Sind bei der Reform der Strafverfahren in Deutschland unterschiedlicher Meinung: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und sein bayerischer Amtskollege Winfried Bausback (CSU). (Bild StMJ)
DNA-Tests

Bausback kritisiert Untätigkeit von Maas

Bayerns Justizminister Winfried Bausback fordert, endlich eine gesetzliche Regelung zur Verwertbarkeit von sogenannten Beinahetreffern bei Massengentests zu schaffen – also wenn eine DNA-Probe auf einen nahen Verwandten eines Getesteten hindeutet. Bisher dürfen hier Ermittlungsbehörden nicht weiter vorgehen. Bausback warf Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Untätigkeit vor.

„Nachdem wir uns schon im Jahr 2013 unter den Landesjustizministern und im Berliner Koalitionsvertrag einig waren, dass wir eine solche Regelung brauchen und jetzt auch das Bundesverfassungsgericht mangelndes Problembewusstsein des Gesetzgebers festgestellt hat, frage ich mich: Was muss noch alles geschehen, damit der Bundesjustizminister endlich handelt und einen Gesetzentwurf vorlegt?“ Die aktuelle Gesetzeslage sei schlichtweg nicht länger hinnehmbar. Ergebe sich bei einem Massengentest ein sogenannter „Beinahetreffer“ – stelle sich also heraus, dass als möglicher Täter ein naher Verwandter einer getesteten Person in Betracht komme – dürften die Ermittlungsbehörden dieses Wissen nach im Mai 2015 einem vom Bundesverfassungsgericht bestätigten BGH-Urteil von Ende 2012 zu einer äußerst brutalen Vergewaltigung in Niedersachsen derzeit nicht nutzen. „Das heißt konkret: Unsere Strafverfolgungsbehörden müssen sehenden Auges erfolgversprechende Ermittlungsansätze außer Acht lassen und das obwohl es um schwerste Straftaten wie beispielsweise Sexualverbrechen geht. Nur hier sind Massengentests überhaupt zulässig. Das ist keinem Opfer vermittelbar und muss schnellstmöglich geändert werden!“, so der Minister. Maas wurde bereits mehrfach Untätigkeit vorgeworfen (der Bayernkurier berichtete).

Bausback sucht Unterstützung

Bausback hat daher ein Schreiben an den aktuellen Vorsitzenden der Justizministerkonferenz, den baden-württembergischen Justizminister Rainer Stickelberger, gerichtet: „Ich fordere den Vorsitzenden auf, dieses wichtige Thema erneut gegenüber dem Bundesjustizminister aufzugreifen. Wir brauchen zügig eine Rechtsgrundlage, die bestimmt, dass und unter welchen Voraussetzungen solche Beinahetreffer zur Aufklärung schwerster Straftaten verwertet werden dürfen!“

Die Tat, die die Schutzlücke offenbarte

In dem zugrundeliegenden Fall im Emsland aus dem Jahr 2010 wurde der Täter, der erst durch zwei DNA-Proben seines Vaters und seines Onkels in den Kreis der Verdächtigen rückte, dennoch verurteilt, weil sich die Ermittlungsbehörden damals noch auf die „ungeklärte Rechtslage“ im Paragraph 81 h der Strafprozessordnung berufen konnten. Laut dem BGH-Urteil von 2012 und dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2015 gilt dies danach jedoch ausdrücklich nicht mehr. In allen weiteren Fällen existiert also ein Verwertungsverbot für solche Erkenntnisse. Im Koalitionsvertrag von 2013 einiget man sich daher zur Schließung dieser „inakzeptablen Schutzlücke“ auf die Formel: „Zur Aufklärung von Sexual- und Gewaltverbrechen sollen bei Massen-Gentests auch sogenannte Beinahetreffer verwertet werden können, wenn die Teilnehmer vorab über die Verwertbarkeit zulasten von Verwandten belehrt worden sind.“

Erlaubt ist es den Ermittlern bei DNA-Tests nur, mit Hilfe des Erbguts von einem Tatort das Geschlecht des mutmaßlichen Täters zu bestimmen. Andere Informationen, die sich heutzutage aus DNA-Spuren ableiten lassen, wie Augen- und Haarfarbe, Alter und bestimmte Krankheiten, dürfen in Deutschland bisher nicht verwendet werden.

Aufklärung durch die DNA-Analyse-Datei

Seit 1998 sammelt das BKA Daten in der DNA-Analyse-Datei. Mitte 2015 umfasste diese 1.111.833 Datensätze. Aufgrund von Fristablauf oder aus anderen Gründen wurden seit 1998 etwa 382.500 Datensätze wieder gelöscht. In 198.644 Fällen lieferte die Datenbank einen Treffer. Davon wurden in 40.999 Fällen ein Tatzusammenhang festgestellt (derselbe Spurenverursacher an verschiedenen Tatorten) und in 157.645 Fällen eine Tatortspur einer Person, einem Spurenverursacher, zugeordnet – und damit vermutlich eine Tat aufgeklärt. Nach Angaben des Amts konnten unter anderem 1742 Straftaten gegen das Leben, 2912 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 2596 Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, 10507 Raub- und Erpressungsdelikte sowie 123.361 Diebstahlsdelikte aufgeklärt werden. Verschieden lange zurückliegende Morde und Sexualmorde konnten durch das Verfahren aufgeklärt werden, darunter bekannte Fälle wie:

  • 1999: der „Zugmord“ von 1995, bei dem das Opfer im Regionalzug Dresden-Zwickau vergewaltigt und zur Vertuschung der Tat aus dem fahrenden Zug geworfen worden war, wird durch einen DNA-Test aufgeklärt.
  • 1998: Die Untersuchung von 16.000 Männern zwischen 18 und 30 Jahren in Niedersachsen überführt den Seriensexualstraftäter und Mehrfachmörder kleiner Mädchen, Ronny Rieken. Er macht den Massengentest mit und wird als erster Straftäter dadurch überführt.
  • 2000: der Sexualmord an einer Schülerin aus dem Jahr 1973, dessen damals gesicherte DNA-Spuren im Jahr 2000 nochmals aufgearbeitet wurden, führt zum Täter. Nachdem er zum DNA-Test aufgefordert worden war, stellte sich der Täter freiwillig.
  • 2001: Eine Haaranalyse bewies, dass der 1993 von der Polizei erschossene RAF-Terrorist Wolfgang Grams an der Ermordung des damaligen Treuhand-Chefs Detlev Carsten Rohwedder am 1. April 1991 beteiligt gewesen war.
  • 2004 wurden in Bayern neun Briefbomben verschickt, von denen eine eine Sekretärin leicht verletzte. Die anderen Briefbomben zündeten nicht. Nachdem der Täter Johann L. zu einem Massengentest eingeladen wurde, sprengte er sich vorher selbst auf einem Feld in die Luft.
  • 2005: Der Mord an dem Münchner Modezaren Rudolph Moshammer wurde innerhalb von 48 Stunden nach der Tat durch eine DNA-Analyse aufgeklärt.
  • 2007: Eine Panne gab es bei der Verfolgung eines Polizistenmordes der rechtsextremen Terrorgruppe NSU in Heilbronn. Tatortspuren stimmten mit Spuren einer Frau von 40 weiteren Tatorten in Deutschland überein. Im März 2009 stellte sich jedoch heraus, dass Wattestäbchen, die bei der Spurensicherung verwendet werden, beim Hersteller verunreinigt wurden.
  • 2008: Im Nordsaarland startete ein Massengentest, um den „Hochwald-Mörder“ zu überführen, den Mann, der 1962 bei Bielefeld die 13-jährige Schülerin Lydia S. und 1970 die Prostituierte Heiderose B. im Raum Ulm umgebracht hat. 2006 tauchten Briefe des angeblichen Mörders auf, der sich jedoch später nur als Wichtigtuer entpuppte. Spuren auf diesen Briefen sollte der Gentest nachgehen.
  • 2013: Die Kriminalpolizei München startete einen Massen-Gentest bei 5500 Personen, um dem „Radl-Mörder“ auf die Spur zu kommen, der im Mai 2013 einen Radfahrer an der Isar in der Münchner Erhardtstraße erstochen hat. Vor dem Mord hatte der Täter der Freundin des Opfers grundlos ins Gesicht gespuckt, als das Paar auf dem Fahrrad an ihm vorbeifuhr. Als der Freund den Täter zur Rede stellen wollte, stach dieser zu. Untersucht wurden alle Personen, die Mobiltelefonen zugeordnet werden konnten, die zum Tatzeitpunkt in die nahe dem Tatort liegenden Funkzellen eingeklinkt waren. Bis heute gibt es jedoch außer einer Blutspur am Tatort und einer vagen Beschreibung keinen Hinweis auf den Täter, obwohl die Aufklärungsquote bei Mordfällen in Bayern bei insgesamt 99 Prozent liegt.

Datenschutz für den Maskenmann?

Immer wieder wird unter anderem Datenschutz oder möglicher Datenmissbrauch als Argumente gegen (Massen-)DNA-Tests ins Feld geführt. Sieht man jedoch auf Fälle wie den folgenden, bleibt fraglich, warum der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch einen im Falle der Unschuld wieder gelöschten DNA-Test schwerer wiegen soll, als die Aufklärung von brutalen Verbrechen. Ist es wirklich besser, Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder und andere Kriminelle frei herumlaufen zu lassen, nur weil auch viele Unschuldige bei einem Massen-DNA-Test getestet werden oder ein in Deutschland winziges Risiko von Datenmissbrauch besteht? Die Antwort ist ohne Juristen einfach: Spätestens wenn ein Datenschützer selbst von einem Verbrechen betroffen wäre, würde er seine Meinung vermutlich ändern. Denn es gab durchaus Fälle, die früher aufgeklärt worden wären, wenn es einfacher wäre, von Tatverdächtigen eine DNA-Probe zu bekommen: Der als „Maskenmann“ bekannt gewordene Serienmörder Martin N., der ab 1992 in Schullandheimen, Zeltlagern und Privathäusern mehr als 40 Kinder sexuell missbraucht und mindestens drei davon ermordet hatte, geriet im Dezember 2007 erstmals ins Visier der Fahnder. Die 2008 erfolgte Aufforderung zur Abgabe einer Speichelprobe, der er freiwillig nicht nachkam, konnte mangels hinreichenden Tatverdachtes rechtlich nicht durchgesetzt werden. Verhaftet wurde N. erst am 15. April 2011. Ob er in der Zwischenzeit weitere Verbrechen begangen hat, ist bisher nicht bekannt. Seine letzte bekannte Straftat ist auf das Jahr 2006 datiert, bis Anfang 2008 war er jedoch als Kinderbetreuer tätig. Verschiedene Speichermedien, die Ende 2011 in seiner früheren Wohnung entdeckt wurden, konnten bis heute nicht entschlüsselt werden. Die Ermittler vermuten, dass der „Maskenmann“ noch weitere Sexualdelikte und mindestens zwei weitere Morde 1998 und 2004 begangen hat, dies hat N. jedoch abgestritten.