Empfang von Asylbewerbern am Münchner Hauptbahnhof. Bild: Wolfram Göll
Asylpolitik

„Die Mehrheit der Bürger ist in Sorge“

Das CDU-Präsidiumsmitglied und Finanzstaatssekretär Jens Spahn kritisierte im SZ-Interview als erster führender CDU-Politiker die aktuelle Asylpolitik. Er beklagte eine "beinahe euphorische Darstellung in den Medien", die die Sorgen vieler Bürger ignoriere. Erstaunliches kommt auch von Grünen-Chef Cem Özdemir: Er gestattet es indirekt, endlich über Asylprobleme zu reden.

Die Öffnung der Grenzen letztes Wochenende für Flüchtlinge aus Ungarn hielt Spahn „in dieser speziellen Situation“ als Ausnahme für richtig. In einer digitalisierten Welt verbreiteten sich solche Nachrichten allerdings sehr schnell und würden Zehntausende weitere Asylbewerber anlocken.

Kritik an der veröffentlichten Meinung

Besonders interessant waren seine Aussagen in der SZ zur Asyl-Berichterstattung in den Medien. „Wir sehen gerade eine klassische Schweigespirale: Viele meinen angesichts der beinahe euphorischen Darstellung in den Medien und in der öffentlichen Debatte, dass sie mit Ihren Sorgen und Fragen immer nur in der Minderheit sind“, so Spahn.

Dabei sei die übergroße Mehrheit im Land derzeit in Sorge. Heuer könne man noch den Zuzug von mehr als 800.000 Asylbewerbern bewältigen. Doch der CDU-Mann ist einer der wenigen Politiker, die auch den Blick in die etwas fernere Zukunft richten: „Aber die alles bestimmenden Fragen der Bürger sind: Wie viele kommen dann nächstes Jahr? Bekommt ihr die Lage wieder in den Griff? Und wie soll Deutschland das auf Dauer aushalten?“

Gewaltige Veränderungen im Alltag

Zudem verweist er darauf, dass sich der Alltag der Deutschen in den Schulen, in der Nachbarschaft und auf der Arbeit verändern wird: „Wenn in einer Schulklasse nun drei oder fünf Kinder sind, die kein Wort deutsch sprechen können, dann wird der Lehrer weniger Zeit für die anderen Schüler haben.“ Und man müsse den Flüchtlingen, die teilweise aus Ländern mit völlig anderer Kultur kämen, die beispielsweise mit Juden oder Schwulen nicht gerade freundlich umgingen, selbstverständlich von Anfang an klar machen, „dass die deutsche Rechts- und Werteordnung uneingeschränkt“ gelte. Dies hatte auch der ehemalige CSU-Chef Edmund Stoiber kürzlich gefordert. „Die Trennung von Staat und Religion, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit, das alles ist nicht verhandelbar“, so Spahn weiter.

Die Äußerung von SPD-Chef Gabriel, das Land könne jährlich eine halbe Million Flüchtlinge aufnehmen, hält Spahn offensichtlich für naiv. In der SZ sagte er dazu: „Dann muss die SPD erklären, wie man sicherstellen kann, dass es bei einer halben Million Flüchtlinge jährlich bleibt.“

Einsicht bei einem Grünen?

Auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sorgt in einem Interview mit der „Welt“ für ungewohnte Töne – neben den üblichen Spitzen gegen CDU und CSU natürlich. „Wir können nicht ignorieren, dass nur ein geringer Teil der Asylsuchenden aus dem Kosovo und aus Albanien tatsächlich in Deutschland ein Recht auf Asyl hat“, sagte der Grüne doch tatsächlich. Seine Co-Chefin Simone Peter kritisierte dagegen erst kürzlich einen Teil der Berliner Asylbeschlüsse als „unnötige Schikanen“ und „nicht zielführend“. Dazu zählte sie ausdrücklich die geplante Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsländer ebenso wie die geplante Ausweitung von Sach- statt Geldleistungen.

Doch das ist nicht die einzig erstaunliche Erkenntnis bei Özdemir: „Wir sind das Land des Grundgesetzes. Hier gilt Gleichberechtigung von Mann und Frau, und hier gilt Religionsfreiheit.“ Das meine nicht nur die Freiheit, Religion auszuüben – sondern „auch die Freiheit, auf Religion in seinem Leben zu verzichten oder sie zeitgemäß auszulegen“. Auch die Verantwortung für Israel gehöre zu den deutschen Werten. Dies müsse den Flüchtlingen von Anfang an klar gemacht werden. Özdemir hofft deshalb wie so Viele auf einen „europäischen Islam auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes“ – der jedoch vermutlich daran scheitert, dass der Koran als direktes Wort Gottes gilt und somit kaum auszulegen ist.

Und wir müssen darüber reden, was der Zuwachs für die Bundesrepublik bedeutet.

Cem Özdemir, Grünen-Chef, gibt im Welt-Interview eine Redeerlaubnis

Und endlich richtet ein Grüner seinen Blick auch mal nicht nur in die Gegenwart: „Aber wir müssen natürlich auch heute daran denken, was in einem, zwei, drei oder zehn Jahren sein wird. Und als sogenanntes Gastarbeiterkind kann ich nur darauf dringen, aus den Fehlern zu lernen, die früher bei Zuwanderungswellen gemacht wurden. Da kann man vieles besser machen“, so Özdemir bei der „Welt„. Und weiter geht es mit den beinahe unglaublichen Erkenntnissen: Man müsse die aktuellen Probleme der Unterbringung lösen, denn der Winter stehe vor der Tür. Man müsse sogar darüber reden, „was der Zuwachs für die Bundesrepublik bedeutet“. Eine Redeerlaubnis der grünen Wortschatzhüter über Asylprobleme, das ist für sich genommen eine kleine Sensation. Wir sollten uns künftig darauf berufen. Doch Özdemir geht noch weiter: „Wir sollten uns nichts vormachen: Die Syrer und Eritreer werden in absehbarer Zeit nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können. Sie werden dauerhaft bleiben und damit unser Land verändern.“ Nicht zu glauben.