Schuldenwüste: Viele deutsche Kommunen stehen finanziell auf sandigem Boden. (Bild: Fotolia/olly)
Kommunale Schulden

Musterland Bayern

Die Finanzen vieler Städte, Gemeinden und Kreise in Deutschland erholen sich seit 2012. Unter dem Strich verzeichneten die Kommunen nach einer am Freitag vorgestellten Studie der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2014 ein Plus von 240 Millionen Euro. Doch der Flüchtlingsansturm gefährdet die kommunalen Finanzen. Kaum verwunderlich: Nordrhein-Westfalens Städten geht es besonders schlecht.

Die Konjunktur ist im Aufwind, Zinsen sind niedrig. Dennoch kommen viele Städte und Gemeinden in Deutschland nicht aus der Schuldenspirale heraus. Zwar erwirtschafteten die Kommunen In den letzten drei Jahren sogar einen Überschuss von 4,6 Milliarden Euro. Rund ein Viertel der kommunalen Haushalte profitiert dem Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann Stiftung zufolge aber nicht davon, bei ihnen verschärft sich die Notlage sogar noch. Datenbasis für den Finanzreport sind amtliche Statistiken aller 398 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland. Der Report entsteht in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Er basiert auf den jeweils aktuellsten amtlichen Finanzstatistiken (Kassenstatistiken 2013 und 2014, Schuldenstatistik, Realsteuerstatistik, Statistik der Grundsicherung für Arbeitsuchende). „Die oft beschriebenen zunehmenden Unterschiede lassen sich nun erstmals belegen“, sagt René Geißler, Finanzexperte der Bertelsmann-Stiftung. Er meint: Die Unterschiede bei Steuerkraft, Verschuldung sowie den Sozialausgaben. Ein erstes Beispiel: Die geringsten Sozialausgaben entstanden in Bayern mit 78 Euro je Einwohner, am höchsten waren sie in Mecklenburg-Vorpommern mit 244 Euro.

Bedenkliche Kassenkredite

Es gibt eine bedenkliche Entwicklung: Die kurzfristigen Kassenkredite, um anstehende Ausgaben zu finanzieren – vergleichbar mit den Dispokrediten von Privatkonten – stiegen demnach seit 2012 von 47,4 auf 49 Milliarden Euro. Hier sehen viele Experten die eigentliche Gefahr für die Kommunen, weil diesen Krediten keinerlei Werte oder Investitionen gegenüberstehen. Sie sind eine der letzten Möglichkeiten für notleidende Kommunen, kurzfristig ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern – etwa weil Personalausgaben monatlich zu tätigen sind, die Steuereinnahmen aber erst zum Ende des Jahres verbucht werden können. Zur Zeit aber werden Kassenkredite oft als Dauerlösung zur Finanzierung vieler Verwaltungsaufgaben genutzt.

Die Schuldenhochburgen in Deutschland liegen vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Als Hauptgrund für den Anstieg sehen die Experten hohe Wohnkosten für Hartz-IV-Bezieher und geringere Steuereinnahmen. Verschwiegen wird dabei jedoch eine andere Ursache: eine kommunenfeindliche Landespolitik. Denn die Hälfte aller Kassenkredite in Deutschland verteilt sich auf nur 25 Städte und nur ein Viertel der Kommunen ist überhaupt auf sogenannte Kassenkredite angewiesen. Seit 2008 gelang es keiner dieser Städte aus eigener Kraft, das Minus bei den kurzfristigen und damit sehr teuren Krediten abzubauen.

Die Stadt Essen muss mit 2,2 Milliarden Euro viermal mehr Kassenkredite bedienen als alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen zusammen.

Die Schuldenhochburgen in Deutschland liegen vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz (beide Länder sind rot-grün regiert, was auch sonst). Den bundesweiten Höchststand unter den Städten wies die Stadt Oberhausen mit über 7.200 Euro je Einwohner auf (Jahr 2013, aktuellste Zahlen für einzelne Städte). Dahinter folgen Pirmasens, Kaiserslautern, Hagen, Remscheid, Zweibrücken, Offenbach am Main, Mülheim an der Ruhr, Ludwigshafen und Wuppertal  auf der Liste mit den höchsten Kassenkrediten pro Einwohner. Einzige Stadt unter den Top Ten, die nicht in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz liegt, ist das hessische Offenbach, das jedoch von einer Koalition aus SPD, Grünen und Freien Wählern und seit 1986 von SPD-Oberbürgermeistern regiert wird. Ergebnis: In Offenbach waren die Sozialausgaben pro Kopf 24 Mal so hoch wie im bayerischen Eichstätt. Ein weiteres Beispiel: Die Stadt Essen muss mit 2,2 Milliarden Euro viermal mehr Kassenkredite bedienen als alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen zusammen.

Auch die Wirtschaftskrise hat in Bayern nicht zu einer dauerhaften Erhöhung der Kassenkredite geführt.

Laut der Studie gilt: Kassenkredite nehmen bayerische Kommunen nur äußerst selten in Anspruch. Die Pro-Kopf-Belastung durch Kassenkredite liegt in Bayern bei nur 25 Euro. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen belaufen sich die Kassenkredite auf rund 1.500 Euro je Einwohner, im Saarland gar auf über 2.000 Euro. Auch die Wirtschaftskrise hat in Bayern nicht zu einer dauerhaften Erhöhung der Kassenkredite geführt. Seit 2008 kam es nur in drei Kommunen (Augsburg, Kreis Wunsiedel und Weiden in der Oberpfalz) zu einem nennenswerten Zuwachs. Der Stadt Fürth gelang es gar, während der vergangenen fünf Jahre ihre Kassenkredite vollständig abzubauen.

Musterland Bayern – auch bei den Kommunen

Zum dritten Mal in Folge erwirtschafteten die bayerischen Gemeinden, Städte, Kreise und Bezirke einen Überschuss. Mit dem Plus von 1,6 Milliarden Euro aus dem vergangenen Jahr stieg der Haushaltsüberschuss für die Jahre 2012 bis 2014 auf über 4,3 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr betrug der Überschuss pro Einwohner 127 Euro. In keinem anderen Bundesland nahmen die Kommunalhaushalte eine vergleichbar positive Entwicklung. Der Gesamtüberschuss der bayerischen Kommunen ist so hoch, dass er rechnerisch ganz allein den bundesweite Saldo ins Plus zieht: Ohne Bayern läge der bundesweite Finanzierungssaldo 2014 statt bei plus 240 Millionen Euro bei minus 1,36 Milliarden Euro.

Im bundesweiten Vergleich ist die Entwicklung unterschiedlich. Während in sieben Ländern die Kommunen vergangenes Jahr ein Plus in ihren Etats verzeichneten, schlossen sie in den anderen sechs Flächenländern mit einem Minus ab. Das größte Defizit hat das kleine Saarland mit 319 Euro pro Einwohner.

Vom guten Haushalt profitieren die Investitionen

In Folge der guten Haushaltslage haben Kommunen in keinem anderen Bundesland so viele Spielräume für Investitionen wie in Bayern. 2013 und 2014 zusammen genommen waren sie pro Einwohner fast drei Mal höher als in NRW oder im Saarland. „Investitionen sind die Voraussetzung für das Wirtschaftswachstum der Zukunft. Dieses Fundament ist in Bayern gelegt“, lobte Geißler, der Finanzexperte der Bertelsmann Stiftung. Was er dabei vergisst: Der Kommunale Finanzausgleich in Bayern entlastet die Kommunen so stark wie in keinem anderen Bundesland – dank der CSU-geführten Staatsregierung. Eigentlich unglaublich: Nur in Bayern sind die Investitionen höher als die Sozialausgaben.

Bayerische Kommunen stecken nicht wie so viele Städte andernorts in einem Teufelskreis aus hohen Sozialausgaben und geringen Steuereinnahmen.

René Geißler, Finanzexperte der Bertelsmann Stiftung

In anderen Bundesländern besteht hier laut dem Experten ein Teufelskreislauf. Der aktuelle Finanzreport der Bertelsmann Stiftung beobachtet nämlich generell ein bundesweites Auseinanderdriften starker und schwacher Regionen. „Bayerische Kommunen stecken nicht wie so viele Städte andernorts in einem Teufelskreis aus hohen Sozialausgaben und geringen Steuereinnahmen. Zwar gibt es auch in Bayern schwächere Regionen, die aber innerhalb des Landes aufgefangen werden“, sagte Geißler. Viele Kommunen können sich aus diesen ungünstigen Rahmenbedingungen nicht befreien. „Bestehende Haushaltskrisen verschärfen sich – trotz insgesamt guter Konjunktur und finanzpolitisch positiver Trends“, so Geißler. Als Folge werde wiederum weniger investiert.  „Für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist diese Entwicklung bedrohlich. Die Unterschiede zwischen den Regionen werden fortgeschrieben“, warnte auch Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Stiftung. Sie forderte eine spürbare Entlastung durch die Übernahme der Hartz-IV-Wohnkosten durch den Bund und eine Änderung beim Länderfinanzausgleich. Mit Abstand am meisten geben die Kommunen im Bereich der Ausgaben für Senioren, Kinder und Jugend aus, erst dann folgt die Bildung.

Kommunen im Freistaat auch bei der Steuerkraft vorn

Erstmals analysierte die Bertelsmann Stiftung die zeitliche und regionale Entwicklung von Steuerkraft und Hartz-IV-Wohnkosten. Letztere sind direkt abhängig vom Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit und gelten als klassische kommunale Sozialleistung. Dazu wurden die 398 Kreise und kreisfreien Städte je nach Höhe ihrer Hartz-IV-Ausgaben beziehungsweise Steuereinnahmen für 2008 und 2013 in vier Gruppen eingeteilt.

Sieben der bundesweit zehn wirtschaftsstärksten Kommunen liegen in Bayern.

Demnach finden sich derzeit nur drei der 96 bayerischen Kreise und kreisfreien Städte (Kreise Bad Kissingen und Neustadt an der Waldnaab, Stadt Bayreuth) im Viertel der Kommunen mit der bundesweit geringsten Steuerkraft wieder. 31 hingegen landen im Viertel mit der höchsten Steuerkraft. Ein ähnliches Bild hatte sich bereits 2008 ergeben. Die Wirtschaftskrise hat im Freistaat zu keinen bleibenden Schäden geführt. Im Gegenteil, sieben der bundesweit zehn wirtschaftsstärksten Kommunen liegen in Bayern. Das Wachstum war in den vergangenen fünf Jahren stets höher als in den anderen westdeutschen Ländern. „Das ist gut für Bayern, stellt aber den bundesweiten Zusammenhalt durchaus auf die Probe“, sagte Geißler. Denn infolge der überproportional wachsenden bayerischen Steuerkraft steigen auch die Zahlungen im Länderfinanzausgleich. Die Hartz-IV-Wohnkosten sind in Bayern seit jeher gering. Nur Nürnberg und Schweinfurt finden sich im Viertel der Kommunen mit den bundesweit höchsten Ausgaben. 68 der 92 untersuchten bayerischen Kommunen gehören zu dem Viertel mit den bundesweit geringsten Ausgaben.

Teure Verwaltung

Auch die Personalausgaben der Kommunen wachsen – und zwar enorm. Sie nahmen 2014 zwischen acht und 35 Prozent zu, wohl auch wegen dem Ansturm der Flüchtlinge. Während sich Mecklenburg-Vorpommern mit höheren Ausgaben zurückhielt, stiegen in Niedersachsen die Kosten um 35 Prozent an. Bayern erhöhte seine Personalausgaben im Vergleich zu 2013 um 26 Prozent. Viele Kommunen mussten auch in Bayern zusätzliches Personal einstellen, um das Asylbewerberproblem zu bewältigen, dazu kam der seit 1. August 2013 geltende Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Speziell im Freistaat wurden aber eben auch wichtige Bereiche wie Lehrer und Polizisten personell deutlich verstärkt. Insgesamt waren die Personalkosten in Brandenburg am höchsten (796 Euro pro Einwohner), vor Baden-Württemberg (764) und Sachsen-Anhalt (717). Am wenigsten gab Schleswig-Holstein aus (601), Bayern liegt mit 671 Euro pro Kopf im unteren Mittelfeld.