Asylbewerber warten am Grenzübergang Salzburg - Freilassing auf den Eintritt ins "gelobte Land", das sich dann doch anders als erwartet erweist. Bild: Imago/Eibner Europa
Asyl und Arbeitsmarkt

An der Grenze des Machbaren

Allein im September sind in Bayern über 200.000 Menschen angekommen. Das führt zu vielen Problemen, insbesondere bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Schon jetzt brechen 70 Prozent aller Flüchtlinge ihre Ausbildung ab. Und die Lehrer warnen vor zu hohen Migrantenquoten in den Schulklassen, weil sonst ein Leistungsabfall eintreten werde.

Seit dem 5. September, dem Tag von Merkels Ankündigung, die Tore zu öffnen, kommen täglich 7000 bis 10.000 Asylbewerber. Über die Beratungen des Bundestages zum Gesetzentwurf zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher sagte Bayerns Sozialministerin Emilia Müller: „Wir brauchen die bundesweite Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen dringender denn je. Aktuell betreut und versorgt Bayern schätzungsweise die Hälfte aller unbegleiteten Kinder und Jugendlichen in Deutschland. Damit ist die Belastungsgrenze der bayerischen Kommunen längst überschritten. Ich begrüße es daher sehr, dass die seit langem überfällige bundesweite Verteilung nun endlich ab 1. November 2015 erfolgen soll. Die damit verbundene Entlastung der bayerischen Kommunen muss schnell kommen.“

Emilia Müller in der Welt:

In einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ stellte Müller klar:

Wir sind nicht an der Grenze unseres guten Willens, sondern an der Grenze des Machbaren angekommen. Wir wollen die Menschen angemessen unterbringen, in winterfesten Unterkünften. Aber das können wir bald nicht mehr.

Bayern trage eine „Überlast“. In der Erstaufnahme habe der Freistaat 16.000 Plätze, dazu 11.000 belegte Plätze aus dem Notfallplan. Zudem seien derzeit 113.000 Flüchtlinge in Bayern untergebracht. „Damit sind wir jetzt an der Grenze unserer Belastbarkeit. Alle: unsere Kommunen, Hilfsorganisationen, die vielen Ehrenamtlichen, aber auch die staatliche Verwaltung. Wir können das so nicht mehr schultern“, betonte die Sozialministerin. Der Bund müsse die Flüchtlinge jetzt sofort nach dem vorgegebenen Schlüssel auf die Länder verteilen. Auch solle er seine Ankündigung endlich wahr machen, für diese Aufgabe 10.000 Plätze in sogenannten Wartezentren in Bayern zu schaffen, 5000 in Erding und 5000 in Feldkirchen. „Bislang gibt es aber nur 300 winterfeste Plätze. Und der Winter steht vor der Tür“, ärgerte sich Müller.

Weiter sagte die Ministerin in der Welt, die Balkanzentren in Bamberg und Manching wiesen eine positive Bilanz auf. „Jeder Asylbewerber bekommt dort ein rechtstaatliches Verfahren, aber auch die Beratung über Hilfen zur freiwilligen Rückreise. Anfragen dazu sind deutlich gestiegen. Denn es sind deutlich mehr Asylbewerber in den Westbalkan zurückgeführt worden, und die Verfahren gehen schneller“, so Müller. Und die geplanten Transitzentren seien keine Lager, sondern „ein geregelter Ablauf der Grenzkontrolle, der ermöglicht, dass Menschen ohne Bleibeperspektive schneller zurückgebracht werden können – entweder in ihr Herkunftsland oder in den sicheren Drittstaat aus dem sie gerade kommen“.

Die Menschen denken nicht nur von heute auf morgen, sondern auch an die kommenden zehn, 20 Jahre.

Emilia Müller, in der Zeitung Welt

Sie erlebe sehr viele Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung, wie es weitergehen soll: „Die Menschen denken nicht nur von heute auf morgen, sondern auch an die kommenden zehn, 20 Jahre. Sie machen sich Sorgen, dass unsere Gesellschaft sich verändert.“ Nur eine gelingende Integration führe dazu, dass die Arbeitslosigkeit niedrig und der Wohlstand in Deutschland erhalten bleibe und dass die Gesellschaft zusammenhalte.

Lehrer warnen vor zu hohen Migrantenquoten in den Klassen

Der Deutsche Philologenverband hat eine Migrantenquote für Schulklassen gefordert, um Flüchtlingskinder erfolgreich integrieren zu können. „Schon wenn der Anteil von Kindern nicht deutscher Muttersprache bei 30 Prozent liegt, setzt ein Leistungsabfall ein. Dieser wird ab 50 Prozent dramatisch“, sagte Verbandschef Heinz-Peter Meidinger der „Neuen Osnabrücker Zeitung„. Dies sei unter anderem durch eine Pisa-Begleitstudie belegt. Der Pädagoge sprach sich dagegen aus, im Regelbetrieb reine Flüchtlingsklassen einzurichten. Migranten selbst hätten den Wunsch nach gemischten Klassen geäußert, weil dies Integration und Spracherwerb fördere, betonte Meidinger und verwies auf entsprechende Befragungen der Stiftungen Vodafone und Mercator. Schulen hätten eine Schlüsselfunktion bei der Integration.

Wir wollen keine Gettos.

Das betonte der Vorsitzende des Philologenverbands, der 90.000 Gymnasiallehrer vertritt. Meidinger unterstrich die Notwendigkeit von Willkommens- oder auch Sprachlernklassen für Flüchtlingskinder, damit diese schnellstmöglich die deutsche Sprache lernen. Es wäre aber „fatal“, wenn diese zu 100 Prozent aus Flüchtlingskindern bestehenden Klassen auch in den Regelklassen der verschiedenen Schularten wiederaufleben würden. Dies fördere Parallelgesellschaften, warnte er.

Meidinger hofft außerdem, dass man die Fehler nicht wiederhole, die Deutschland im Umgang mit Gastarbeitern gemacht habe. Migrantenkinder sofort und unvorbereitet in Regelklassen zu schicken habe sich als grundlegender Fehler erwiesen. „Das ist gescheitert, und daraus sollten wir lernen.“ Nach Meidingers Angaben sind bis zu 25.000 Lehrer nötig, um den Zustrom von Flüchtlingskindern zu bewältigen. Derzeit seien knapp 11.000 Pädagogen arbeitslos gemeldet, viele seien schon in andere Berufe abgewandert. Für sie forderte er eine gezielte Werbekampagne.

Handwerk: 70 Prozent der Flüchtlinge brechen Ausbildung ab

Sozialministerin Emilia Müller beschrieb im Welt-Interview die Herausforderung Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt so: „Wir gehen davon aus, dass zehn Prozent eine akademische Ausbildung, 60 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und dass bis zu 20 Prozent Analphabeten sind.“

Nicht jeder, der in unser Land gekommen ist, ist auch sofort vermittelbar.

Lothar Semper, HWK München und Oberbayern

Wie schwierig das ist, belegen Aussagen der Handwerkskammer München und Oberbayern. Flüchtlinge brechen danach in deutschen Handwerksbetrieben zu 70 Prozent ihre Ausbildung ab, das ist weit über der durchschnittlichen Abbruchquote von 25 Prozent. Es ging dabei um Azubis, die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak geflohen waren und im September 2013 ihre Lehre begonnen hatten, so der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer München und Oberbayern, Lothar Semper. Die Zahlen seien bundesweit ähnlich. „Wir dürfen die Flüchtlinge auch während der Ausbildung nicht allein lassen, sonst scheitern sie“, so Semper weiter. Die Handwerkskammer plane daher, künftig spezielle Berater einzusetzen. Das größte Hindernis sind laut der HWK vor allem die mangelnden Sprachkenntnisse. „Nicht jeder, der in unser Land gekommen ist, ist auch sofort vermittelbar“, gestand Semper. Zudem spiele auch der vergleichsweise geringe Lohn während der Lehre eine Rolle: „Viele haben die Vorstellung, in Deutschland schnell viel Geld zu verdienen und es dann nach Hause zu schicken.“ Man müsse ihnen erst klar machen, dass es langfristig die bessere Entscheidung sei, sich für eine Lehre zu entscheiden und erst mal weniger zu verdienen. Ungelernte Aushilfsjobs in der Großmarkthalle seien oft für die Flüchtlinge attraktiver, weil auch dort der Mindestlohn gezahlt werde – wieder ein Fehler des SPD-Monsters. Azubis im Handwerk bekommen nämlich oft weniger als den Mindestlohn.

Laut dem Geschäftsführer werden in nahezu allen Berufen Mitarbeiter und Auszubildende gesucht. Handwerkliche Qualifikationen von Flüchtlingen seien schwer zu überprüfen, weil die Dokumente fehlten. Hier brauche es eine pragmatische Herangehensweise.

Sinn befürchtet steigende Arbeitslosigkeit

Der Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn sprach sich als Gast bei der Handwerkskammer erneut für die Abschaffung des Mindestlohns aus. Die Qualifikation der Flüchtlinge sei überwiegend schlecht. „Da kommen nicht die Chefärzte aus Aleppo“, betonte Sinn eindringlich. 70 Prozent der Afghanen und 15 Prozent der Syrer seien Analphabeten, 22 Prozent der Flüchtlinge hätten keinen Schulabschluss. Die würden zwangsweise in die untersten Beschäftigungsverhältnisse drängen. Die schnelle Qualifikation von Migranten sei „Wunschdenken“. Die Folge sei steigende Arbeitslosigkeit.

Auch Sozialversicherungssysteme sind nicht vorbereitet

Auch die deutschen Sozialversicherungssysteme sind nach Ansicht des Freiburger Wirtschaftswissenschaftlers Bernd Raffelhüschen in keiner Weise auf die Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen vorbereitet – die allein in diesem Jahr ankommen. Er befürchtet daher „massive Steuererhöhungen“. Der Grund: Die etwa 70 Prozent unqualifizierten Flüchtlinge rutschten in der Mehrzahl in die Arbeitslosigkeit: „Es wird eher eine Integration in die sozialen Sicherungssysteme.“ Da diese Kosten nicht den Beitragszahlern angelastet werden könnten, müssten die Steuerzahler dafür aufkommen. Auch Altersarmut befürchtet Raffelhüschen, weil die Menschen, die als 30-Jährige ins Land kämen, kaum eine Chance hätten, 45 Jahre in die Rentenversicherung einzuzahlen. Deutschland könne bei der Arbeitsmarktintegration von anderen Ländern wie etwa den USA lernen, deren Willkommenskultur in ihren Konsulaten stattfinde. „Denen, die man nicht gebrauchen kann, wird die Einreise verweigert.“

Hat Thüringen noch einen Maulkorb erlassen?

Nach dem Maulkorb für Kommunalpolitiker (der Bayernkurier berichtete) sorgt in Thüringen ein weiteres Schweigegebot für Ärger.

In Thüringen hat es einem Zeitungsbericht zufolge nun doch eine Anweisung an Polizisten gegeben, unter bestimmten Umständen nicht über Vorfälle in Flüchtlingsheimen zu informieren. Das „Freie Wort“ zitierte aus einer E-Mail der Landespolizeidirektion Nordhausen vom 4. Februar dieses Jahres. Darin heißt es nach Angaben des Blattes, dass bei „Einsätzen in den Unterkünften, die keine Außenwirkung erzielen“, „keine Pressemeldung gefertigt“ werde. Die Polizei solle nur „bei eventuellen Anfragen“ von Medienvertretern reagieren. Nur bei größeren Vorfällen wie Bränden oder Massenschlägereien solle informiert werden. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) hatten zuvor den Vorwurf zurückgewiesen, das Land verheimliche Kriminalität unter Flüchtlingen. Nun reagierte das Innenministerium nach Angaben der Zeitung überrascht: Das Schreiben sei ihm nicht bekannt gewesen. Umso schlimmer.