September 2015: Der Grenzübergang Freilassing, im Bild die Zeltstadt vor der Grenze. (Bild: Imago/Eibner Europa)
Asylgipfel in Ingolstadt

Mit dem Rücken zur Wand

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat bei einem Spitzengespräch mit Vertretern der Kommunalpolitik in Ingolstadt mit "Notwehr"-Maßnahmen des Freistaats gedroht, sollte die Bundesregierung weiterhin für keine Begrenzung der Flüchtlingszahlen sorgen. Auch die Landräte und Bürgermeister stellten klar, dass viele Kommunen bereits die Belastungsgrenze überschritten hätten.

Der Freistaat müsse überlegen, was er mache, wenn es weitergehe wie bisher, sagte der CSU-Chef anlässlich des Gesprächs mit den bayerischen Landräten und Oberbürgermeistern. Nach Teilnehmerangaben sprach er von möglicher „wirksamer Notwehr“. Seehofer erklärte:

Sonst sagt Berlin, die Bayern reden immer davon, die Belastungsgrenze sei erreicht, aber führen jeden Tag vor, dass sie es trotzdem schaffen.

Zwischen dem 1. September und dem 3. Oktober kamen nach Angaben Seehofers 225.000 Flüchtlinge in Bayern an. Er kritisierte außerdem Intransparenz, weil das Bundesinnenministerium derlei Zahlen nicht „zeitnah“ veröffentliche. Zuvor hatte er noch Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen mehrere tausend neue Stellen in Aussicht gestellt, unter anderem an Schulen. „Das werden schon eher mehrere 1000 Stellen als mehrere 100 Stellen“, sagte Seehofer vor den Beratungen in Ingolstadt. „Es wird sehr, sehr viele Stellen geben zusätzlich.“ Man müsse diejenigen stärken, „die seit Monaten bis an die Grenze der Belastbarkeit arbeiten – in der Verwaltung, in der Justiz, bei der Polizei, an den Schulen“. „Beim Flüchtlingsgipfel geht es nicht nur um praktische Fragen der aktuellen Flüchtlingsunterbringung, sondern auch um langfristige Folgen, organisatorisch wie finanziell. Von der sozialen wie schulischen Versorgung bis zu einer sinnvollen Integration“, betonte auch Staatskanzleichef Marcel Huber im Vorfeld des Treffens.

Es geht um Realismus statt Illusionen, die man dann auf Dauer nicht durchhalten kann.

Horst Seehofer

Nach mehreren Berichten beispielsweise über Kündigungen von deutschen Mietern für Flüchtlinge sagte Seehofer, Staatsregierung und Kommunalpolitik seien sich einig, „niemandem etwas wegzunehmen, um es einem anderen zu geben“. Die Staatsregierung will außerdem prüfen, wie man mit Transitzonen und neuen Drehkreuzen die Situation verbessern kann, damit nicht die bayerischen Kommunen die Hauptlastenträger seien. „Es geht um Realismus statt Illusionen, die man dann auf Dauer nicht durchhalten kann“, so Seehofer.

Kommunen schlagen Alarm

Die bayerischen Kommunen schlugen wegen der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen Alarm. Anlässlich des Treffens mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch in Ingolstadt sagten viele Landräte übereinstimmend, sie seien am Ende der Belastungsgrenze. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, erklärte etwa der Rosenheimer Landrat Wolfgang Berthaler (CSU). Die Landkreise sehen vor allem den Bund in der Pflicht. Mehrere Landräte forderten aber auch mehr Geld vom Freistaat: Es könne nicht sein, dass etwa der Landkreis Miesbach im kommenden Jahr auf mehreren Millionen Euro sitzen bleiben solle, sagte der dortige Landrat Wolfgang Rzehak (Grüne).

Eine Politik der ‚offenen Arme‘ darf die helfende Hand nicht überfordern.

Kurt Gribl, OB von Augsburg

Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl begrüßte das Treffen als „gutes Signal“ der Bayerischen Landesregierung, die sich um die Probleme in den Kommunen und Landkreisen kümmere. Man müsse die Belastungen der Kommunen minimieren und ihnen bei der Integration der Neuankömmlinge helfen. Gribl betonte, es bestehe die politische Verpflichtung, alles zu tun, um den sozialen Frieden in der Gesellschaft zu wahren. „Eine Politik der ‚offenen Arme‘ darf die helfende Hand nicht überfordern“, so der Augsburger OB. Bemängelt wurde auch die Schlafmützigkeit des Bundes: Immer noch gebe es kein weiteres Drehkreuz in Deutschland neben München, sagte Münchens OB Dieter Reiter (SPD). Städtetags-Präsident Ulrich Maly (SPD) betonte, über alle Parteien hinweg habe große Einigkeit geherrscht, dass der Königsteiner Schlüssel auch bei der Verteilung der Flüchtlinge über alle Bundesländer endlich eingehalten werden müsse. Das größte Problem sieht Maly im Wohnungsbau, für den die zugesagten 500 Millionen Euro vom Bund sicher nicht reichen würden. Der Passauer CSU-Landrat Meyer forderte erneut mehr Solidarität der anderen Bundesländer auch bei der Verteilung der in Passau untergebrachten 3.000 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingskinder ein: „Es kann nicht sein, dass der Landkreis Passau derzeit fast sechs Millionen im Defizit ist, weil die Kostenträger wie das Land Berlin oder auch Westfalen-Lippe nicht bezahlen.“ Der bayerische Bezirketagspräsident Josef Mederer warnte auf dem Gipfel vor Engpässen in den Kinder- und Jugendpsychiatrien, weil man viele minderjährige Flüchtlinge versorgen müsse, die durch Krieg oder Flucht traumatisiert worden sind. Dabei dürften aber nicht die einheimischen Kinder vergessen werden, die ebenfalls Hilfe benötigten..

Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen hat sich Landkreistagspräsident Christian Bernreiter (CSU) für eine bayerische Obergrenze bei der Aufnahme von Migranten ausgesprochen. Man sei mit den Unterbringungsmöglichkeiten am Ende, sagte Bernreiter am Mittwoch nach einem Treffen von Kommunalpolitikern mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in Ingolstadt. Er plädiere deshalb dafür, dass jeder Landkreis „eine Kapazität X“ benenne. Das solle dann aufsummiert werden. „Und dann wissen wir, was wir in Bayern erbringen können.“ Seehofer stellte sich sofort hinter den Vorschlag. „Dem kann ich mich sehr anschließen“, sagte Seehofer.

Sondersitzung des Kabinetts folgt auf den Gipfel

Das Kabinett will auch in einer Sondersitzung am Freitag über die Asyl- und Flüchtlingspolitik beraten – wiederum ganz konkret über mögliche „Notmaßnahmen“, aber auch über Unterkünfte und Wohnungsbau. Zuletzt war beispielsweise erwogen worden, Flüchtlinge per Zug in andere Bundesländer weiterzuschicken. Zudem plädiert die CSU für „Transitzonen“ an den Binnengrenzen, um bestimmte Flüchtlinge direkt an der Grenze abweisen zu können. Seehofer räumte aber ein, dass für all dies primär der Bund zuständig sei. „Und deshalb müssen wir weiter drücken und weiter fordern, dass der Bund sich dieser großen Aufgabe auch tatsächlich zuwendet.“

Klare Botschaft an Albanien

Am Donnerstag reist Bayerns Europaministerin Beate Merk nach Albanien. Die Reise erfolgt vor dem Hintergrund des immer noch anhaltenden Zustroms albanischer Asylsuchender in Deutschland. Die Ministerin möchte bei ihrem Besuch die klare Botschaft an die albanische Bevölkerung richten, dass sich Asylmissbrauch nicht lohnt und dass Asylbewerber aus Albanien in Deutschland keine Bleibeperspektive haben. Sie will auch an die albanische Regierung appellieren, ihrer Verantwortung für ihre Staatsbürger nachzukommen und Deutschland bei der schnellen Rückführung abgelehnter Asylbewerber weiter zu unterstützen. Dabei wird sie auch mit Ministerpräsident Edi Rama und Innenminister Saimir Tahiri zusammentreffen.

Altmaier neuer Flüchtlingskoordinator, CDU-Proteste gegen Merkel

Unterdessen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) zum Gesamtkoordinator der auf verschiedene Ministerien verteilten Aufgaben in der Asylpolitik ernannt. Er solle das bündeln und besser als bisher koordinieren. „Die Benennung des Kanzleramtsministers zum obersten Flüchtlingskoordinator ist gut und wichtig und wird der Größe des Problems gerecht“, sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt der „Rheinischen Post„.

Mit der Benennung ist es allerdings nicht getan. Wir müssen schnellstmöglich weitere Schritte gehen, um den Zustrom zu reduzieren.

Gerda Hasselfeldt

„Dafür müssen wir Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive direkt an der deutschen Grenze zurückweisen. Deutschland kann nicht jeden aufnehmen“, sagte Hasselfeldt weiter.

34 CDU-Funktionäre aus mehreren Bundesländern haben in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel deren Flüchtlingspolitik deutlich kritisiert. „Die gegenwärtig praktizierte ‚Politik der offenen Grenzen‘ entspricht weder dem europäischen oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU“, heißt es angeblich in dem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur dpa vorliegt und über den zuerst „Spiegel online“ berichtete. Ein großer Teil der CDU-Mitglieder und Wähler fühle sich daher von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten. Die 34 Unterzeichner fordern klare Maßnahmen, um den Flüchtlingsandrang effektiv zu verringern.

(dpa/avd)