Bei ihrem Besuch in der Flüchtlingsunterkunft in Heidenau hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (M.) rechtsextreme Anfeindungen gegenüber Flüchtlingen nochmals verurteilt. Rechts Stanislaw Tillich, Ministerpräsident von Sachsen. Hinter Merkel Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Foto: imago/Matthias Schumann/epd-bild
Merkel in Heidenau

Die zwei Seiten der Asylpolitik

Bundeskanzlerin Merkel besuchte ein Asylbewerberheim im sächsischen Heidenau. Dort empfingen sie Rechtsradikale mit Pfiffen und Buhrufen. Um ihnen den Nährboden zu entziehen, müssten unter anderem abgelehnte Asylbewerber konsequent abgeschoben werden. Doch das funktioniert in vielen Ländern nicht. Bayern setzte dagegen erneut ein Zeichen gegen den Asylmissbrauch.

Wer in Deutschland keinen Erfolg mit seinem Asylantrag hat, wird zur Ausreise aufgefordert – innerhalb einer bestimmten Frist. Jene, die dem nicht freiwillig nachkommen, werden nach Ablauf der Frist abgeschoben, also beispielsweise in Polizeibegleitung in ein Flugzeug Richtung Heimat gesetzt. Regelmäßig organisieren die deutschen Behörden auch Charterflüge für größere Gruppen von Menschen, die das Land verlassen müssen. Menschen, die versuchen, sich dem zu entziehen, können in Abschiebehaft landen.

Wer abgeschoben wird, muss laut Gesetz selbst die Kosten dafür tragen. Das gilt auch für die Unterbringung in Abschiebehaft. So zumindest die Theorie. In der Praxis dürfte es oft ins Leere laufen, wenn der Staat solche Rechnungen ins Ausland verschickt. Gewollt ist aber vermutlich eher der Abschreckungseffekt: Denn eine spätere Wiedereinreise nach Deutschland erlaubt der Staat meist nur dann, wenn die Rechnung beglichen ist.

Oft kommt es aber gar nicht erst zu einer Abschiebung: etwa weil jemand krank und damit reiseunfähig ist, keine Papiere hat oder vorher untertaucht. Und es gibt die politische Dimension: Manche linke Landesregierung hält Abschiebungen für unverhältnismäßig und geht mit diesem Instrument grundsätzlich zurückhaltend um. Für Abschiebungen sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. Und diese gehen sehr unterschiedlich mit den Abschiebungen um.

Baden-Württemberg, NRW und Bayern konsequent, Thüringen und Bremen nachlässig

2013 und 2014 schob Deutschland nach Angaben des Bundesinnenministeriums 10.198 beziehungsweise 10.884 Menschen ab. 2015 waren es bislang 8178. Besonders konsequent schieben dabei die großen Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen ab, wo auch die meisten Flüchtlinge untergebracht werden. Baden-Württemberg schickte im laufenden Jahr 1079 Flüchtlinge zurück. Umgerechnet auf die Quote der Asyl-Erstanträge im gleichen Zeitraum sind das 7,1 Prozent. Baden-Württemberg liegt damit an der Spitze der Bundesländer. Nach absoluten Zahlen schob Nordrhein-Westfalen am meisten ab, das von SPD und Grünen regiert wird. Es hat allerdings auch die größte Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen. 1995 Abschiebungen waren es im laufenden Jahr. Im Gesamtjahr 2014 waren es über 2929. NWR kommt auf eine Quote zwischen Erstantragsstellungen und Abschiebungen von 6,7. Der Freistaat Bayern schob in den ersten Monaten dieses Jahres mit 1646 Flüchtlingen schon mehr Menschen ab als im gesamten Vorjahr 2014. Bayern kommt damit auf eine Quote von 6,4 Prozent im Verhältnis zu den Asyl-Erstanträgen im gleichen Zeitraum.

Allerdings gibt es auch Länder, die sehr wenig Flüchtlinge abschieben. Das von einer rot-roten Regierung unter dem Linken-Ministerpräsidenten Ramelow regierte Thüringen schickte heuer erst 59 Menschen in ihre Heimat zurück, das sind 1,0 Prozent der Erstanträge. Ein Jahr zuvor waren es in Thüringen noch 234 im Gesamtjahr. Bremen ist mit 17 Abschiebungen in diesem und 17 Abschiebungen im vergangenen Jahr das Schlusslicht der Statistik, das sind gerade einmal 0,8 Prozent der Erstanträge.

Aufgeschlüsselt nach Herkunfts-Nationen liegt das Kosovo mit 2504 an der Spitze der Abschiebestatistik, gefolgt von Serbien mit 1511, Mazedonien mit 708, Albanien mit 382, Bosnien-Herzegowina mit 359 und Russland mit 263.

Nur die Spitze des Eisbergs

Das alles ist aber immer noch viel zu wenig, wenn man auf die nackten Zahlen schaut. Es gab 2013 rund 127.000 und 2014 insgesamt rund 202.000 Asylanträge. Als asyl- oder schutzberechtigt wurden davon insgesamt aber nur 24,9 Prozent im Jahr 2013 und 31,4 Prozent im Jahr 2014 eingestuft. Theoretisch müssten also von diesen 329.000 Menschen der beiden letzten Jahre etwa 234.000 Asylbewerber wieder abgeschoben werden. Und dabei ist das aktuelle Rekordjahr 2015 noch gar nicht eingerechnet. Ein Grund für diese fehlenden Abschiebungen war und ist natürlich die Überlastung beim Bundesamt für Migration (BAMF). Ende Dezember 2014 lag die Zahl der noch nicht entschiedenen Anträge bei 169.166, Ende 2013 waren es noch 95.743 Anträge. Im Jahr 2013 traf das BAMF nur 80.978 Entscheidungen und 2014 nur 128.911. Abgelehnt wurden 2013 nur die Anträge von 31.145 Personen (38,5 Prozent), 2014 nur die Anträge von 43.018 Personen (33,4 Prozent). Anderweitig erledigt (zum Beispiel durch Dublin-Verfahren oder Verfahrenseinstellungen wegen Rücknahme des Asylantrages) wurden 2013 die Anträge von 29.705 Personen, 2014 die Anträge von 45.330 Personen (35,2 Prozent).

Rechnet man nun nur die abgelehnten Anträge dieser beiden Jahre zusammen, müssten 74.163 Menschen das Land wieder verlassen haben. Real aber wurden 2013 und 2014 nur 21.082 Personen abgeschoben. Das bedeutet, allein in diesen beiden Jahren blieben mindestens 53.000 Personen bei uns, deren Asylantrag in einem rechtsstaatlichen Verfahren ordnungsgemäß abgelehnt wurde. Nicht eingerechnet sind dabei, wie beschrieben, die Zahl der nicht Asylberechtigten, über deren Antrag noch nicht entschieden wurde. Eine hohe Dunkelziffer dürfte man zudem noch von den illegal Eingereisten erwarten, die gar keinen Asylantrag gestellt haben.

Es ist also nur die Spitze des Eisbergs zu sehen: In Deutschland hielten sich Anfang 2015 mehr als 600.000 Ausländer auf, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder deren Flüchtlingsschutz abgelaufen ist. Das ging aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage des Bundestagsvizepräsidenten Johannes Singhammer (CSU) hervor.

Wirtschaftsmigranten vom Balkan haben keine Chance auf Anerkennung

Bayern hat erneut im Rahmen einer länderübergreifenden Sammelabschiebung abgelehnte Asylbewerber in den Kosovo zurückgeschickt. Beteiligt daran waren auch Thüringen und Sachsen, sowie Österreich und Ungarn. Insgesamt wurden 95 Kosovaren in ihre Heimat zurückgebracht, aus Bayern 26. Der Freistaat Bayern führte damit in diesem Jahr bereits 17 Sammelabschiebungen in die Westbalkan-Staaten durch. Dabei wurden insgesamt 1368 Personen abgeschoben. „Bayern nutzt jede Gelegenheit, rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber schnell in ihre Heimatländer zurückzubringen“, bekräftigt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). „Damit setzen wir in den Herkunftsländern ein klares Signal, dass sich der massenhafte Asylmissbrauch nicht lohnt.“

Eine weitere Beschleunigung der Abschiebungen erhofft sich Herrmann durch die speziellen Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen für Asylbewerber vom Balkan in Manching und Bamberg, sobald diese in Kürze ihren Betrieb aufnehmen. Herrmann: „Damit schaffen wir die dringend notwendigen Kapazitäten für Menschen, die politisch verfolgt werden oder dem Bürgerkrieg entfliehen. Diese leiden derzeit unter der Flut unberechtigter Anträge. Fakt ist: Gerade Personen aus den Westbalkan-Staaten kommen rein aus wirtschaftlichen Gründen und haben in Deutschland keine Chance, als Asylbewerber anerkannt zu werden.“ Die Ablehnungsquote liege nahezu bei 100 Prozent.

Bayern setzt klare Signale gegen den Asylmissbrauch

Für Herrmann ist die schnelle Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nicht die alleinige Lösung des Flüchtlingsproblems. „Wir müssen die Anreize für diejenigen reduzieren, die aus rein wirtschaftlichen Gründen bei uns um Asyl ersuchen.“ Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gebe es heute schon die Möglichkeit, das Taschengeld für Asylsuchende zu kürzen. Besonders vordringlich sei auch, das geltende europäische Asylrecht konsequenter umzusetzen.

Es muss gelingen, in der gesamten Staatengemeinschaft das geltende europäische Asylrecht durchzusetzen.

Joachim Herrmann

„Gerade Italien und Griechenland verstoßen dagegen täglich tausendfach, weil sie Asylsuchende nicht einmal registrieren und oftmals einfach in europäische Nachbarländer weiterschicken“, klagt Herrmann. Das spiele vor allem den reinen Wirtschaftsflüchtlingen in die Hände, die sich dadurch die Länder mit den besten Sozialleistungen aussuchen können. Gerade der ungebremste massive Zustrom an reinen Wirtschaftsflüchtlingen stelle die deutschen Behörden vor kaum mehr leistbare Herausforderungen. „Es muss gelingen, in der gesamten Staatengemeinschaft das geltende europäische Asylrecht durchzusetzen.“

Ebenfalls ist es laut Herrmann notwendig, die Staaten mit einer Schengen-Außengrenze nicht mit der Flüchtlingsproblematik im Stich zu lassen. „Die EU muss deshalb massive Unterstützung für Aufnahmezentren in Italien und Griechenland leisten.“ Von dort können die nicht politisch Verfolgten schnell in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Außerdem forderte der bayerische Innenminister, die anerkannten Flüchtlinge nach einer festen, verpflichtenden Quote auf die EU-Mitgliedstaaten gerecht zu verteilen. Zudem soll die Entwicklungshilfe für die Balkanstaaten und Afrika deutlich verstärkt werden, um den Menschen in ihren Heimatländern eine bessere Perspektive zu geben.

Merkel und Gauck zeigen Solidarität

Unterdessen haben Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck Gewalt gegen Flüchtlinge als beschämend verurteilt und Solidarität mit den Hilfebedürftigen eingefordert. „Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen“, sagte Merkel nach einem Besuch in der Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau, wo Rechtsextreme in den vergangenen Tagen Asylbewerber bedroht und Polizisten angegriffen hatten. Rechtsradikale Demonstranten begleiteten ihren Auftritt mit Buhrufen und lauten Pfiffen. Gauck bezeichnete in Berlin Ausländerfeinde als Hetzer, die das weltoffene Bild Deutschlands beschädigten.

Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die nicht bereit sind, zu helfen, wo rechtlich und menschlich Hilfe geboten ist.

Angela Merkel

In der Unterkunft in einem ehemaligen Baumarkt in Heidenau sprach Merkel mit Flüchtlingen, Helfern und Sicherheitskräften. Für die Kanzlerin war es laut Bundespresseamt überhaupt der erste Besuch in einem Flüchtlingsheim in Deutschland seit ihrem Amtsantritt 2005. „Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die nicht bereit sind, zu helfen, wo rechtlich und menschlich Hilfe geboten ist“, sagte die Regierungschefin nach den Gesprächen. Gemeinsam werde man „alle Anstrengungen unternehmen, deutlich zu machen: Deutschland hilft, wo Hilfe geboten ist.“ Die menschliche und würdige Behandlung von Schutzsuchenden sei Teil des deutschen Selbstverständnisses.

Die rasant wachsende Flüchtlingszahl bezeichnete Merkel als riesige Herausforderung. „Das wird noch viel Kraft verlangen.“ Bund, Länder und Kommunen müssten eng zusammenarbeiten. Es sei geplant, noch im September einige Änderungen auf den Weg zu bringen. Man könne nicht so arbeiten, „als wenn wir in einem ganz normalen Zustand wären“, sondern müsse gemeinsam „neue Wege gehen“.

dpa/wog/avd