Wer darf im Einzelfall Schwerstkranken straffrei Beihilfe zur Selbsttötung leisten, wenn alle Palliativmedizin nicht mehr hilft? Darüber entscheidet der Bundestag. (Foto: Christian Ohde/imago)
Sterbebegleitung

Bessere Betreuung auf dem letzten Weg

Mit großer Mehrheit hat der Bundestag beschlossen, die Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Hospizen, Kliniken und zu Hause zu verbessern. Bei der Abstimmung zur Sterbehilfe morgen zeichnet sich eine Tendenz zum interfraktionellen Entwurf von Brand, Griese und Frieser ab, der ein Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe vorsieht. Aus Bayern wollen 27 CSU-Abgeordnete ihn unterstützen.

Die Begleitung schwer kranker, sterbender Menschen zu Hause, in Heimen und im Krankenhaus wird verbessert. Dabei sollen auch Ehrenamtliche und Familienangehörige stärker unterstützt werden, die diese Menschen auf ihrem letzten Weg betreuen. Der Bundestag beschloss am Donnerstag mit großer Mehrheit das Hospiz- und Palliativ-Gesetz von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).

In einer alternden Gesellschaft wird eine gut funktionierende Betreuung todkranker, oft von schweren Schmerzen geplagter Menschen immer wichtiger – trotz deutscher Spitzenmedizin. Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben. Doch dies ist nicht immer möglich. Das Gesetz regelt nun die ambulante Versorgung Sterbender in der häuslichen Umgebung sowie die stationäre Versorgung in Hospizen, Pflegeheimen und Krankenhäusern neu.

Palliativmedizin künftig Bestandteil der Pflegeversicherung

Sterbebegleitung wird ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungsauftrages der sozialen Pflegeversicherung. Die Krankenkassen sollen Versicherte bei der Auswahl verschiedener Leistungen der Palliativ- und Hospizversorgung besser beraten. Im ländlichen Raum soll die sogenannte spezialisierte ambulante Palliativversorgung schnell ausgebaut werden. Stationäre Kinder- und Erwachsenen-Hospize sollen einen höheren Mindestzuschuss der Krankenkassen bekommen. Zudem tragen die Kassen künftig 95 statt bisher 90 Prozent der zuschussfähigen Kosten. Den Rest müssen Hospize durch zusätzliche Spenden aufbringen.

Bei den Zuschüssen für ambulante Hospizdienste werden künftig neben den Personalkosten auch die Sachkosten berücksichtigt – etwa Fahrtkosten ehrenamtlicher Mitarbeiter. Gröhe sagte in der Debatte, wenn die meisten Menschen zu Hause sterben wollten, müssten gerade auch die ehrenamtlichen Helfer unterstützt werden. Es könne nicht sein, dass diese Menschen auch noch ihre Leistungen selbst finanzieren müssten.

Für einen flächendeckenden Ausbau und verbesserte Leistungen sollen die gesetzlichen Krankenkassen voraussichtlich 200 bis 300 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich in die Hand nehmen. Allerdings sind die Kosten noch nicht für alle Änderungen absehbar. Das Gesundheitsministerium spricht von einem „unteren bis mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag pro Jahr“.

Sterbehilfe: Vier Gesetzentwürfe liegen vor

Im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Sterbebegleitung und dem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung steht die Entscheidung über die Sterbehilfe an diesem Freitag im Bundestag. Wie geht die Gesellschaft mit den sterbenden Menschen um, denen die Palliativmedizin in ihrem qualvollen Kampf gegen Schmerzen und Atemnöte nicht mehr helfen kann? Vier Gesetzentwürfe stehen zur Abstimmung.

  1. Mit Abstand die meisten Unterstützungs-Unterschriften aller Abgeordneten hat der interfraktionelle Entwurf gesammelt, der die gewerbsmäßige Sterbehilfe unter Strafe stellen will, aber die Angehörigen oder nahestehende Personen von der Strafe ausnimmt. Die Strafandrohung lautet drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Ansonsten sollen die geltenden Vorschriften weiter gelten. Dieser Entwurf wurde von Michael Brand (CDU), Kerstin Kriese (SPD) und Michael Frieser (CSU) eingebracht. Aus der CSU-Landesgruppe sprachen sich im Vorfeld 27 Abgeordnete für diesen Entwurf aus.
  2. Die insgesamt zweitmeisten Unterstützer erhielt bisher der interfraktionelle Entwurf der Gruppe um Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) und Dagmar Wöhrl (CSU). Er lehnt eine strafrechtliche Verschärfung ab und sieht stattdessen vor, dass Ärzte bei aktiver Sterbehilfe im Fall von irreversibel tödlichen Krankheiten ausdrücklich straffrei bleiben sollen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen soll mittels Vier-Augen-Prinzip durch einen weiteren Arzt bestätigt werden. Aus den Reihen der CSU-Landesgruppe unterstützen drei Abgeordnete diesen Antrag.
  3. Eine strengere Regelung und damit einen stärkeren Lebensschutz sieht der Entwurf der Gruppe um den CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg vor. Er sieht nicht nur ein strafrechtliches Verbot der aktiven Sterbehilfe vor, sondern auch der bisher straffreien assistierten Suizidbeihilfe sowie der Anstiftung zur Selbsttötung. Sie soll mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Diesen Entwurf unterstützen bisher sieben CSU-Abgeordnete.
  4. Keinen CSU-Abgeordneten konnte bisher der Entwurf der Grünen-Politikerin Renate Künast überzeugen, der ausschließlich von Grünen-, Linken und wenigen SPD-Abgeordneten unterstützt wird. Er sieht eine „positive Normierung“ vor, dass Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist. Gewerbsmäßige oder organisierte Beihilfe zur Selbsttötung wird nicht unmittelbar verboten, ist aber an Bedingungen wie Hinzuziehen eines Arztes, Beratungspflicht und 14-tätige Wartezeit gebunden.

Singhammer und Gröhe unterstützen Brand/Griese/Frieser-Entwurf

Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU), unter dessen Federführung der CSU-Parteitagsbeschluss vom Dezember 2014 „Miteinander ans Lebensende – Leben gestalten statt Sterben organisieren“ entstand, unterstützt öffentlich den Brand/Griese/Frieser-Entwurf. „Das menschliche Leben von seinem Anfang bis zu seinem Ende zu schützen, muss Vorrang haben gegenüber jeden Art von Nützlichkeits- oder Geschäftsdenken“, betont der Bundestagsvizepräsident.

Singhammer wörtlich: „Die Möglichkeit des Sterbens auf Bestellung ist wenig geeignet, individuelle Selbstbestimmung zu verwirklichen. Sondern sie birgt die Gefahr, einen Erwartungsdruck wachsen zu lassen, auch wenn er nicht gewollt ist. Welcher Druck könnte entstehen auf schwerstkranke Menschen, ihren Angehörigen am Ende des Lebens nicht zur Last zu fallen? Nützlichkeitserwägungen für eine Rechtfertigung das Leben darf es nicht geben.“

Palliativ-Stiftung warnt vor Aushöhlung des Lebensrechts

Auch Bundesgesundheitsminister Gröhe unterstützt den Brand/Griese/Frieser-Entwurf. Mit bewegten Worten erzählte der Minister am Donnerstag im Bundestag, wie er Ende April, als das Hospiz- und Palliativgesetz im Kabinett war, auf einer Palliativstation am Bett seiner strebenden Mutter saß – mit „Ohnmacht angesichts des Unausweichlichen“.

Auch die Deutsche Palliativ-Stiftung favorisiert bei der Neuregelung der Sterbehilfe den Brand/Griese/Frieser-Entwurf. Er schütze die Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Leben in besonders schwierigen Phasen, sagte der Stiftungsvorsitzende Thomas Sitte in Fulda. Er verwies auf Statistiken, denen zufolge nach seinen Angaben in Ländern mit entsprechend freier Gesetzgebung Suizide kontinuierlich zunehmen. In der Schweiz und im US-Staat Oregon etwa verdoppelten sich diese Todesfälle alle fünf bis sechs Jahre, sagte Sitte. „Dabei ist eine wahrscheinliche Dunkelziffer noch gar nicht eingerechnet.“ Er warnte davor, „auch in Deutschland diesen sensiblen Bereich des Lebensendes dem Markt der Dienstleistungen offen zu halten“.

wog/dpa