Die Staatsregierung setzt bei der Verringerung des Flächenverbrauches in Bayern weiter auf Freiwilligkeit und hofft auf praktische Ergebnisse bis 2023. Ziel sei es, bis spätestens zum Ende der Legislaturperiode auf einen Verbrauch von rund fünf Hektar am Tag zu kommen, „um auch den künftigen Generationen eine schöne Heimat überlassen zu können“, sagte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nach einem Treffen mit rund 80 Vertretern von Kommunen, Politikern und Lobbyverbänden am Montag in München. Bis zur Jahresmitte solle der Richtwert in das Landessplanungsgesetz übernommen werden.
Der Hebel Wohnungsbau
Größter Hebel sei der Wohnungs- und Häuserbau, sagte Aiwanger. 85 Prozent des Flächenverbrauchs von rund 12 Hektar seien Siedlungsflächen. Hier müssten aber – anders als etwa die Grünen tun – auch die Bedürfnisse der Wirtschaft sowie das Bevölkerungswachstum bedacht werden. Um Leerstände besser zu nutzen, wolle er mit den Gemeinden ein entsprechendes Management einführen. Für eine erfolgreiche Einsparung sei aber auch mehr Selbstdisziplin der Kommunen notwendig. Aiwanger kündigte an, die 2017 eingeführte Lockerung beim sogenannten Anbindegebot zurücknehmen zu wollen: Bei Gewerbegebieten und Industrie auf der grünen Wiese außerhalb von Ortschaften müsse der Rückwärtsgang eingelegt werden.
Aiwanger sagte dem BR unmittelbar vor dem Treffen, wegen des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung könne der Freistaat nur unverbindliche Vorgaben machen. Er sei aber zuversichtlich, dass bei Bauvorhaben künftig erheblich sensibler vorgegangen werde. Der Minister forderte mehr Tiefgaragen bei Gewerbekomplexen, weniger Wildwuchs auf der grünen Wiese entlang von Autobahnen und wieder mehr Unterkellerung bei Wohnneubauten.
Flächen sparen ohne Grenze
CSU und Freie Wähler hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, Flächen sparen zu wollen. Gemeinsam mit den Kommunen soll eine „Richtgröße“ von fünf Hektar pro Tag angestrebt werden, allerdings ohne die besagte gesetzliche Regelung.
Starre Flächenverbrauchsvorgaben oder Kontingente würden aber die Möglichkeit nehmen, auf Bedürfnisse wie die weitere Zunahme der Bevölkerung zu reagieren.
Bertram Brossardt, vbw
Vertreter der Wirtschaft unterstützten bei dem Treffen die Vorgehensweise der Regierung und wiesen ihrerseits auch darauf hin, dass in Bayern tatsächlich deutlich weniger Flächen versiegelt seien, als die Statistik ausweise – weil darin beispielsweise auch Parks, Fußballplätze oder Schrebergärten als Siedlungsfläche gelten. Bayern ist ein Zuzugsland und prosperiert wirtschaftlich kräftig. Zwischen 2014 und 2017 stieg die Zahl der Bewohner um 2,4 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt wuchs um 6,9 Prozent. „Die Siedlungs- und Verkehrsflächen nahmen aber nur um 1,5 Prozent zu. Dem Freistaat ist es gelungen, die wirtschaftliche Entwicklung und den Flächenverbrauch voneinander zu entkoppeln. Dieser Weg muss weiter gegangen werden“, so der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (vbw), Bertram Brossardt. „Starre Flächenverbrauchsvorgaben oder Kontingente würden aber die Möglichkeit nehmen, auf Bedürfnisse wie die weitere Zunahme der Bevölkerung zu reagieren. Das wäre der falsche Weg. Wir lehnen das ab“, betonte Brossardt.
Das Bevölkerungswachstum und die langfristig guten Wirtschaftsperspektiven erfordern mehr Flächen für bezahlbaren Wohnraum, für Gewerbe und Mobilität.
Manfred Gößl, BIHK
„Das Bevölkerungswachstum und die langfristig guten Wirtschaftsperspektiven erfordern mehr Flächen für bezahlbaren Wohnraum, für Gewerbe und Mobilität. Statt eines starren und praktisch nicht umsetzbaren Richtwerts setzt die Wirtschaft auf mehr Effizienz bei der Flächennutzung“, sagte auch der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK), Manfred Gößl. Es sei vollkommen unklar, nach welchen Kriterien Flächenkontingente regional und zeitlich verteilt werden sollen. Die Wirtschaft befürchte daher ein neues Bürokratie-Monster, das die Kommunen in ihrer Planungshoheit lähmen würde. Gößl kritisiert außerdem, dass selbst umweltfreundliche Projekte wie mehr Radwege oder Sport- und Erholungsflächen unter die Obergrenze fallen würden.
Wirtschaft für flexible Maßnahmen
Die Wirtschaft setze auf Baulückenkataster, maßvolle Nachverdichtung, die Revitalisierung von Brachflächen sowie die engere Zusammenarbeit benachbarter Gemeinden beim Flächenmanagement. Pläne der Staatsregierung für eine Entsiegelungsprämie und die Förderung von innerörtlicher Flächenentwicklung seien ebenfalls zu begrüßen.
Gößl betonte, dass die Wirtschaft schon allein aus Kostengründen an einem sparsamen Umgang mit teurem Grund interessiert sei. Außerdem sei nicht nur für die Betriebe im Tourismusbereich ein landschaftlich attraktiver Standort wichtig. Die bayerischen IHKs haben sich beispielsweise bereits seit Jahrzehnten gegen großflächige Einzelhandelsprojekte auf der grünen Wiese ausgesprochen. Laut BIHK sind 88 Prozent der Fläche des Freistaats Wälder, Äcker, Naturland und Gewässer. Gewerbe, Industrie und Handel nehmen dagegen nur ein Prozent der Gesamtfläche in Anspruch. Einen deutlich größeren Anteil hat mit drei Prozent der Wohnbau.
Handwerk besorgt wegen Nachbarkonflikten
„Gerade kleine und mittlere Unternehmen des Handwerks drohen in der Konkurrenz um Flächen und zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Interessengruppen zerrieben zu werden“, betonte Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT). Die herannahende Wohnbebauung, strengere Auflagen zu Emissionen jeglicher Art sowie eine steigende Sensibilität der Bevölkerung führen zu einer immer stärkeren Verdrängung von Handwerksbetrieben aus ihren Standorten. Die schärfere Konkurrenz um Flächen schlage sich darüber hinaus in steigenden Bodenpreisen nieder, die Nachverdichtung führe zu Nachbarschaftskonflikten. Der BHT-Präsident warnte in diesem Zusammenhang vor einer Lockerung des Lärmschutzes: „Dies könnte sich als Bumerang erweisen, wenn über den Umweg der EU neue, verbindliche Lärmschutzregelungen, Umgebungslärmrichtlinien usw. vorgegeben werden, die mit der dann bestehenden Bebauung nicht mehr in Einklang gebracht werden können.“
Grüne: Nochmal Volksbegehren?
Die Grünen wollen die praktischen Ergebnisse abwarten, dann aber erneut auf das neue „Politikmittel“ Volksbegehren zurückgreifen. Dabei hatte im Juli 2018 der Bayerische Verfassungsgerichtshof bereits ein erstes Volksbegehren namens „Betonflut eindämmen“ für unzulässig erklärt. Durch die Ziele des Volksbegehrens – eine starre Höchstgrenze beim Flächenverbrauch von fünf Hektar – werde die kommunale Planungshoheit wegen fehlender gesetzlicher Voraussetzungen unzulässig eingeschränkt, begründete das Gericht damals seine Entscheidung.