Da waren die beiden Autokraten noch ein Herz und eine Seele: Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) and der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beim G20-Gipfel in Antalya. Bild: Imago/Mikhail Klimentyev/Itar-TASS
Russland-Türkei

Zwei ebenbürtige Gegner: Putin und Erdogan

in Wladimir Putins 12. Rede an die Nation ist die Türkei wieder das, was sie jahrhundertelang war: Feindesland. Im syrischen Bürgerkrieg begegnen sich jetzt die beiden alten regionalen Gegenspieler wieder – auf entgegengesetzten Seiten. Das kann gefährlich werden. Auch darum, weil Putin und Erdogan einander so ähneln: zwei nationalistische Autokraten, die für Skrupel nicht bekannt sind.

Die Türkei ist Feindesland. Das war die Botschaft, die Russlands Präsident Wladimir Putin dem Land in seiner 12. Rede an die Nation überbrachte. Die Wut, dass Ankara es wagte, ein russisches Kampflugzeug abschießen zu lassen, das an der syrisch-türkischen Grenze angeblich wenige Minuten lang türkisches Territorium überflog, beherrschte Putin und dominierte seine Rede. Sie geriet zum  Frontalangriff auf die Türkei und auf das „verräterische Regime“ in Ankara, das in Syrien Terroristen unterstütze.

Vorwürfe und Drohungen

Die Wut wird so schnell nicht abklingen und das Thema sich so schnell nicht erledigen. Ersten Sanktionen gegen die Türkei, drohte Putin offen, werden noch ganz andere Maßnahmen folgen: „Wenn jemand ein hinterhältiges Kriegsverbrechen begeht, einen Mord an unseren Leuten, und dann denkt, er käme mit (Sanktionen gegen) Tomaten und einigen Einschränkungen in der Baubranche davon, dann täuscht er sich.“ Putin weiter: „Wir werden sie mehr als einmal daran erinnern, was sie getan haben. Und sie werden noch mehr als einmal bereuen, was sie getan haben. Wir wissen, was wir tun müssen.“ Putins Versicherung, „wir wollen nicht mit dem Säbel rasseln“, klang nach solcher Vorrede nicht nach Deeskalation, sondern fast wie eine Drohung.

Wir werden sie mehr als einmal daran erinnern, was sie getan haben. Und sie werden noch mehr als einmal bereuen, was sie getan haben. Wir wissen, was wir tun müssen.

Präsident Wladimir Putin

Putin wiederholte seine Vorwürfe, dass die Türkei mit dem Islamischen Staat Ölhandel betreibe und sich daran bereichere: „Wir wissen, wer jetzt in der Türkei den Terroristen hilft, sich zu bereichern, indem das gestohlene Erdöl verkauft wird.“ Zuvor hatte das russische Verteidigungsministerium behauptet, der türkische Präsident Recep Erdogan und seine Familie seien darin verwickelt und profitierten persönlich davon. Putin griff den Vorwurf gegen die türkische Regierung auf, ohne allerdings Namen zu nennen: „Ich weiß nicht, warum sie das tun. Nur Allah weiß, warum sie das tun. Vermutlich hat Allah die regierende türkische Clique bestraft, indem er ihnen Vernunft und Verstand raubte.“

Moskaus Vergeltung

Moskaus Vergeltung hat schon eingesetzt,: Türkische Geschäftsleute werden am Moskauer Flughafen zurückgeschickt, russische Tourismus-Unternehmen verkaufen keine Reisen in die Türkei mehr, ein türkischer Geflügelfleischproduzent darf seine Waren nicht nach Russland einführen, und das große russich-türkische Gas-Pipeline-Projekt Turkish Stream soll überprüft werden. Das ist sozusagen noch die ebene Tomaten und Bauvorhaben.

Eskalationsgefahr: Moskau hat noch mehr hochmoderne Flugabwehr-Raketen in die Region verlegt, Ankara eine Panzerbrigade.

Aber es wird schon militärisch: Russische Flugzeuge haben prompt massiv und ganz gezielt Nachschub-Konvoys für die turkmenischen Anti-Assad-Rebellen in der Region angegriffen. Eskalation ist möglich: Russische Su-24 Fencer-Jagdbomber werden jetzt auch mit Luft-Luft-Raketen bewaffnete. Moskau hat noch mehr hochmoderne Flugabwehr-Raketen in die Region verlegt. Ankara hat eine Panzerbrigade – eine halbe Division – in die Grenzregion entsandt.

Russland und Türkei: historische regionale Gegenspieler

Die Sache ist ernst. Seit Russlands offener Intervention in Syrien sind Russland und die Türkei wieder das, was sie – mit Ausnahme der Zwischenkriegsjahre und der beiden Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion – immer waren: regionale Gegenspieler, Feinde. Kein Wunder: Um nichts anderes als um ihren alten Gegensatz in der Region, um widerstreitende russische und türkische Interessen, geht es jetzt in Syrien. Beide wollen über Syriens Zukunft bestimmen und sie gestalten. Aber auf entgegengesetzten Seiten: Die Türkei will das Assad-Regime erledigen, Russland will in Damaskus seinen alten Klienten erhalten.

Für Ankara ist es ein entscheidendes nationales Interesse, Einfluss auf das Nachbarland Syrien nehmen zu können.

Für Ankara ist es ein entscheidendes nationales Interesse, Einfluss auf das Nachbarland nehmen zu können – schon um zu verhindern, dass die Kurden dort ein eigenes Territorium etablieren und dann die Türkei geographisch von der arabischen Welt regelrecht abtrennen. Ankara hat denn auch im syrischen Bürgerkrieg schon viel investiert an Unterstützung aller Art für Anti-Assad-Rebellen bis hin zu den übelsten Dschihadisten. Besondere militärische Hilfe gegen Assad haben die Türken den syrischen Turkmenen – eine türkische Minderheit in Syrien – zukommen lassen.

Russlands militärische Intervention auf Seiten Assads droht alle türkischen Syrien-Pläne zunichte zu machen.

Die russische Intervention auf Seiten Assad stört alle türkischen Syrien-Pläne dramatisch, wenn sie sie nicht gar zunichte macht. Die Russen führen in Syrien Krieg nicht nur gegen den Islamischen Staat, sondern gegen alle Gegner Assads. Besondere Wut haben auf türkischer Seite die russischen Luftangriffe auf die turkmenischen Milizen – sozusagen Ankaras Milizen in Syrien – kurz hinter der türkischen Grenze entfacht. Schon 1500 Turkmenen sollen sich auf die türkische Seite geflüchtet haben. Die Regierung hatte darum schon vor zwei Wochen den russischen Botschafter in Ankara einbestellt und das Thema vor den UN-Sicherheitsrat gebracht. Vergeblich.

Eine kleine Grenzverletzung kann niemals ein Vorwand für einen Angriff sein.

Recep Erdogan (2012)

Aber die Türkei ist entschlossen, ihre Interessen in Syrien schützen und ihre turkmenischen Verbündeten, auch gegen Russland. Darum der Schuss auf das russische Flugzeug, als der Vorwand sich bot. Der Abschuss war kein Versehen, sondern eine Demonstration. „Eine kleine Grenzverletzung kann niemals ein Vorwand für einen Angriff sein“ – vor drei Jahren, 2012, hatte das niemand anderes als ein wütender Recep Erdogan ausgerufen, nach dem Abschuss eines türkischen Flugzeugs, das sich in syrischen Luftraum verirrt hatte.

Putin und Erdogan: zwei ebenbürtige, gleichermaßen skrupellose Gegner

Putin hat so etwas noch nicht erlebt: Ein Regierungschef, der ihm nicht nur widersteht, sondern ihm sogar droht und dann auch vor dem Schuss nicht zurückschreckt. Eine Demütigung. Umso mehr als Moskau dem im Moment wenig entgegensetzen kann: Ankaras Armee ist mit gut 700.000 Mann die stärkste in der Region und nach der US-Armee die zweitgrößte in der Nato.

Zwei charismatische Kraftpolitiker mit nationalistischem Einschlag, die von vergangener imperialer Größe ihrer Länder reden und damit ihre Nachbarn erschrecken.

John R. Shindler, Ex-NSA-Analytiker

Eine gefährliche Konstellation. Dazu kommt, dass sich die Staatschefs Erdogan und Putin so ähnlich sind, erläutert der ehemalige NSA-Analytiker John R. Shindler im US-Online Magazin Observer: „Zwei charismatische Kraftpolitiker mit nationalistischem Einschlag, die von vergangener imperialer Größe ihrer Länder reden und damit ihre Nachbarn erschrecken. In ihren Ländern erfreuen sich beide großer Popularität.“ Politische Feinde müssen das Land verlassen, Kritiker werden eingesperrt oder Opfer mysteriöser Morde, die nie aufgeklärt werden. Shindler: „Vor allem haben sie beide quasidemokratische Mittel genutzt, um sehr undemokratische Regime aufzubauen und haben dabei persönlich profitiert. Keiner von beiden ist dafür bekannt, im Krisenfall zurückzuzucken.“

Keiner von beiden ist dafür bekannt, im Krisenfall zurückzuzucken.

John R. Shindler

Mit Putin und Erdogan haben sich zwei ebenbürtige und gleichermaßen skrupellose Gegenspieler gefunden. Das kann gefährlich werden. Sicher ist: Die neue russisch-türkische Feindschaft macht den Krieg gegen den Islamischen Staat nicht einfacher. Ein Ende des syrischen Bürgerkriegs rückt so nicht näher.