Ein Ende des Flüchtlingsansturms ist nicht in Sicht. Bild: Imago/Pixsell
Flüchtlinge

Schicksalstage einer Kanzlerin

Kommentar 2016 muss das Jahr der Wende in der Flüchtlingspolitik sein. Noch einmal mehr als eine Million Menschen, und das Jahr für Jahr, überfordert unser Land in vielen Bereichen, angefangen bei den Wohnungen über die Finanzen bis hin zur Integration. Eine solche Wende bedeutet vor allem: Bundeskanzlerin Angela Merkel muss über ihren Schatten springen und ihren Fehler eingestehen.

Für 2016 erwartet nicht nur IWF-Chefin Christine Lagarde einen „ungebrochenen Zustrom an Menschen“. Auch der Landshuter Landrat Peter Dreier, der mit seiner etwas unglücklichen PR-Aktion auf eines der vielen Probleme hinweisen wollte, ist sich sicher: „Ein Ende der Flüchtlingswelle ist überhaupt nicht in Sicht, die Kapazitäten an menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten in unserem Land gehen rapide zur Neige und ich sehe nicht, dass bislang neue Wohnungen für die Zuwanderer gebaut worden wären.“ Und der Soziologie-Professor Gunnar Heinsohn sagt in der Zeitung „Die Welt“ über die Bevölkerung in Asien und Afrika: „Sie wurden befragt, ob sie bleiben oder gehen wollen. Es sind etwa 500 Millionen Menschen, die diese Region am liebsten verlassen würden. Wenn diese Abwanderungswünsche stabil bleiben, dann erwarten wir in Europa bis 2050 ungefähr 1,2 Milliarden Menschen.“

Und das basiere nur auf einer optimistischen Gallup-Umfrage von 2009, also vor dem Ölpreisverfall, den arabischen Bürgerkriegen, vor IS und Boko Haram. Inzwischen gebe es eine Umfrage des Arabischen Zentrums für Forschung und Politikstudien in Katar aus dem Jahr 2015, für die in zwölf arabischen Staaten Menschen zu verschiedenen Themen befragt wurden. Dort waren es 35 Prozent der Araber, die ihre Heimat verlassen wollten, 2009 waren es noch 23 Prozent. Die steigenden Zuwanderungszahlen aus immer neuen Ländern Asiens und Afrikas zeigen, dass ein Dominospiel ins Rollen gekommen ist. Über soziale Netzwerke haben neben den echten Bürgerkriegsflüchtlingen weitere Millionen Kenntnis oder auch falsche Informationen darüber erhalten, dass der Weg nach Europa frei ist und dass hier das deutsche Schlaraffenland mit Segnungen für jedermann wartet.

Die Wahrheit, zusammengetragen aus Zeitungsberichten

Einige der Schlagzeilen nur der letzten paar Wochen verdeutlichen, dass Merkels Satz „Wir schaffen das“ ins Reich der Fabel verwiesen werden muss. Wenn es heute schon so aussieht, wie wird es dann am Ende dieses Jahres aussehen, wenn eine weitere Million oder mehr Menschen zu uns gekommen sein werden? Wie 2017 und 2018?

  • Die Wohnungsnachfrage steigt laut einer aktuellen Empirica-Prognose, veröffentlicht in der „Welt“, bis 2020 deutschlandweit um zusätzlich 656.000 Wohnungen. 43 Prozent der Zusatznachfrage durch Flüchtlinge könne mit leer stehenden Wohnungen befriedigt werden, die sich allerdings größtenteils in ländlichen Regionen befinden. Berücksichtige man eine optimal laufende Umsiedlung dorthin, müssten bis einschließlich 2020 jedes Jahr rund 75.000 Wohnungen zusätzlich extra für Flüchtlinge neu gebaut werden. Zusammen mit dem Bedarf der Deutschen wären das 373.000 Wohneinheiten pro Jahr. Andere Umfragen sprechen von einem Jahresbedarf von 430.000 Wohnungen. 2015 waren es in der Realität gerade einmal 235.000.
  • Nach Angaben des bayerischen Sozialministeriums leben in den Gemeinschaftsunterkünften und dezentralen Unterkünften allein im Freistaat derzeit etwa 7100 „Fehlbeleger“, also anerkannte Flüchtlinge, die keine private Wohnung finden. Die Menschen dürften jedoch in den Notunterkünften bleiben, weil sie sonst obdachlos wären.
  • Mehrere Landkreise suchen zunehmend verzweifelt nach weiteren Turnhallen, die sie als Notunterkünfte nutzen könnten. Überall wächst bei Eltern und Vereinssportlern, aber auch bei Kommunalpolitkern der Widerstand gegen weitere Belegungen.
  • Die Tafeln, die Bedürftige mit Essen versorgen, sind an der Belastbarkeitsgrenze. Wegen der Flüchtlinge hat sich die Zahl der Bedürftigen vielerorts fast verdoppelt, Spenden fehlen, ehrenamtliche Mitarbeiter geben auf. „Wir kriechen hier alle auf dem Zahnfleisch“, sagt ein führender Mitarbeiter in der Zeitung „Welt„.
  • 660.000 Asylanträge von 2015 und 2016 sind laut dem Bundesamt für Migration noch unbearbeitet beziehungsweise werden unbearbeitet sein, hunderttausende Flüchtlinge nicht mal registriert.
  • Ein Islamist, der in Paris Polizisten angriff, hatte in Deutschland unzählige Straftaten begangen, darunter Körperverletzung, sexuelle Belästigung und Rauschgiftdelikte – ohne Folgen für seinen laufenden Asylantrag. Er wechselte zwischen mindestens sieben verschiedenen Identitäten. Am 11. November 2014 wurde er wegen Erschleichung von Leistungen und Diebstahls zu sagenhaften 20 Sozialstunden verurteilt. Von hier aus schon mal ein herzliches Dankeschön an den gnadenlosen Richter. Versäumnisse gab und gibt es hier aber auch auf Seiten der Politik mit laschen Gesetzen, Multikulti-Rücksichtnahme und völlig unzureichender Informationsweitergabe durch verschiedene Registrierungssysteme.
  • Tatsächlich werden abgelehnte Asylbewerber mittlerweile schneller und vermehrt abgeschoben. Oft scheitert die Abschiebung jedoch aus Gründen wie plötzlichen Krankheiten, plötzlich fehlenden Urkunden oder plötzlich abwesenden Kindern, oder schlicht dem Verschwinden der Betroffenen. Oder weil, sofern ein Heimatland überhaupt nachgewiesen werden kann, diese Staaten eine Rücknahme des gescheiterten Asylbewerbers ablehnen.
  • Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigten, dass 70 Prozent der vor zehn Jahren eingereisten Flüchtlinge heute arbeiten könnten, sagte Behördenchef Frank-Jürgen Weise vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der CSU-Klausur in Kreuth. Die nationale Zusammensetzung der Flüchtlinge damals war jedoch eine ganz andere, geschweige denn ihre Zahl. Die Ausbildung der Flüchtlinge ist laut verschiedenen Quellen völlig unzureichend. Ein Teil kann zudem weder lesen noch schreiben. Das Versprechen der „großartigen Chancen der Zuwanderung“ scheint vor diesem Hintergrund eher ein Märchen zu sein.
  • Österreich will eine Obergrenze einführen.
  • Das seit Jahrzehnten liberalste und offenste Einwanderungsland in Europa, Schweden, schließt seine Schlagbäume. „Wir haben die Grenzen des Machbaren erreicht“, erklärte Schwedens Migrationsminister Morgan Johansson. Übersetzt: Wir schaffen das nicht mehr!

Weitere Probleme

Ein paar weitere echte oder zumindest angenommene Probleme wurden im aktuellen ZDF-Politbarometer deutlich:

  • Da wären zum einen die ständig steigenden laufenden Kosten für die Flüchtlinge, nicht eingerechnet die mittel- und langfristigen Kosten für die deutschen Sozial- und Gesundheitssysteme: 74 Prozent aller Befragten des Politbarometers meinen, dass wegen der Ausgaben für die Flüchtlinge in anderen Bereichen gespart werden muss.
  • Inzwischen erwarten 70 Prozent, dass durch die große Zahl an Flüchtlingen die Kriminalität bei uns zunehmen wird. Zumindest für Nordafrikaner scheint das laut Kölner Polizeistatistiken durchaus zuzutreffen. Köln hat aber auch gezeigt, dass viele Straftaten, die durch Migranten begangen werden, vertuscht oder verschwiegen werden. Und wie viele Frauen hätten die Belästigungen nie zur Anzeige gebracht, wenn der öffentliche Aufschrei nicht so laut gewesen wäre? Wie viele Menschen haben in Deutschland ähnliche Taten nie zur Anzeige gebracht?
  • Dass durch die Flüchtlinge unsere gesellschaftlichen und kulturellen Werte bedroht sind, glaubt eine mittlerweile gewachsene Minderheit von 42 Prozent. Im Oktober waren es nur 33 Prozent. Gut die Hälfte (52 Prozent) meint das nicht. Köln und andere Städte haben einen ersten Ausblick auf das neue Deutschland erlebt.

Köln ändert vieles

Die widerwärtigen Angriffe von Köln weisen darauf hin, dass viele lange gehegte Befürchtungen wahr werden. Weitere Folgen des ungebremsten Flüchtlingszustroms werden wiederum aus einigen Schlagzeilen und Zeitungsartikeln erkennbar:

  • „Uns ist in der Silvesternacht schockartig das Scheitern unserer Integrationspolitik vor Augen geführt worden“, schreibt Nordrhein-Westfalens Ex-Ministerpräsident Wolfgang Clement (früher SPD) in einem Beitrag für die „Wirtschaftswoche“. „Köln ist auch (…) das drastischste Exempel einer zumindest zeitweisen No-go-Area. Es lehrt, wohin die Entwicklung von Parallelgesellschaften führt, wenn wir ihr nicht Einhalt gebieten.“
  • Etwa zwei Drittel aller Flüchtlinge sind junge Männer, das führt schon unabhängig von der Nationalität zu Schwierigkeiten. „Allein im vergangenen Jahr sind 600.000 alleinstehende junge Männer gekommen, die wären per se ein Gefährdungspotenzial, egal ob Biodeutsche oder Zuwanderer“, so Heinz Buschkowsky (SPD), Ex-Bürgermeister von Berlin-Neukölln. Hinzu kommt eine traditionell, religiös und gesetzlich verankerte Frauenfeindlichkeit und –abwertung in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge.
  • Nach den Übergriffen von Silvester diskutieren Club-Chefs rund um Hamburgs Party-Meile Maßnahmen, um Frauen besser zu schützen. „Viele waren aufgebracht, die Leute haben große Einbußen zu verzeichnen“, heißt es dort. Seit Silvester seien kaum noch Frauen in der Großen Freiheit unterwegs. Die Club- und Barbetreiber kündigten deshalb an, jetzt einige ihrer Türsteher und Security-Leute auf Streife zu schicken. Na dann, Prost!
  • Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die CDU/CSU nur noch auf 37 Prozent (minus 2), die SPD bliebe bei unveränderten 24 Prozent, und die AfD auf 11 Prozent (plus 2). 11 Prozent für eine Partei, die keine Lösung anbieten kann!
  • Mehr als die Hälfte der Bundesbürger (51 Prozent) bezweifelt, dass Deutschland die aktuelle Flüchtlingsproblematik bewältigen kann. Nur noch 44 Prozent unterstützen laut dem aktuellen Deutschlandtrend der ARD auch nach der Chaos-Silvesternacht in Köln weiter Angela Merkels Einschätzung, dass Deutschland die Probleme lösen kann. Nach dem ZDF-Politbarometer ist erstmals eine klare Mehrheit von sogar 60 Prozent (Dezember: 46 Prozent) der Meinung, dass Deutschland die vielen Flüchtlinge, die zu uns kommen, nicht verkraften kann. Nur noch 37 Prozent sind anderer Ansicht.

Und nun?

Mehrere ehemalige Verfassungsrichter, darunter Udo di Fabio und Hans-Jürgen Papier, kritisieren die Flüchtlingspolitik als rechtswidrig. Laut Papier hat die Politik Deutschland in Gefahr gebracht und „eklatant versagt“, di Fabio spricht von fortgesetztem Rechtsbruch und Missachtung des Parlaments. Abgeordnete der CSU, aber auch große Teile der CDU, bereiten Anträge zur Schließung der Grenzen vor.

Die Bundeskanzlerin setzt bis zuletzt auf eine internationale oder wenigstens europäische Lösung. Auch wenn kein einziges europäisches Land „Hurra“ schreit, viele es sogar ablehnen, auch nur einen einzigen Flüchtling aufzunehmen. Die Sicherung der EU-Außengrenzen? Liegt in den Händen von überforderten EU-Ländern wie Griechenland oder Italien oder von unzuverlässigen Anrainerstaaten wie der Türkei. Aber die Bundeskanzlerin hat bis zuletzt „Wir schaffen das!“ gesagt. Das ist leicht daher gesagt aus dem Berliner Elfenbeinturm, denn es sind die Länder und vor allem die Kommunen, die Polizei, die Behörden, die Hilfsorganisationen und die Ehrenamtlichen, die es schaffen müssen. Warum war Angela Merkel noch kein einziges Mal im deutschen Epizentrum der Flüchtlingslawine, an der bayerischen Grenze? Nach Brasilien, Indien und China hat sie es seit August immerhin geschafft und beim Hochwasser 2013 war sie nach wenigen Tagen vor Ort in Passau. Doch jetzt in einer ganz Deutschland betreffenden existenziellen Krise? Immerhin hat sie ja ihren Kanzleramtschef Peter Altmaier vorbeigeschickt und sich zu einer Diskussion bis nach Nürnberg sowie zur CSU nach Kreuth vorgewagt. Wahrheit tut manchmal weh, ist aber stets notwendig. „Unsere Herzen sind weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck. „Wir schaffen das“, sagt weiter die Kanzlerin. Dann muss es ja stimmen. Oder?