Silke Launert

Die Fehlleistungen des Klassenprimus

Bundesjustizminister Maas (SPD) ist der absolute Streber im Kabinett – nur leider liegt er meistens falsch. Gesetzesentwurf reiht sich an Gesetzesentwurf, aber die wirklich wichtigen Aufgaben bleiben liegen.

Fleißig, fleißiger, Maas. Wäre das Bundeskabinett eine Schulklasse, so wäre Justizminister Maas (SPD) sicherlich der Klassenprimus. Kein anderer Bundesminister und auch keine andere Bundesministerin der laufenden Wahlperiode hat eine ähnlich hohe Frequenz wie Maas, wenn es darum geht, Gesetze zu produzieren.

Selbst die emsige Manuela Schwesig kann da kaum Schritt halten. Allein in den letzten Monaten flogen uns die Gesetze aus seinem Ministerium regelrecht um die Ohren. Ob Mietpreisbremse, Kleinanlegerschutz, Doping oder Frauenquote, es scheint, als ob Maas kein Thema auslässt und sich für nichts zu schade ist.

Mord und Totschlag

Selbst vor dem Tatbestand des Mordes macht er nicht halt. Geht es nach ihm, soll er noch vor der nächsten Bundestagswahl geändert werden. Seit nunmehr fast einem Jahr brütet daher bereits eine eigens dafür eingesetzte Kommission über der Frage, wie Mörder künftig bestraft werden sollen. Maas begründet sein Vorhaben mit der notwendig zu reformierenden Differenzierung zwischen Mord und Totschlag. Die Abgrenzung, die nach aktuellem Recht danach vorgenommen wird, ob der Täter ein sogenanntes subjektives Mordmerkmal erfüllt, also beispielsweise heimtückisch handelt oder aus niedrigen Beweggründen, sei problematisch. Sie stelle die Gesinnung und das Motiv des Täters in den Mittelpunkt statt die Tat selbst. Obendrein seien diese Begrifflichkeiten zu undifferenziert und – aus dem Jahr 1941 stammend – auch noch nationalsozialistischen Ursprungs.

Faktisch würde die Umsetzung dieses Vorschlags die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Folge haben.

Dass die Gerichte nach über 70 Jahren Anwendung Wege gefunden haben, mit diesem Tatbestand umzugehen, dass die Mordmerkmale mehrfach der Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts standgehalten haben und dass durch die Rechtsprechung längst Rechtsicherheit eingetreten ist, scheint Maas zu ignorieren. Stattdessen will er mit einer Reform, die noch nicht einmal im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, das ganze Mord-und-Totschlag-Gerüst neu aufstellen und damit zwangsläufig Rechtsunsicherheiten provozieren.

Und nicht nur das. Während ein Mörder derzeit mit einer lebenslangen Strafe zu rechnen hat, wird ein Totschläger mit nicht unter fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. Ein vom deutschen Anwaltsverein eingebrachter Vorschlag sieht einen einheitlichen Tötungstatbestand vor mit einem Strafrahmen von fünf Jahren bis lebenslänglich. Faktisch würde die Umsetzung dieses Vorschlags die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Folge haben, da wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen ein Richter die Höchststrafe verhängen würde. Es stellt sich die Frage, ob Maas da etwa Aufgaben erfüllen will, die ihm weder aufgetragen worden sind noch jemand für erforderlich hält.

Pegida

Ähnlich hat es sich verhalten mit den Pegida-Protesten. Wo sich andere zurückgehalten haben, um dieser Bewegung nicht zu viel Gewicht beizumessen, hat er sich regelrecht in Rage geredet. Mit seinen Bewertungen der Bewegung als „Schande für Deutschland“ und mit seiner entsprechenden Äußerung die „AfD ist nicht viel besser als Pegida – oder die NPD“ ist er schließlich eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Es scheint, als ob er seinen Aktionismus grundsätzlich instinktiv an den falschen Stellen auslebt. Dabei bietet der Koalitionsvertrag ausreichend Baustellen, in die er seine überschüssige Energie einfließen lassen könnte.

Vorratsdatenspeicherung

In die Vorratsdatenspeicherung beispielsweise. Vehement verweigert er seit seinem Amtsantritt eine Annäherung an das Problem des Sammelns und Speicherns von Telefon- und Internetdaten. Und nachdem vor knapp einem Jahr der EuGH die entsprechende EU-Richtlinie gekippt hat, beruft sich der Justizminister darauf, man warte auf einen neuen Vorschlag aus Europa. Kürzlich hat die EU-Kommission nun verkündet, dass eine neue Richtlinie vorerst nicht geplant sei.

Die Vogel-Strauß-Methode hilft dem Bundesminister also spätestens jetzt nicht mehr weiter.

Die Vogel-Strauß-Methode hilft dem Bundesminister also spätestens jetzt nicht mehr weiter. Sicher ist es ungleich schwerer, ein nationales Gesetz zu schaffen, das unseren Grundrechten genügt, statt „nur“ eine europäische Vorgabe umzusetzen. Erst recht, nachdem 2010 schon einmal ein deutscher Entwurf am Bundesverfassungsgericht gescheitert ist. Doch wie notwendig die Vorratsdatenspeicherung ist, wird immer klarer.

Erst kürzlich hat Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, vor den CDU/CSU-Mitgliedern des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag erklärt, welch wichtiges Mittel die Vorratsdatenspeicherung ist im Kampf gegen den Terrorismus. Nur mittels der Vorratsdatenspeicherung können effektiv kriminelle Netzwerke ausgemacht und aufgedeckt werden. Und das gilt im Kampf gegen den Terrorismus ebenso wie im Kampf gegen Kinderpornographie und sonstige organisierte Kriminalität.

Kinderpornographie

À propos Kinderpornographie. Auch bei den im November verabschiedeten Änderungen zum Sexualstrafrecht hätte ich mir mehr Einsatz oder jedenfalls mehr Einsicht von Seiten des Bundesministers gewünscht: Die Strafandrohung für den Besitz kinderpornographischer Bildaufnahmen – und damit sind nicht nur einfache Nacktaufnahmen gemeint, sondern Hardcore-Pornographie – ist mit drei Jahren immer noch zu niedrig geblieben. Fünf Jahre wären angemessen gewesen, erst recht, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel schon ein Diebstahl mit fünf Jahren bestraft werden kann.

Herr Maas hat hier so einige Chancen verstreichen lassen.

Hätte man einen höheren Strafrahmen gewählt, würde es auch nicht mehr so schnell zu Einstellungen kommen wie zuletzt im Edathy-Fall. Außerdem stehen bei einer höheren Strafandrohung auch andere Ermittlungsmethoden zur Verfügung, die der Polizei die Aufklärungsarbeit wesentlich erleichtern. Sinnvoll wäre auch gewesen, eine Mindestfreiheitsstrafe von einigen Monaten zu beschließen. Diese hätte man dann in der Regel unter Therapie-Auflage zur Bewährung aussetzen können, um so präventiv vor weiteren Straftaten zu schützen. Herr Maas hat hier so einige Chancen verstreichen lassen.

Bis zuletzt habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass der untaugliche Versuch des Cyber-Groomings unter Strafe gestellt wird. Leider vergeblich. Als sogenanntes Cyber-Grooming wird bezeichnet, wenn eine Person im Internet den Kontakt einer anderen Person sucht mit dem Ziel der Anbahnung sexueller Kontakte. Nimmt ein Erwachsener zu diesem Zwecke Kontakt zu einem Kind oder einem Jugendlichen auf, ist das selbstverständlich strafbar. Versteckt sich hinter dem Minderjährigen jedoch ein Polizist, der sich in Chats oder Foren als Kind oder Jugendlicher ausgibt, um entsprechende Verhaltensweisen Erwachsener aufzuspüren, bleibt das Cyber-Grooming der Täter unbestraft. Für mich absolut unverständlich.

Was Maas versäumt

Neben den genannten großen Themen gibt es auch kleinere, bei denen sich der Justizminister bedenkenlos austoben könnte. So ist es an der Zeit, aus dem Stalking-Paragraphen endlich ein Eignungsdelikt zu machen, damit das Opfer nicht gezwungen sein muss, umzuziehen oder den Arbeitsplatz zu wechseln, um den Täter strafrechtlich verfolgen lassen zu können.

Hilfreich wäre auch, wenn sich der Minister in Brüssel klar gegen die Einführung der europäischen Einpersonengesellschaft SUP stellen würde. Diese Idee einer europäischen Gesellschaft, wie sie von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde, droht sonst, Türöffner zu werden für Steuerhinterziehung und Geldwäsche.

Daneben stehen die digitale Agenda im Strafrecht auf dem Plan und auch die Reform des Gutachterwesens im Gerichtsprozess. Bleibt also nur zu hoffen, dass Maas bald anfängt, die Aufgaben zu erledigen, die ihm wirklich obliegen. Dann wird´s auch was mit dem Klassenprimus.

Die Autorin

Dr. Silke Launert war Richterin am Landgericht Hof und ist seit 2013 Bundestagsabgeordnete der CSU.