Die Rechnung kommt bestimmt
Was Horst Seehofer nach Angela Merkels "Einladung" prophezeit hatte, tritt ein: In den ersten drei Wochen im September sind mehr Flüchtlinge in Bayern angekommen als im ganzen Jahr zuvor, mindestens 135.000. Die wahre Zahl dürfte jedoch höher liegen. Unterdessen gab das Bundesfamilienministerium bekannt, dass mehr als 68.000 Kitaplätze fehlen dürften. Und Bayerns Landräte fanden bei Merkel Gehör.
Asylbewerber

Die Rechnung kommt bestimmt

Was Horst Seehofer nach Angela Merkels "Einladung" prophezeit hatte, tritt ein: In den ersten drei Wochen im September sind mehr Flüchtlinge in Bayern angekommen als im ganzen Jahr zuvor, mindestens 135.000. Die wahre Zahl dürfte jedoch höher liegen. Unterdessen gab das Bundesfamilienministerium bekannt, dass mehr als 68.000 Kitaplätze fehlen dürften. Und Bayerns Landräte fanden bei Merkel Gehör.

Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 2. September entschieden hatte, in Ungarn festsitzende Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen, sind mehr als 135.000 Flüchtlinge allein im Freistaat angekommen, wie das bayerische Sozialministerium bestätigte. Von Januar bis Ende August 2015 waren in Bayern nur rund 130.000 Migranten gezählt worden. Wie viele Flüchtlinge in Bayern registriert wurden, konnte das Ministerium jedoch nicht mitteilen. Viele Flüchtlinge seien direkt in andere Bundesländer weitergeleitet und dort registriert worden, sagte eine Ministeriumssprecherin. Die wahre Zahl der Neuankömmlinge dürfte also wesentlich höher liegen.

Aktuell versorgt Bayern die Hälfte aller unbegleiteten Minderjährigen in Deutschland.

Emilia Müller, Bayerns Sozialministerin

Bayerns Sozialministerin Emilia Müller warnte im Vorfeld der Bundesratssitzung erneut vor einer finanziellen Überforderung des Freistaats und seiner Kommunen bei der Versorgung unbegleiteter Minderjähriger. „Bayern drohen im nächsten Jahr Belastungen von über einer halben Milliarde Euro“, so die Ministerin. Der Freistaat begrüßt, dass künftig die neu ankommenden unbegleiteten Minderjährigen  auf alle Bundesländer verteilt werden. „Aktuell versorgt Bayern die Hälfte aller unbegleiteten Minderjährigen in Deutschland. Damit ist die Belastungsgrenze der bayerischen Kommunen längst überschritten und eine bundesweite Verteilung überfällig“, so die Ministerin und ergänzte: „Es kann dabei aber nicht angehen, dass Bayern auf den Kosten für die bereits hier betreuten Unbegleiteten sitzen bleibt. Wir brauchen weiterhin einen fairen Ausgleich der Kosten für die unbegleiteten Minderjährigen, die schon da sind.“ Bayern fordert den Ausgleich wie bisher im Gesetz festzuschreiben. „Die Versorgung und Betreuung der unbegleiteten Minderjährigen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hier ist jeder in der Pflicht, auch der Bund. Er muss die Kommunen entlasten und sich an den Unterbringungskosten beteiligen.“

Gerechte Verteilung

In Bayern kommen besonders viele unbegleitete Jugendliche an, da der Freistaat an den beiden Hauptfluchtrouten liegt. So befanden sich im August 2014 rund 3.500 unbegleitete Minderjährige in der Zuständigkeit bayerischer Jugendämter. Im August 2015 waren es bereits über 12.000. Aktuell kommen monatlich weitere 2.000 hinzu. Die Jugendlichen werden vom ersten Tag an im Rahmen der Jugendhilfe untergebracht. Das bedeutet für die Jugendämter in den Grenzregionen – speziell München, Rosenheim und Passau – eine gewaltige Herausforderung. Denn anders als erwachsene Asylbewerber werden die unbegleiteten Minderjährigen bislang nicht über die Bundesländer verteilt. Bayern hat deshalb bereits im vergangen Jahr eine Bundesratsinitiative für eine gerechte Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen auf alle Bundesländern eingebracht, die nun zum 1. Januar 2016 in Kraft treten soll.

Zehntausende Kitaplätze fehlen

Familienministerin Schwesig (SPD) hält zehntausende zusätzliche Kita-Plätze für Flüchtlingskinder für nötig. Mit 68.000 Kita-Kindern sei zu rechnen, wenn man aktuelle Betreuungsquoten von Kindern mit ausländischen Wurzeln auf die aktuelle Prognose von 800.000 Asylbewerber hochrechne. Längst werden jedoch mehr als eine Million Asylbewerber erwartet. Allein die Kommunen koste dies rund 550 Millionen Euro zusätzlich an Betriebskosten. Zunächst hatte die Zeitung „Die Welt“ (Donnerstag) darüber berichtet. Schwesig hatte sich aber bereits in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ entsprechend geäußert. Das Ministerium erwartet um 2,4 Milliarden Euro steigende Gesamtkosten im Kita-Bereich für Länder und Kommunen im kommenden Jahr. 2017 seien etwa 3,7 Milliarden, 2018 rund 4,9 Milliarden steigende Kosten zu erwarten. Dazu trügen auch die steigende Geburtenrate und Lohnerhöhungen für Erzieherinnen bei.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi forderte für diese 68.000 erwarteten Kita-Kinder 20.000 zusätzliche Stellen für pädagogische Fachkräfte für Bildung, Betreuung und Sprachförderung. Die kommunalen Spitzenverbände pochten in der „Welt“ auf mehr Unterstützung für den Ausbau der Kinderbetreuung.

Bayerische Landräte bei der Bundeskanzlerin

Die bayerischen Landkreise verschaffen sich Gehör bei Angela Merkel. Das Bundeskanzleramt hat einen Termin am kommenden Montag im Bundeskanzleramt bestätigt, erklärt Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistags und Landrat von Deggendorf. Zu dem Gespräch sind alle drei Kommunalen Spitzenverbände Bayerns geladen. Bernreiter wird gemeinsam mit dem Ersten Vizepräsidenten des Bayerischen Landkreistags, dem Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin, der Bundeskanzlerin aus erster Hand berichten, was sich in den bayerischen Landkreisen durch die hohen Flüchtlingszahlen abspielt. Der Präsident des Bayerischen Landkreistags hatte die Kanzlerin am Wochenende angesichts der extremen Belastung der bayerischen Grenzregionen dringend um ein Gespräch gebeten.

Die anderen Bundesländer verlassen sich darauf, dass die Arbeit in Bayern getan wird.

Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistags

Sie sollte sich vor Ort ein Bild der Situation machen. „Die Kanzlerin hat auf unsere Einladung prompt reagiert“, so Bernreiter, auch wenn das Gespräch nun in Berlin stattfinde. Mit Landrat Karmasin aus Fürstenfeldbruck und ihm selbst seien die hauptsächlich betroffenen Grenzregionen vertreten. „Wir werden Angela Merkel eindringlich die Situation in den Kommunen schildern.“ Auch der Bayerische Städtetag und der Bayerische Gemeindetag werden mit ihren Präsidenten und je einem weiteren Vertreter teilnehmen. Christian Bernreiter hatte wiederholt das zögerliche Handeln des Bundes in der Flüchtlingskrise beklagt und dringend einen Masterplan sowie Solidarität unter den Ländern gefordert. „Die anderen Bundesländer verlassen sich darauf, dass die Arbeit in Bayern getan wird“, so der Präsident der bayerischen Landkreise. Durch die wiedereingeführten Grenzkontrollen stieg die Belastung besonders der südlichen und östlichen Landkreise über das zu bewältigende Limit.