Das Reichstagsgebäude, Sitz des Deutschen Bundestags. (Bild: imago/Westend61)
Sterbehilfe

Todkranken das Leid nehmen – nicht das Leben

„Sternstunden des Parlamentarismus“ werden schwierige, ethisch anspruchsvolle Bundestagsdebatten oft genannt, bei denen es um die Grundfragen von Leben und Tod geht. Der Fraktionszwang ist dabei aufgehoben, die Abgeordneten sammeln sich in Gruppen. Heute war wieder eine solche „Sternstunde“: Der Bundestag debattierte über die Neuregelung der Sterbehilfe.

Der Bundestag will künftig geschäftsmäßige Sterbehilfe von Vereinen oder Einzelpersonen verbieten. Was aber als Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt sein soll, ist strittig. Die Abgeordneten diskutierten am Donnerstag bei der ersten Lesung von vier fraktionsübergreifend erarbeiteten Gesetzentwürfen zur Sterbehilfe hart in der Sache, aber mit großem Respekt vor dem Andersdenkenden.

Nach den Worten des CDU-Abgeordneten Michael Brand müsse bei der Gesetzgebung das Leitmotiv sein: „Sterben an der Hand und nicht durch die Hand eines Mitmenschen.“ Sein Entwurf biete einen Weg der Mitte: Geschäftsmäßige, auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe solle verboten, der Freiraum des Arztes aber wie bisher belassen werden. Sterbenden solle man die Leiden nehmen, nicht das Leben. Einen ärztlich assistierten Suizid lehnt die Abgeordnetengruppe um Brand, Kerstin Griese (SPD), und Michael Frieser (CSU) vehement ab. Ihr Entwurf erfährt bisher den meisten Zuspruch. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) signalisierte ihre Unterstützung.

Im November will der Bundestag endgültig über eine gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe entscheiden. Parallel berät er über den Ausbau der Begleitung und Betreuung sterbenskranker Menschen in der Palliativ- und Hospizmedizin. Unumstritten ist unter den Abgeordneten, dass hier hoher Nachholbedarf besteht.

Nach Einschätzung des CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg gehen die meisten Bundesbürger davon aus, dass Hilfe zur Selbsttötung verboten sei. Diese Menschen hätten also ein Unrechtsbewusstsein bei dieser Handlung. Nach dem Entwurf Sensburgs und seines Parteikollegen Thomas Dörflinger soll Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung verboten werden. Allerdings räumt auch Sensburg ein, dass dies in extremen Ausnahmefällen von großem Leid straffrei bleiben sollte. Das wäre die strengste Verbotsregelung.

Hintze: Kein Staatsanwalt am Krankenbett

Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) lehnt eine Verschärfung des Strafrechts ab. Nicht Staatsanwälte gehörten ans Krankenbett, sondern Angehörige und vertrauensvolle Ärzte. Der Maßstab müsse der leidende Mensch sein und sein Recht zu entscheiden, „ob er die Qual des Todeskampfes noch ertragen kann“.

Eine Abgeordnetengruppe um Hintze, die CSU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl und den beiden SPD-Politikern Carola Reimann und Karl Lauterbach will einen ärztlich assistierten Suizid ermöglichen, um das nach ihrer Einschätzung und je nach Bundesland unterschiedliche ärztliche Berufsrecht auszuhebeln. Der Entwurf solle Ärzten Handlungsfreiheit geben in den wenigen Situationen, in denen die Palliativmedizin an ihre Grenzen stoße, sagte Hintze. Reimann unterstrich, mit diesem Gesetz müsste niemand mehr ins Ausland fahren, um Hilfe beim Sterben zu bekommen. Damit schade man Sterbehilfevereinen mehr als durch ein Strafrechtsverbot.

Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast unterstrich, es gebe keine Strafbarkeitslücke. Nach den Vorstellungen der Gruppe um Künast und Petra Sitte (Linke) soll es bei der jetzigen, 150 Jahre alten Rechtsregelung bleiben: Suizid ist straffrei, ebenso die Beihilfe dazu, auch durch ehrenamtliche Sterbehilfe-Vereine. Verboten werden solle die gewerbsmäßige Beihilfe. Sterbehilfe-Vereine sollten also nur verboten werden, sofern sie finanzielle Interessen verfolgen.

wog/dpa