Ein Traktor versprüht Unkrautvernichtungsmittel in einer Obstplantage. Bild: Fotolia/sima
Glyphosat

Wahrscheinlich krebserregend

Das weit verbreitete Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat ist nach Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) wahrscheinlich krebserregend. Zu diesem Schluss kam die Behörde der Weltgesundheitsagentur (WHO) nach Auswertung zahlreicher Studien. Damit widerspricht der offizielle Bericht der Einschätzung des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).

Die WHO-Krebsforschungsagentur in Lyon gelangte nun zu einer anderen Einschätzung. Dies hatte sie bereits im März angekündigt, im nun veröffentlichten Bericht lieferten die Wissenschaftler die Begründung nach. Sie sehen in Studien bei Menschen eingeschränkte Belege dafür, dass Glyphosat Krebs erzeugen könne. Bei Tierversuchen gebe es ausreichende Belege für einen solchen Effekt. Insgesamt stuften sie Glyphosat in die zweithöchste Risikokategorie ein: „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“. Verschiedene Länder haben den Wirkstoff bereits verboten, darunter Mexiko, Niederlande und Russland. Die Chemikalie wird aber nicht nur mit Krebs, sondern auch mit anderen Krankheiten wie Allergien, Unfruchtbarkeit, Missbildungen bei Neugeborenen, Schäden des Nervensystems und Nierenerkrankungen in Zusammenhang gebracht. Auch auf Tiere wird ein ähnlicher Einfluss vermutet.

Die Chemikalie ist einer der weltweit am meisten eingesetzten Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln.

Die EU-Kommission hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nach Angaben eines Sprechers bereits aufgefordert, die Ergebnisse bei der laufenden Überprüfung der Zulassung für Glyphosat zu berücksichtigen. Die Genehmigung für den Wirkstoff in der Europäischen Union läuft Ende des Jahres aus und wird für eine Verlängerung neu geprüft. Das deutsche BfR hat die Federführung beim EU-Wiederzulassungsverfahren für Glyphosat, weil von der EFSA immer eine nationale Behörde als Berichterstatterin ernannt wird. Die Chemikalie ist einer der weltweit am meisten eingesetzten Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln. In Deutschland sind grundsätzlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die federführenden Instanzen. Das BfR wies in einer ersten Stellungnahme auf die schon im März bekannt gewordenen IARC-Ergebnisse (aber noch ohne die Begründung) darauf hin, dass auch ein WHO-Gremium, nämlich der Gemeinsame Pestizidausschuss, zu einer anderen Einschätzung gelangt sei als die Krebsforschungsagentur IARC und dass eine WHO-Task Force zurzeit nach den Gründen dafür suche. Inhaltlich will das Institut jetzt noch einmal, aber erst nach Prüfung des vollständigen IARC-Berichts Stellung nehmen.

Die umstrittene Auswertung des BfR

Das BfR war in einer eigenen Bewertung im April zusammen mit dem BVL, dem Umweltbundesamt und dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen zu dem Schluss gekommen, bei richtiger Anwendung sei kein Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten, ebenso wenig andere Gesundheitsschädigungen. Basierend auf 343 untersuchten Studien wurde sogar empfohlen, den Grenzwert einer Tageshöchstmenge von 0,3 mg auf 0,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag zu erhöhen. In Europa sind allerdings 70 verschiedene Glyphosat-Rezepturen mit verschiedenen Mischungen zugelassen. Selbst das BfR musste zugeben, dass die Giftigkeit bestimmter glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel aufgrund der darin enthaltenen Zusatzstoffe höher sein kann als die des Wirkstoffes allein. Die deutsche Auswertung wurde aber stark kritisiert, weil es sogar Leserbriefe in Fachzeitschriften von wissenschaftlichen Mitarbeitern des amerikanischen Monsanto-Konzerns als Studien wertete. Monsanto ist Marktführer und war Patentinhaber von 1970 bis vor einigen Jahren. Zwar können solche Briefe durchaus Beiträge zur wissenschaftlichen Debatte enthalten, eine Einstufung als Studie ist aber nicht korrekt. An der BfR-Auswertung aller Studien wurde zudem kritisiert, dass 90 Prozent aller Studien dazu von Monsanto finanziert worden seien. Zugleich habe das Institut Studien, die Hinweise auf eine krebserregende Wirkung des Stoffs haben, nicht in die Auswertung aufgenommen. Umweltschützer bemängeln außerdem, dass ausgerechnet in dem BfR-Gremium, das sich mit der Bewertung von Pestiziden befasst, auch Vertreter der deutschen Chemiekonzerne BASF und Bayer befänden. Sie vermuten eine Beeinflussung der BfR-Ergebnisse. Viele Behördenmitarbeiter kämen zudem aus der Industrie oder wechselten dorthin – oder arbeiteten an von der Industrie finanzierten Forschungsprojekten mit, behaupten die Umweltschützer.

Der Großkonzern Monsanto

Monsanto ist einer der führenden Hersteller von Unkrautvernichtungsmitteln mit Glyphosat („Roundup“) und wird weltweit für seine umstrittenen aggressiven Vertriebsmethoden beispielsweise bei Saatgut sowie seine umfassende Lobbyarbeit kritisiert. „Die Aktivitäten von Monsanto rund um die Veröffentlichung der Analyse sind ungewöhnlich und voll von Fehlinformationen und Faktenfehlern“, beschrieb in der Zeitung Die Welt etwas umständlich Kurt Straif, IARC-Chefanalyst, die Einmischung des Konzerns auch bei den aktuellen Vorgängen. Nach Monsanto-Angaben ist Roundup das meistverkaufte Unkrautvernichtungsmittel der Welt.

Industrie hält an dem Mittel fest

Die Industrie erwartet jedoch keine Kehrtwende: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich dabei zeigen: Die Klassifizierung hat wenig bis keine praktische Relevanz für die Bewertung möglicher Risiken, die mit dem Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft verbunden sind“, teilte die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat mit. Sie bemängelte, Auftrag der IARC sei nicht die Risikobewertung, sondern allein die Identifikation möglicher Gefahren – unabhängig vom tatsächlichen Risiko bei bestimmten Anwendungen. Deshalb würden von der Agentur sogar Stoffe wie Alkohol in die höchste Kategorie eingestuft, die wir in geringen Mengen als Genussmittel zu uns nehmen.

In Deutschland landeten zuletzt etwa 6000 Tonnen Glyphosat auf den Feldern, meist sogar vor der Aussaat.

Das Mittel sei seit den 1970er Jahren im Einsatz, da hätten sich Folgekrankheiten mittlerweile deutlich zeigen müssen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn kein anderes Unkrautvernichtungsmittel ist so lange und so gut getestet wie Glyphosat. In den Augen vieler Chemiker und Toxikologen ist es auch weit harmloser als alle anderen Pestizide, es baue sich zügiger ab, schade der Fauna nicht und lasse sich aufgrund seiner Konsistenz zielgerecht ausbringen, ohne Streuverluste auf die Nachbarfelder. Würde man das Mittel verbieten, käme vermutlich eine andere weit weniger getestete Chemikalie zum Einsatz, deren Risiken viel weniger bekannt wären. Dennoch sind gesundheitliche Risiken natürlich nicht auszuschließen. In Deutschland landeten zuletzt etwa 6000 Tonnen Glyphosat auf den Feldern, meist sogar vor der Aussaat. Die Deutsche Bahn befreit zudem damit ihre Gleise von Unkraut. Glyphosat kommt nach Angaben des Bundesagrarministeriums seit 1974 vor allem bei der Unkrautbekämpfung zum Einsatz. Getreide und Raps werden demnach aber zum Teil auch noch vor der Ernte damit behandelt.

Umweltorganisationen fordern Verbot

Umweltorganisationen forderten dennoch, in Deutschland sofort Konsequenzen aus dem nunmehr vollständigen IARC-Bericht zu ziehen. „Alle Anwendungen, bei denen es sehr wahrscheinlich ist, dass Menschen mit Glyphosat in direkten Kontakt kommen, müssen umgehend ausgesetzt werden“, erklärte Greenpeace-Agrarexpertin Christiane Huxdorff. Deutsche Umweltschützer sagten nach dem WHO-Bericht, ein Wiederzulassungsverfahren für die EU sei derzeit nicht angebracht. „Es ist unverantwortlich, Glyphosat weiter als unbedenklich einzustufen“, meinte etwa der Pestizidexperte des BUND, Tomas Brückmann. Der Bundestag wird sich mit dem Thema am 28. September in seiner Anhörung befassen.

Nur die Dosis macht das Gift.

Paracelsus

Zuletzt wies eine nicht repräsentative Untersuchung der Grünen angeblich Rückstände des Unkrautvernichters in Muttermilch-Proben nach. Sie hatten aber nur die Muttermilch von 16 stillenden Frauen aus verschiedenen Bundesländern auf Belastungen testen lassen. Dabei wurden Glyphosat-Mengen zwischen 0,210 und 0,432 Nanogramm pro Milliliter Milch gemessen – für Trinkwasser sind laut den Grünen zufolge 0,1 Nanogramm zulässig. Ein Nanogramm ist ein milliardstel Gramm. Das BfR erklärte in einer vorläufigen Stellungnahme, das bedeute „nicht zwangsläufig, dass ein gesundheitliches Risiko besteht“. Die gemessenen Werte lägen um den Faktor von mehr als 4000 unter dem EU-Richtwert. Das hätte bedeutet: Die Babys hätten jeden Tag 3750 Liter Muttermilch trinken müssen, um an den bei ihnen geltenden, noch unbedenklichen Grenzwert heranzukommen. In den USA etwa ist dieser sechs Mal höher als in der EU, die Babys müssten danach also noch mehr Milch trinken. Gut, auch Grenzwerte können falsch sein, keine Frage. „Nur die Dosis macht das Gift“, sagte schon Paracelsus im 15. Jahrhundert. Diese Grenze festzustellen, auch bei Glyphosat, ist Aufgabe der Wissenschaft.

Das Beispiel Argentinien

In Argentinien wird auf rund zwanzig Millionen Hektar Gen-Soja angepflanzt. Dort werden jedes Jahr über 200 Millionen Liter Unkrautvernichtungsmittel versprüht, an erster Stelle Glyphosat, vor allem beim großflächigen Soja- aber auch beim Tabak-Anbau. In diesen Gebieten leben rund vierzehn Millionen Menschen teilweise direkt an den Feldern. Ärzte und Wissenschaftler vor Ort sehen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Glyphosat und einer Vielzahl von Erkrankungen. In bestimmten Anbauregionen wurde 2010 bei Untersuchungen eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Krebserkrankungen bei Kindern festgestellt. Seit einigen Jahren gibt es auch Klagen von Bewohnern und Ärzten über eine gestiegene Zahl von anderen Krebserkrankungen, Missbildungen bei Neugeborenen und Fehlgeburten. Bisher hat die argentinische Regierung aber keine Konsequenzen gezogen.

Ein Restrisiko bleibt.

Die Hersteller geben den Anwendern die Schuld, die die Mittel nicht ordnungsgemäß angewandt hätten. Sieht man TV-Berichte über die Zustände dort, ist es wirklich fraglich, ob möglicherweise die Art der Anwendung und die eingesetzte Menge nicht korrekt waren. Fraglich ist allerdings auch, ob die Hersteller des Mittels alles in ihrer Macht Stehende tun, um Risiken zu vermeiden. Auch hier kann also nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, dass Glyphosat die alleinige Ursache dieser Erkrankungen ist. Die Frage, die sich alle stellen müssen, ist daher, ob man bereit ist, das nicht auszuschließende Restrisiko weiter einzugehen – insbesondere angesichts der fehlenden chemischen Alternativen. Und die Unkrautentfernung per Hand oder Maschine würde viel Zeit und Geld kosten und damit die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben. Hier hätte es also der Verbraucher in der Hand.

CSU will EU-Verfahren abwarten

Ende Mai lehnte die CSU-Mehrheit im Landtag vorläufig ein Verbot von Glyphosat ab. Die Opposition war besorgt, weil sich Rückstände oder Abbauprodukte des Mittels mittlerweile in vielen bayerischen Bächen finden. Nach den Daten der Staatsregierung sei das Mittel in 60 Prozent der kleinen Fließgewässer nachgewiesen, wenn auch der Glyphosatgehalt als unbedenklich eingestuft wurde. Zur Grundwasserbelastung stellte Martin Maier aus dem bayerischen Umweltministerium klar:

In 99 Prozent aller Messstellen war Glyphosat nicht nachweisbar.

Die CSU beantragte darum, erst die Neubewertung der Chemikalie abzuwarten. Sie forderte die Staatsregierung außerdem auf, bis zum Abschluss des Neubewertungsverfahrens auf EU-Ebene die Auswirkungen des Einsatzes glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel auf das Grundwasser und die Oberflächengewässer weiterhin intensiv zu untersuchen. Nach Vorliegen der Ergebnisse des Neubewertungsverfahrens soll dem Landtag über Maßnahmen berichtet werden, die aus Sicht der Staatsregierung nötig sind und in eigener Kompetenz umsetzbar wären. Die Gründe für die Ablehnung: Es gebe zum einen noch keinen wissenschaftlichen Konsens und andere Mittel seien noch giftiger. Ohne das Herbizid bleibe den Landwirten daher nur massive Maschinen- oder Handarbeit, um das Unkraut zu beseitigen. Damit sei aber – ohne Vorliegen einer endgültigen wissenschaftlichen Bewertung – die Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Bauern gefährdet. Ein Verbot müsste also zumindest EU-weit gelten. Empfohlen wurde allerdings, das glyphosathaltige Spritzmittel „Round up“ außerhalb der Landwirtschaft, also etwa in Privatgärten, nicht mehr anzuwenden.