Das Wohnhaus des Anfang Juni ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).(Foto: DPA/Swen Pförtner)
Angriffe

Kommunalpolitiker brauchen mehr Schutz

Besorgniserregend: Immer mehr Kommunalpolitiker werden Ziel von Drohungen, Beschimpfungen und sogar tätlichen Angriffen. Der Städte- und Gemeindebund fordert entschiedenes Durchgreifen. Die CSU will die Kommunalpolitiker besser unterstützen.

Walter Lübcke (CDU, Kassel), Henriette Reker (parteilos, Köln), Andreas Hollstein (CDU, Altena), Martin Horn (parteilos, Freiburg), Gerold Noerenberg (CSU, Neu-Ulm): Diese Kommunalpolitiker sind Ziel von Gewalttaten geworden – am erschütterndsten der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, der Anfang Juni von einem mittlerweile geständigen Rechtsextremisten ermordet wurde. Viele weitere Kommunalpolitiker werden zudem Ziel von Bedrohungen und Beschimpfungen, häufig auch in Sozialen Medien.

Wer sich für die Allgemeinheit mit einem politischen Mandat einsetzt, muss besser geschützt werden.

Uwe Brandl, Bürgermeister

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) schlägt jetzt Alarm: In scharfer Form fordert der kommunale Spitzenverband mehr Achtung und Respekt gegenüber den Kommunalpolitikern ein. Die zunehmenden Beleidigungen und Bedrohungen dieser Mandatsträger seien eine Gefahr für die lokale Demokratie und nicht hinnehmbar, sagten DStGB-Präsident Uwe Brandl (CSU) und Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im oberbayerischen Freising. Der Verband wünscht ein verschärftes Strafrecht.

Anfeindungen nehmen immer weiter zu

Man sei entsetzt, dass diese Anfeindungen immer weiter zunähmen, so Landsberg und Brandl. Die Spirale dieses Hasses beginne vielfach in den sozialen Netzwerken und müsse dringend durchbrochen werden, sagten Brandl und Landsberg nach zweitägigen Beratungen der DStGB-Hauptversammlung. Wer sich für die Allgemeinheit mit einem politischen Mandat einsetze, müsse besser geschützt werden. Es müsse auch überlegt werden, ob man dazu das Strafgesetzbuch ergänzen sollte.

Angst habe ich nicht, aber man ist natürlich betroffen.

Uwe Brandl, zur Ermordung Walter Lübckes

Brandl und Landsberg wiesen auf eine dazu aktuell veröffentlichte Umfrage des Magazins „Kommunal“. Danach sind laut Mitteilung des Magazins in jeder zwölften Stadt oder Gemeinde in Deutschland Mitarbeiter oder Amtsträger Opfer körperlicher Gewalt geworden. Im ARD-Morgenmagazin berichtete Brandl, der Bürgermeister der Gemeinde Abensberg im niederbayerischen Landkreis Kelheim ist, auch von einem persönlichen Fall vor mehreren Jahren: Demnach hatte ein anonymer Täter angekündigt, Brandls kleine Tochter kidnappen zu wollen.

Brandls Tochter wurde bedroht

„Es ist Gottseidank einige Zeit her, aber als meine Tochter klein war, gab es tatsächlich eine Drohung, sie zu entführen. Das war alles andere als lustig“, sagte Brandl in der ARD. Er habe damals die Polizei eingeschaltet. Letztendlich habe sich die Drohung dann als schlechter Scherz entpuppt, berichtete Brandl.

Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke fühle er sich als Kommunalpolitiker, der im Rampenlicht steht, zwar nicht unmittelbar bedroht. Ihn bedrücke jedoch die allgemeine Entwicklung im Umgang mit Politikern, beklagte der DStGB-Präsident.

Kommunalpolitiker und Ehrenamtliche, die sich durch die rechtsextreme Szene bedroht fühlen oder bedroht werden, brauchen einen besseren Schutz.

Volker Ullrich, MdB

„Angst habe ich nicht, aber man ist natürlich betroffen. Denn das ist eine Entwicklung, die unserer Demokratie insgesamt nicht gut tut“, so Brandl. Die zunehmenden verbalen und körperlichen Attacken auf Politiker sind nach Einschätzung Brandls auch schuld daran, dass sich immer weniger Menschen in der Kommunalpolitik engagieren wollen. In mehr als 100 Gemeinden in Bayern gebe es für die Kommunalwahlen im März 2020 noch keinen Kandidaten.

„Wir müssen dringend darüber nachdenken, wie wir miteinander umgehen und wie wir und in dieser Demokratie miteinander auseinandersetzen“, betonte der DStGB-Präsident. Polizei und Staatsanwaltschaft forderte Brandl auf, verbale Beleidigungen und körperliche Angriffe auf Politiker konsequent zu verfolgen und zur Anzeige zu bringen. „Unser Recht lebt auch von einer gewissen Abschreckung. Wenn das nicht praktiziert wird, ist das für manchen die Einladung zum Tanz“, unterstrich der Abensberger Bürgermeister.

Gewaltbereitschaft ist Bedrohung der offenen Gesellschaft

„Für die Zukunft tragen wir Verantwortung: Kommunalpolitiker und Ehrenamtliche, die sich durch die rechtsextreme Szene bedroht fühlen oder bedroht werden, brauchen einen besseren Schutz“, fordert auch der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Volker Ullrich, gegenüber dem BAYERNKURIER. „Die Aufklärung des Mordes an Walter Lübcke geht auch nach dem Geständnis des mutmaßlichen Täters weiter. Das ist richtig und wichtig, um mögliche rechtsextreme Netzwerke zu identifizieren und Strukturen zu zerschlagen“, so Ullrich weiter.

Der CSU-Innenexperte zeigte sich von der Ermordung Walter Lübckes erschüttert: „Die Gewaltbereitschaft unter Rechtsextremen ist eine Gefahr für unsere offene und freiheitliche Gesellschaft. Hier müssen wir alle wachsam bleiben.“ Als Konsequenzen forderte Ullrich: „Die Sicherheitsbehörden müssen weiterhin sensibilisiert und entsprechend ausgestattet werden, um rechten Terror wirkungsvoll und mit allen gebotenen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen zu können.“

Vor der Ermordung Walter Lübckes haben weitere Fälle öffentliche Aufmerksamkeit erregt:

Henriette Reker, Köln: Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin wurde im Oktober 2015, einen Tag vor der Wahl, an einem CDU-Infostand niedergestochen. Der Täter, der zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde, hatte im Prozess angegeben, aus rechtsextremistischer Gesinnung gehandelt zu haben. Reker habe als Sozialdezernentin der Stadt eine ausländerfreundliche Politik betrieben, hatte er dem Gericht gesagt. Neu sind jetzt Morddrohungen gegen Reker – die aber auch Geldforderungen enthalten. „Das Ganze mit politischen Aussagen unterstützt. Der ganze Brief ist ja rechtsradikal formuliert und deswegen muss man das sich sehr genau angucken“, sagte die Oberbürgermeisterin dem WDR.

„Wir müssen unsere Werte von Freiheit, Toleranz und Vielfalt verteidigen“, sagte Reker. Dafür dürfe man „nicht zurückweichen und sich keine Angst machen lassen“. Sie habe schon schlimmere E-Mails bekommen. „Ich denke, wer mich umbringen will, schreibt mir vorher keine E-Mail“, so die Kölner Oberbürgermeisterin. Reker zeigte sich besorgt über das derzeitige politische Klima. Von Ausgrenzung halte sie aber nicht viel. „Ich würde mir wünschen, dass wir Kontakt aufnehmen auch zu denen, die sich abgehängt fühlen. Zu denen, die nicht verstehen, dass die Welt sich ändert. Wir müssen noch vielmehr nach den Menschen gucken, die sich in dieser Gesellschaft nicht mehr aufgehoben fühlen“, sagte sie.

Gerold Noerenberg (Neu-Ulm): Der CSU-Oberbürgermeister von Neu-Ulm wurde im Jahr 2009 in seinem Büro von dem Deutsch-Libanesen Khaled el Masri tätlich angegriffen und verletzt. El Masri drang gewaltsam in das Dienstzimmer ein, schlug mit Fäusten auf Noerenberg ein und warf einen Stuhl nach ihm. Der Deutsch-Libanese wurde dafür im März 2010 vom Landgericht Memmingen wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Später kamen noch vier weitere Monate wegen Angriffs auf einen Justizvollzugsbeamten in Kempten dazu. El-Masri war 2003 vom CIA von Mazedonien nach Afghanistan entführt worden und gilt deshalb als traumatisiert.

Andreas Hollstein, Altena: Im November 2017 hatte ein 56-jähriger Mann in einem Dönerladen den Bürgermeister der 18.000-Einwohner-Kleinstadt im Sauerland festgehalten und mit den Worten angesprochen: „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtlinge nach Altena.“ Daraufhin drückte er dem Bürgermeister ein Messer gegen den Hals. Die beiden Ladenbesitzer eilten dem Angegriffenen zu Hilfe. Der Bürgermeister erlitt eine Schnittwunde am Hals. Der Täter, der jede Tötungsabsicht und jede fremdenfeindliche Motivation abstritt, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Hollstein erhielt jüngst – ebenso wie Reker – eine Morddrohung. Wegen der Morddrohungen gegen Reker und Hollstein ermitteln jetzt das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Berlin. Die Behörden prüfen nach eigenen Angaben, ob ein Zusammenhang zu anderen bundesweiten Drohschreiben mit rechtsextremistischem Hintergrund besteht. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dazu: „Wir wissen, dass es einer ist, der häufiger in den letzten Jahren mit solchen Mails aufgetaucht ist.“

Martin Horn, Freiburg: Auf der Feier seines überraschenden Wahlsieges in der Stichwahl im Mai 2018 griff ein offenkundig psychisch kranker 54-jähriger Mann den parteilosen Freiburger OB-Kandidaten Horn an und verletzte ihn im Gesicht. Das Nasenbein wurde gebrochen und ein Zahn beschädigt. Der Täter wurde vor Ort gefasst, er soll psychische Probleme haben. Nach der Massenvergewaltigung einer 18-Jährigen im November 2018 durch mindestens sieben Syrer und einen Deutschen sei er in Sozialen Medien massiv bedroht worden, berichtete Horn. Er habe unter anderem Briefe erhalten, in denen gestanden habe: „Du elendes Dreckschwein, mach endlich Politik für deine Wähler, sonst schlitzen wir dich auf.“ Ein Kommunalpolitiker der AfD habe dem Pfarrerssohn gewünscht, die Treppe herunterzustürzen. „Es wurde dazu aufgerufen, meine Frau zu vergewaltigen, selbst meine beiden Söhne, der eine gerade mal ein halbes Jahr alt, wurden mit bedroht.“