis hin zur Festanstellung als Gebäudeelektroniker. Das Know-How ist aber nur ein Teil. Genauso wichtig war es für Hassan Werte zu lernen, zu wissen, was einen Bayer ausmacht. Das hätte er nicht ohne Menschen erfahren, die sich ehrenamtlich neben ihrem Beruf engagieren. Die ihn mitgenommen haben, ob in das eigene Wohnzimmer oder auf einen Spaziergang. Denn Pünktlichkeit lernt man nicht aus Büchern.

Das Ehrenamt in Deutschland ist einmalig auf dieser Weltkugel. Dafür bin ich sehr dankbar und auch der Staat muss dankbar sein. Denn alleine schafft er es nicht.

Hassan Ali Djan, Buchautor

Aber das Publikum bohrt nach. Wieder wird es persönlich, wie sein Frauenbild sei? „Meine Frau habe ich nach westlicher Art kennengelernt“, schmunzelt Hassan. Doch dann wird es wieder ernst. Wie soll es jetzt weitergehen? Der 26-Jährige betont, dass es darauf ankäme, dass beide Seiten zusammenarbeiteten. Und dass es auch „schwarze Schafe“ unter den Flüchtlingen gäbe, die beispielsweise Sprachkurse nicht besuchen und kein Deutsch lernen würden. Aber er nutzt auch die Gelegenheit weiter auszuholen. Bei den Fluchtursachen müsse der Westen ansetzen. Und zwar gemeinschaftlich, denn es können nur eine europäische Lösung geben. Wichtig sei dafür, das Gespräch mit Assad zu suchen. Dabei spricht Hassan immer von „wir“ und „unserem“ Europa. Man merkt: seine Vorträge sind seine Mission.

Afghanistan. München. Ich.

Es gehört schon etwas dazu, seine intimsten Erlebnisse vor einem Publikum auszubreiten. Die letzten Worte seines Vaters am Sterbebett, wie es sich anfühlt 48 Stunden in einem LKW-Reifen zu kauern oder wie man sich der Frau seines Lebens annähert. „Meine Lebensgeschichte ist mein Beitrag zum Kulturverständnis. Mir haben viele Menschen geholfen und das bin ich der Gesellschaft schuldig.“ Hassan bedauert, dass sehr viel über Flüchtlinge aber nicht mit ihnen gesprochen wird. Deshalb hat er sich auch dazu entschlossen, das Buch „Afghanistan. München. Ich.“ zu schreiben. Darin erzählt Hassan, wie er in Bayern seine neue Heimat gefunden hat. Mit dem Buch will er mehr Menschen erreichen, als es ihm Vorträge und Besuche in Bildungseinrichtungen möglich machen. So tourt er neben seinem Job an Abenden und Wochenende quer durch Deutschland und erzählt seine Geschichte.