Flüchtlinge beim Übertritt von Österreich nach Deutschland am Grenzübergang in Freilassing. (Bild: Imago)
Situation an den Grenzen

Österreichs zweifelhafte Rolle

"Österreich agiert wie ein Schleuser" - Eine gewagte Aussage? Dass man auf deutscher Seite aber mitunter verärgert ist über das Verhalten des Nachbarn, ist kein Geheimnis. Denn die Perfektion, mit der die Alpenrepublik den Transport der Ankommenden an die deutschen Grenzen organisiert, zeigt das Talent Österreichs, Krisen zu managen und offenbart die mangelnde Solidarität unter den EU-Ländern.

48 Stunden, so lange sollen sich Flüchtlinge maximal in Österreich aufhalten, ehe ihr Weg weiter nach Deutschland führt. Diese Regel soll möglichst genau eingehalten werden – und mehrere Medienberichte zeigen jetzt, mit welcher Perfektion die österreichischen Behörden den „Durchtransport“ der Flüchtlinge an die deutschen Grenzen mittlerweile organisiert haben. Dies ist natürlich ein klarer Verstoß gegen das Dublin-Verfahren, wonach das EU-Land sich um Asylbewerber kümmern und sie registrieren muss, in dem sie zuerst ankommen. Das wäre natürlich auch nicht Österreich, sondern in erster Linie Griechenland. Aber dort einen funktionierenden Staat zu vermuten, hat die restliche EU längst aufgegeben.

Nur ein Schritt über die Grenze, und man wäre ein Schleuser

Dass die deutschen Behörden mit dem Ansturm längst überlastet sind, scheint in der Nachbarrepublik nicht wirklich zu interessieren. Die ARD zeigte unlängst in einem Bericht, wie Asylbewerber Busweise an den Grenzübergang zwischen Braunau und dem niederbayerischen Simbach gebracht werden, um dort möglichst schnell über die Grenze gelassen zu werden. Dabei werden die Flüchtlinge von den österreichischen Vertretern exakt bis zur Grenze geleitet – einen Schritt mehr, und der- oder diejenige würde sich als Schleuser strafbar machen.

Geschwindigkeit wichtiger als Humanität?

Schon seit Wochen gibt es Berichte, wonach auf österreichischer Seite Landkarten unter den Flüchtlingen verteilt werden, die den Weg nach Deutschland weisen. Auch gibt es tatsächlich eine konkrete Beschilderung des Weges Richtung Grenze mit selbst gemachten „Germany“-Schildern im österreichischen Grenzort Julbach. Der Passauer Landrat Franz Meyer hat der Zeitung SZ zudem eine Landkarte gezeigt, auf der der Weg von Julbach ins bayerische Dorf Breitenberg eingezeichnet ist. Auch hiervon gibt es Fotos. Verteilt hätten die Karten die Julbacher, so Meyer. Und die Polizei im Nachbarland winke die Flüchtlinge einfach über die Grenze, berichtet die SZ weiter. Der Bürgermeister von Wegscheid bei Passau, Josef Lamperstorfer, wird in der „SZ“ gar so zitiert: „Die größten Schleuser sind die Österreicher.“

Beim Transport der Menschen durch das Land und hin zur Staatsgrenze scheint in manchen Fällen darüber hinaus Geschwindigkeit über Humanität zu gehen, wie der Bayernkurier jetzt vor Ort beobachten konnte.

Die Flüchtlinge frieren unsäglich im kälter werdenden Herbst und das natürlich nicht erst in Deutschland.

In Freilassing etwa kommen immer wieder Menschen an, die zwar mit Jacke, aber ohne T-Shirt darunter unterwegs sind, oder nur „Flip-Flops“ an den Füßen tragen statt etwas lauftauglicheren Schuhen. Sie frieren unsäglich im kälter werdenden Herbst und das natürlich nicht erst in Deutschland. Auf der bayerischen Seite der Grenze werden daher Stimmen laut, die den Österreichern vorwerfen, einzig und allein auf eine schnelle Weiterleitung der Menschen aus zu sein. Die humanitäre Hilfe, zu der das Land verpflichtet wäre, kommt dabei offensichtlich des Öfteren zu kurz. Von Flüchtlingen, die schon in Freilassing angekommen sind, hört man außerdem, dass man ihnen auf ihre Frage nach Kleidung gesagt hatte: „Die kriegt ihr gleich – drüben in Deutschland.“

„Merkel ist schuld“

Spricht man auf der Salzburger Seite dagegen mit den Entscheidungsträgern, entsteht ein ganz anderer Eindruck. Dort gibt es nicht wenige, die sich für eine echte Betreuung der Flüchtlinge gar nicht verantwortlich fühlen – frei nach dem Motto: Angela Merkel kann sich ja selbst um die Geister kümmern, die sie rief. Schließlich hätten nicht die Österreicher die Einladung an alle Flüchtlinge ausgesprochen. Was irgendwie wieder verständlich ist, wenn auch nicht die volle Wahrheit. Schließlich kamen jeden Monat zehntausende Flüchtlinge aus Syrien nach Europa schon lange vor den Äußerungen von Merkel. Dies ist natürlich auch weiterhin der Fall. Das Nachbarland macht es sich also sehr einfach.

Die Verärgerung wächst

Kein Wunder also, dass in den bayerischen Grenzregionen die Verärgerung über das Verhalten der rot-weiß-roten Nachbarn wächst – und zwar nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei jenen, die die Flüchtlinge vor Ort in Empfang nehmen sollen. Im Gespräch mit dem Bayernkurier etwa sagte ein hochrangiger Beamter der Bundespolizei am Freilassinger Bahnhof auf die Frage, wie denn die Zusammenarbeit mit den österreichischen Kollegen laufe: „Gut“ – und grinst dabei ironisch.

Mangelnde Solidarität

Fakt ist: Es knarzt hörbar an der bayerisch-österreichischen Grenze, die traditionell engen und vertrauensvollen Beziehungen in der stark international verflochtenen Region werden auf eine harte Probe gestellt. Im Kleinen zeigt sich aber hier auch genau, woran die Asyldebatte in ganz Europa krankt: Schuldzuweisungen und das Weiterschieben von Menschen und Problemen steht deutlich über dem eigenen politischen und humanitäten Engagement. Die mangelnde Solidarität unter den europäischen Nationen in der Flüchtlingsfrage? Im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet ist sie ein tägliches Problem.

(dos/avd)