Eine sofortige Kehrtwende in der Ausstattung der Bundeswehr forderte der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD). Es fehle in allen Bereichen an Ausrüstung und Personal, während die Ansprüche an die Truppe immer höher würden. (Foto: imago/Christian Thiel)
Bundeswehr

„Von allem ist zu wenig da“

Ein düsteres Bild von der Lage der Bundeswehr hat der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) gezeichnet. Während die Politik immer schwierigere und umfangreichere Ansprüche stellt, fehlt es bei Ausrüstung und Personal an allen Ecken. „Die Truppe ist es leid“, so Bartels. CSU und Bundeswehrverband fordern entschlossene Investitionen. Nur die Grünen meinen, die Truppe solle sich nicht so haben.

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels hat wegen wachsender Belastung der Bundeswehr eine sofortige Wende in der Verteidigungspolitik verlangt. Bei der Vorstellung seines ersten Jahresberichts forderte der SPD-Politiker eine Aufstockung der seit Jahrzehnten schrumpfenden Truppe und eine deutliche Erhöhung des Wehretats.

„Die Truppe ist es leid. Es fehlt zu viel“, sagte er. Eine „planmäßige Mangelwirtschaft“ gefährde Ausbildung, Übung und Einsatz. „Die Bundeswehr ist am Wendepunkt. Noch mehr Reduzierung geht nicht.“ Bartels wörtlich: „Fast von allem ist zu wenig da.“ Die Ausstattung nannte er „ein Riesenproblem“. Es fehle an Material vom Panzer bis zur Schutzweste auch bei der Ausbildung und Übung.

Bartels fordert, dass das Material nicht nur für den Einsatz gekauft werden dürfe. „Wir brauchen eine Vollausstattung der Bundeswehr.“ Es müsse das, was auf dem Papier vorhanden sein soll, auch da sein. „Wenn wir nur 70 Prozent der Panzerbataillone zur Verfügung haben, dann sind das hohle Strukturen“, kritisiert Bartels und hebt die beklagenswerte Hubschrauberlage der Bundeswehr hervor.

Flüchtlingshilfe darf nicht zum Dauereinsatz werden

Auch dürfe die Flüchtlingshilfe nicht zum Dauereinsatz der Bundeswehr werden, so Bartels. Kommunen und Länder müssten sich in der Flüchtlingshilfe darauf einstellen, die zurzeit von der Bundeswehr geschlossenen Lücken bis zur Jahresmitte selber zu schließen. Die Bundeswehr sei nicht die Personalreserve für fehlende zivile Kapazitäten bei Ländern und Kommunen.

Die Bundeswehr hatte 1990 nach der Wiedervereinigung noch fast 600.000 Soldaten und ist seitdem schrittweise verkleinert worden. Heute gehören ihr noch 177.000 Soldaten an – so wenige wie nie zuvor. Die 2010 eingeleitete Bundeswehrreform sieht allerdings eine Truppenstärke von 185.000 Soldaten vor. Auch das dürfte aber nach Ansicht des Wehrbeauftragten angesichts zunehmender Aufgaben nicht ausreichen.

CSU fordert Runderneuerung der Ausrüstung

Die CSU im Bundestag fordert entschlossene und nachhaltige Investitionen in die Bundeswehr. „Der Bericht des Wehrbeauftragten greift Defizite bei der Bundeswehrausrüstung auf, die die CSU schon lange anmahnt. Da das sicherheitspolitische Umfeld sich dramatisch geändert hat, brauchen wir eine moderne, bedarfsorientierte Vollausstattung“ sagt die CSU-Abgeordnete Julia Obermeier, Mitglied im Verteidigungsausschuss, zum BAYERNKURIER.

„Ich begrüße daher die Pläne von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, bis 2030 militärisches Gerät im Umfang von 130 Milliarden Euro zu beschaffen“, so Obermeier. „Altes Material muss ersetzt werden, neues beschafft und es muss in neue Technologien investiert werden. Dies betrifft nicht nur die wichtigen Hauptwaffensysteme, sondern insgesamt rund 1500 unterschiedliche Themen.“

Hahn lobt Bartels für seine klaren Worte

Der verteidigungspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Florian Hahn, gibt dem Wehrbeauftragten Bartels ebenfalls völlig Recht. „Der Wehrbeauftragte stößt mit seinem Jahresbericht ins gleiche Horn wie die CSU: Neue Herausforderungen, mehr Einsätze bei gleichzeitiger Landes- und Bündnisverteidigung erfordern ein radikales Umdenken“, sagt Hahn zum BAYERNKURIER.

Besonders sorgt sich der CSU-Verteidigungspolitiker um die Sicherheit der Soldaten: „Nicht zuletzt, um das Wohl unserer Soldaten im Einsatz zu garantieren, benötigen wir deutlich mehr Material, Personal und Kompetenzen für die Bundeswehr.

„Die CSU fordert diese Kehrtwende bereits seit Beginn der Legislaturperiode – der Bericht gibt uns jetzt recht“, stellt Hahn fest und dankt dem Wehrbeauftragten Bartels „für seine klaren Worte“.

Sanierungsfall Bundeswehr

Noch deutlicher wurde der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, André Wüstner. Er nannte die Bundeswehr im BR einen „enormen Sanierungsfall“ und forderte mehr personelle und materielle Sicherheit. Die Politik stelle von heute auf morgen neue Anforderungen an die Bundeswehr, sagte er. Nun müsse man Verständnis dafür haben, dass diese Dinge „intensiv Geld kosten“.

Wüstner sagte weiter: „Tatsächlich steht die Bundeswehr angesichts der enorm gestiegenen und noch immer weiter steigenden Anforderungen vor einer Zerreißprobe: Einerseits soll sie den Beschlüssen vom Nato-Gipfel in Wales entsprechend mit hoher Reaktionsfähigkeit eine glaubhafte Abschreckung unter Beweis stellen können, andererseits den Kampf gegen den IS unterstützen – parallel zur Amtshilfe im Zuge der Flüchtlingskrise. All das ist mit der kleinen Bundeswehr von heute nicht mehr zu leisten.“

Vertrauensverlust in der Truppe befürchtet

Der Chef des Bundeswehrverbandes mahnte die Politik zu raschem Handeln: „Wenn die Politik nach dieser erneuten Alarmmeldung des Wehrbeauftragten nicht handelt und die materiellen wie personellen Lücken schließt, wird ein Vertrauensverlust in der Truppe eintreten. Wenn die Menschen der Bundeswehr nicht mehr erkennen, dass die Gewährleistung der äußeren Sicherheit von der Politik als Kernaufgabe verstanden wird, kann das unabsehbare Konsequenzen für das innere Gefüge und Selbstverständnis haben.“

Seit mehr als einem Jahr würden unter Verteidigungsministerium und Fachpolitikern die Defizite diskutiert, so Wüstner weiter: Ein unzureichender Klarstand verschiedener Waffensysteme, der Optimierungsbedarf der persönlichen Ausrüstung, eine Unterdeckung in der Munitionsbevorratung oder die Unwuchten im Personalkörper als Folge der Sparmaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte. Bislang hätten diese Mängel durch die enorme Motivation und das Improvisationsvermögen der Truppe ausgeglichen werden können. „Da die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit nun aber unendlich groß geworden ist, muss die von der Politik ins Auge gefasste Trendwende tatsächlich spürbar eingeleitet werden“, kritisiert der Verbandsvorsitzende.

Grüne völlig neben der Spur

Als einzige Partei ignorieren die Grünen die eklatanten Ausrüstungsmängel der Bundeswehr. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, sagte im SWR, sie halte nichts von Forderungen nach mehr Geld für die Bundeswehr. „Während es jahrelang eine Kultur des Schönredens von Problemen gab, sind wir jetzt gerade im anderen Extrem: Probleme werden, glaube ich, überzeichnet.“

Zu wenig Geld oder Material sind nach Bruggers Meinung nicht die Ursachen für Probleme der Bundeswehr. Vielmehr seien dafür eine gescheiterte Bundeswehrreform, schlechte Planung und falsche Prioritäten verantwortlich. Sie sprach sich dafür aus, klare sicherheitspolitische Prioritäten zu definieren und dann zu entscheiden, wo Fähigkeiten ausgebaut oder aufgegeben werden müssen. „Aber einfach nur pauschal zu sagen: Wir brauchen jetzt mehr Personal, das überzeugt mich überhaupt nicht.“

Beim CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn stößt diese wenig sachkundige Einlassung der Grünen auf Kritik. „Politiker Insbesondere die Grünen sollten den Bericht gut lesen, bevor sie in ihre Anti-Rhetorik verfallen, schließlich illustriert er die Forderungen und Wünsche unserer Truppe. Parteipolitik sollte nicht vor dem Wohl der Truppe stehen“, so Hahn.

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